Inhalt des Artikels:

  • Shoppingmall dient als Festivalgelände
  • Luftalarm wegen russischer Drohnen
  • Dank und Spenden für die Armee
  • Finnische Band holt Auftritt nach
  • Düstere Zukunftsaussichten

Vor dem russischen Vollangriff auf die Ukraine war es das größte Musikevent des Jahres in Kiew: Das Festival Atlas Weekend, welches riesige Menschenmengen, auch mit Weltstars wie The Black Eyed Peas oder Liam Gallagher anzog. 2022 und 2023 war dann an die Austragung des Festivals zunächst nicht zu denken.

Shoppingmall dient als Festivalgelände

Vergangenes Wochenende fand Atlas nun zum zweiten Mal seit Kriegsbeginn statt – unter völlig anderen Umständen. Trotz der verstärkten russischen Drohnen- und Raketenangriffe sammelten sich zwischen Freitag und Sonntag jeweils mehr als 20.000 Menschen auf dem Parkplatz einer großen Einkaufsmall, um dreieinhalb Jahre nach dem russischen Überfall zumindest für den Moment abzuschalten und sich ein wenig wie vor dem Krieg zu fühlen.

Emilia Suhonen der finnischen Alternativ-Rockband The Rasmus performt auf dem Atlas-Festival in Kiew.Bildrechte: IMAGO / Ukrinform

Allein die Wahl der Location sagt allerdings bereits vieles darüber aus, wie sich der Alltag in der Ukraine in diesen Jahren veränderte. Denn vor 2022 wurde Atlas auf dem Messegelände am Rande der Stadt ausgetragen, wo im Sommer auch die meisten anderen Großkonzerte stattfanden. Einen passenden Luftschutzkeller für eine solche Menschenmasse gibt es dort aber nicht, weswegen das Festival an einen eher ungewöhnlichen Ort mitten im dicht besiedelten Stadtteil Obolon umziehen musste, denn die Shoppingmall Blockbuster verfügt über eine riesige Tiefgarage, die nun auch als Luftschutzraum dient. Bei den Anwohnern, zu denen vor seinem Wahlsieg 2019 auch der jetzige Präsident Wolodymyr Selenskyj zählte, sorgte das nicht nur für Freude.

Luftalarm wegen russischer Drohnen

Während Atlas im letzten Jahr überraschenderweise von Luftalarmen verschont blieb, wurde der Luftschutzkeller diesmal tatsächlich gebraucht. Zweimal musste das Festival am Freitag unterbrochen werden, und beim zweiten Mal war es tatsächlich ernst. Zehntausende Besucher mussten gleichzeitig in die Tiefgarage rennen, die als größter Luftschutzraum der Ukraine gilt, während russische Drohnen zeitweise über Obolon direkt flogen.

Besucher des Atlas-Festivals in KiewBildrechte: Atlas Festival

Für die Veranstalter war das eine riesige Aufgabe. "Ich habe bei Atlas schon vor 2022 geholfen, mache bei anderen Konzerten mit und habe Erfahrung mit solchen Menschenmengen. Trotzdem war das Stress pur, denn diesen Ernstfall kann man nicht im Voraus proben", erzählt Sofija, eine von Hunderten von freiwilligen Helfern beim Festival, die unter anderem die Verlegung der Festivalbesucher in den Luftschutzkeller koordinierte.

Obolon gehört zu den Kiewer Stadtteilen, die in den letzten Monaten öfters zum Ziel der massiven russischen Luftangriffe wurde. Mit seiner stark erhöhten Drohnenproduktion setzt Russland bei manchen Angriffen mittlerweile bis zu 800 Langstreckendrohnen pro Tag ein. Die ukrainische Hauptstadt ist dabei das lohnendste Ziel im Hinterland.

Dank und Spenden für die Armee

Passiert ist an dem Abend am Ende zwar nichts, doch der Auftritt der Hauptband des Tages, der in der Ukraine bekannten Boombox, konnte nicht zu Ende gespielt werden. Für die Band, deren Frontmann Andrij Chlywnjuk selbst bei der Armee als Kommandeur eines Luftaufklärungszuges dient, war dies das einzige Konzert in diesem Jahr.

"Wir wollen uns zutiefst bei allen bedanken, die es uns ermöglichen, heute die Musik zu genießen und zu feiern", betonte am zweiten Tag Swjatoslaw Wakartschuk von der Bühne, der wohl größte ukrainische Rockstar, eine Art Herbert Grönemeyer der Ukaine. Er meinte damit die ukrainische Armee. Sätze wie diese fielen so gut wie bei jedem Auftritt.

Swjatoslaw Wakartschuk bedankte sich "bei allen bedanken, die es uns ermöglichen, heute die Musik zu genießen" und meinte damit die ukrainische Armee, für die beim Festival Spenden gesammelt wurden.Bildrechte: Atlas Festival

Auch sonst war die Armee bei dem Festival allgegenwärtig. Nicht nur waren zahlreiche Soldaten, die entweder in Kiew dienen oder gerade Fronturlaub hatten, im Publikum. Vor allem wurden die Pausen auf allen fünf Bühnen dazu genutzt, um Spenden für die Streitkräfte zu sammeln. So kamen innerhalb von drei Tagen umgerechnet mehr als zwei Millionen Euro zusammen.

Finnische Band holt Auftritt nach

Einen besonderen Moment erlebte das Atlas-Festival am Samstag, als auf der Hauptbühne die finnische Rockband The Rasmus auftrat, die in den Nullerjahren mit Hits wie "In The Shadows" und "Living In A World Without You" die Charts stürmte. The Rasmus sollten schon 2022 auf dem Festival auftreten, doch der Krieg durchkreuzte die Pläne. Nun gehört die Band zu den wenigen namhaften ausländischen Künstlern, die die Ukraine nach dem russischen Überfall besuchten.

Der Sänger Lauri Ylönen gibt zu, Angst vor der Reise in das kriegsgebeutelte Land gehabt zu haben: "Wir haben im Schutzraum geschlafen, die Sirenen haben geheult", erzählte er ukrainischen Fernsehsendern. "Nach zwei Tagen hier war ich erschöpft, doch die Ukrainer leben so seit mehr als 1.240 Tagen!" Zusammen mit seinen Bandkollegen besuchte Ylönen unter anderem das Kiewer Kinderkrankenhaus Ochmatdyt, das im Juli 2024 von einer russischen Rakete getroffen wurde.

Lauri Ylönen, Frontmann der finnischen Band The Rasmus, auf der Bühne in KiewBildrechte: Atlas Festival

"Es war ein richtiges Highlight. Ein solches Konzert hat Kiew seit dreieinhalb Jahren nicht erlebt. Das war genau das, was ich für den Moment gebraucht habe", erzählt Atlas-Besucher Maksym, ein Rasmus-Fan der ersten Stunde, der schon mehrere Konzerte der Band besucht hