Inhalt des Artikels:

  • Spektakuläre Autounfälle mit Todesfolge
  • Influencer und aggressiver Fahrstil
  • Drastische Strafen für Verkehrsdelikte geplant
  • Rasernation Polen? – Vorurteil und Wirklichkeit
  • Polens Straßen werden langsam sicherer

Spektakuläre Autounfälle mit Todesfolge

Die Nacht ist schwarz, nur die Scheinwerfer schneiden grelle Linien in die Dunkelheit. Sebastian M. rast mit seinem BMW über die Autobahn, der Tacho tanzt jenseits der 250 km/h. Dann taucht in der Ferne ein Kia auf – darin ist eine Familie unterwegs, nicht ahnend, dass ihr Leben in Sekunden enden wird. Denn der BMW kracht in den Kia, der daraufhin in Flammen aufgeht. Der Vater, die Mutter und ihr fünfjähriges Kind an Bord haben keine Chance. Den Fahrer des BMW interessiert das nicht. Er flüchtet, ohne zu helfen. Am Morgen danach, dem 17. September 2023, kennt ihn ganz Polen: Sebastian M. wird zum Symbol für rücksichtslose Raserei. Er setzt sich ins Ausland ab, wird erst im Mai 2025 von den Vereinigten Arabischen Emiraten nach Polen ausgeliefert und wartet derzeit in Untersuchungshaft auf seinen Gerichtsprozess. Ihm drohen bis zu acht Jahre Haft wegen Herbeiführung einer Katastrophe im Straßenverkehr.

Auch wenn die Zahl der Unfalltoten in Polen über die Jahre sinkt, sind Unfälle mit Todesfolge derzeit in aller Munde. Grund sind einige besonders aufsehenerregende Fälle der jüngsten Zeit.Bildrechte: IMAGO / Eastnews

Auch der Fall von Łukasz Ż. sorgte in Polen für Aufsehen. Im September 2024 verursachte er mit einem VW Arteon einen Horrorcrash in Warschau. Betrunken fuhr er zwischen 205 und 226 km/h, wo maximal 80 km/h erlaubt sind. Ein Mann starb, mehrere Personen wurden schwer verletzt. Besonders schockierend: Seine Begleiter behinderten Ersthelfer, damit das Opfer stirbt – in der Hoffnung, die Schuld dem Toten in die Schuhe schieben zu können. Außerdem sprachen sie untereinander eine falsche Version des Unfallhergangs ab, die sie den Ermittlern auftischen wollte. Und: Łukasz Ż. hätte sich gar nicht ans Lenkrad setzen dürfen, weil gegen ihn wegen früherer Verkehrsdelikte ein Fahrverbot verhängt worden war. Auch er flüchtete ins Ausland, wurde in Deutschland gefasst und nach Polen ausgeliefert. Seit Juni 2025 steht der Raser vor Gericht – ihm drohen bis zu 30 Jahre Haft wegen fahrlässiger Tötung, Trunkenheit, Fahrerflucht und weiterer Straftaten.

Influencer und aggressiver Fahrstil

Einer der jüngsten Raserei-Fälle, der Polen empörte, hat dagegen eher komödiantische Züge. Der Youtuber MRBadAss veröffentlichte ein Video, auf dem er mit 380 km/h durch Warschau raste. Doch der vermeintliche Höllenritt erwies sich als dreister Fake. Im Zuge der Ermittlungen kam heraus, dass der Mann einen speziellen Aufsatz auf den Tacho gelegt hatte, der eine höhere Geschwindigkeit vorgab, mit dem Ziel, die Zuschauer zu beeindrucken und mehr Reichweite für seine Videos zu generieren. Der Mann postete schon früher Videos mit Raserfahrten und illegalen Autorennen auf seinem Kanal.

Es sind nur die spektakulärsten, aber bei weitem nicht die einzigen Vorfälle dieser Art, die in Polen in letzter Zeit für Schlagzeilen gesorgt haben. Die mediale und gesellschaftliche Empörung darüber ist riesig. Im Frühstücksfernsehen "Guten Morgen TVN" wurde beispielsweise beklagt, dass sich einige Celebrities und junge, gut situierte Menschen im Straßenverkehr unantastbar fühlten, während die Polizei dem Treiben ratlos zusehe. In sozialen Medien fordern User härtere Strafen gegen Verkehrsrowdys, inklusive einer Bestrafung als Mörder, wenn beim Unfall ein Mensch ums Leben kam.

Drastische Strafen für Verkehrsdelikte geplant

Die Politik hat reagiert. Das polnische Parlament berät derzeit über eine Strafrechtsverschärfung, die zwei neue Straftatbestände definiert: illegales Autorennen und grober Verkehrsverstoß. Als grob gelten Geschwindigkeitsüberschreitungen von mehr als 50 Prozent auf Autobahnen und Schnellstraßen oder mehr als 100 Prozent auf allen übrigen Straßen, wobei gleichzeitig Gefahr für Leib und Leben anderer Personen entstehen muss. Bislang wurden diese schweren Verkehrsverstöße nur als Ordnungswidrigkeiten mit Bußgeldern, Punkten und Fahrverboten geahndet.

Tempolimits werden von vielen Polen eher als Empfehlung denn als Gebot verstanden. Die Polizei reagiert mit "fliegenden" Verkehrskontrollen.Bildrechte: IMAGO / Depositphotos

Nun sollen darauf drei Monate bis fünf Jahre Gefängnis stehen – bei Todesopfern oder schweren gesundheitlichen Schäden erhöht sich das Strafmaß sogar auf ein bis zehn Jahre. Außerdem sollen Fahrer, die sich trotz eines gegen sie verhängten Fahrverbots ans Lenkrad setzen, den Führerschein für immer verlieren. Damit reagiert die Politik darauf, dass die Verursacher vieler aufsehenerregender Unfälle der letzten Jahre ein oder zum Teil sogar mehrere Fahrverbote auf dem Konto hatten.

Rasernation Polen? – Vorurteil und Wirklichkeit

Doch sind die Polen wirklich solche Verkehrsrowdys, wie die genannten Unfälle und Gesetzesänderungen suggerieren? Das stereotype Selbstbild, das die Debatte in der polnischen Öffentlichkeit prägt, ist jedenfalls niederschmetternd: Tempolimits würden notorisch überschritten, entsprechende Verkehrsschilder gälten bestenfalls als Empfehlung; zu dichtes Auffahren (in Polen landläufig als "Fahrt an der Stoßstange" bezeichnet), Vorfahrtmissachtungen, halsbrecherische Überholmanöver und ein allgemein aggressiver Fahrstil seien an der Tagesordnung.

Seit 2021 haben Fußgänger in Polen nicht nur direkt auf dem Zebrastreifen Vorrang, sondern auch sobald sie erkennbar Anstalten machen, diesen zu betreten – diese Gesetzesänderung sorgt bis heute für heftige Debatten unter Autofahrern.Bildrechte: IMAGO / NurPhoto

Videos auf beliebten Plattformen wie "Stop Cham" (zu Deutsch in etwa "Stop Rüppel") und "bandyci drogowi" (zu Deutsch "Verbrecher auf der Straße") scheinen diese "gefühlten Wahrheiten" zu bestätigen. Auch das ständige Infragestellen der 2021 eingeführten Vorschrift, dass Fußgänger an Zebrastreifen Vorrang haben, sobald sie nur erkennbar Anstalten machen, diesen zu betreten, und nicht erst wenn sie sich schon auf der Fahrbahn befinden, ist bezeichnend.

Doch Statistiken, Studien und Umfragen zeichnen ein differenzierteres und zum Teil widersprüchliches Bild. Laut einer Umfrage im Auftrag des Versicherungsunternehmens LINK4 steht die Sicherheit für 95 Prozent der Fahrer an erster Stelle. Gleichzeitig gaben 70 Prozent zu, die zulässige Höchstgeschwindigkeit gelegentlich zu überschreiten. Auch andere, frühere Umfragen bestätigen, dass Tempolimitverstöße vielen Polen nach wie vor als Kavaliersdelikt gelten.

Einsatzkräfte nach einem Verkehrsunfall in Polen – zu den häufigsten Unfallursachen im Land gehören genommene Vorfahrt und überhöhte Geschwindigkeit.Bildrechte: IMAGO / NurPhoto

Polens Straßen werden langsam sicherer

Auf der anderen Seite ist die Zahl der Unfalltoten in Polen in den vergangenen fünf Jahren drastisch gesunken. 2024 verzeichnete Polen laut Eurostat 52 Verkehrstote auf eine Million Einwohner – 35 Prozent weniger als noch 2019. Damals lag das Land auf Platz drei im Negativranking der Länder mit den meisten Verkehrstoten der EU – inzwischen hat es sich auf Platz sieben verbessert, liegt aber immer noch über dem EU-Durchschnitt von 46 Verkehrstoten auf eine Million Einwohner. In Deutschland liegt dieser Wert sogar bei nur 33.

Hohe Unfallzahlen und eine teils aggressive Fahrkultur sind also nach wie vor ein Problem in Polen. Doch die Zahlen zeigen auch: Es findet gerade ein Sinneswandel statt, die polnischen Fahrer werden allmählich ruhiger und höflicher, die Straßen sicherer. Möglicherweise trägt auch die bemerkenswerte Straßenbauoffensive der letzten Jahre dazu bei, denn dank der weit über 5.000 Kilometer neu entstandener Autobahnen und Schnellstraßen haben die Verkehrsteilnehmer immer seltener Grund zu Frust und gefährlichen Überholmanövern.

Die jüngsten Gesetzesreformen könnten helfen, diesen Trend fortzusetzen. Und auch Initiativen wie die des Versicherers LINK4: Seine Kunden können ihre Fahrweise auf freiwilliger Basis mit Hilfe einer Navigationsapp bewerten lassen – unter besonnenen Fahrern, die sich an Tempolimits halten und abrupte Brems- oder Beschleunigungsmanöver meiden, werden jedes Quartal attraktive Preise wie Handys, Dashcams und Tankgutscheine verlost. Wer weiß, vielleicht gehört die Floskel "Ich fahre schnell, aber sicher", die man in Polen derzeit noch oft hört, bald der Vergangenheit an.

Nützlich: Wie verständigen sich Autofahrer in Polen? (bitte aufklappen)

Das Blinken mit der Warnblinkanlage bedeutet "Danke", verbreitet genutzt z.B., wenn ein anderer Verkehrsteilnehmer Sie auf seine Fahrspur lässt. Lichthupe von einem entgegenkommenden Fahrer ist eine Warnung und kann bedeuten, dass Sie sich einer Unfallstelle oder einer Polizeikontrolle nähern. "Fliegende" Polizeikontrollen sind in Polen deutlich häufiger als in Deutschland. Lichthupe kann aber auch bedeuten, dass Sie vergessen haben, das Abblendlicht einzuschalten, das in Polen ganztägig eingeschaltet sein muss. In diesem Fall können Sie das Licht einschalten und sich dann mit dem Warnblinker bedanken.

Unfallstatistik: Welche Städte in Polen sind am gefährlichsten?

Laut Yanosik, dem Anbieter einer polnischen Navi- und Radarfallenwarnapp, sind folgende Großstädte in Polen am gefährlichsten (gemessen an der Zahl der Unfälle auf 1.000 Einwohner im Jahr 2024):

  • Katowice (Kattowitz) – 15,48
  • Lublin – 13,3
  • Rzeszów – 13,17
  • Łódź (Lodsch) – 11,80
  • Warszawa (Warschau) – 10,92
  • Poznań (Posen) – 10,90
  • Toruń (Thorn) – 10,34


Folgende Großstädte in Polen sind laut Yanosik am sichersten:

  • Zielona Góra (Grünberg in Schlesien) – 5,09
  • Gorzów Wielkopolski (Landsberg an der Warthe) – 5,22
  • Olsztyn (Allenstein) – 5,71
  • Opole (Oppeln) – 6,17
  • Wrocław (Breslau) – 7,16

MDR (baz)

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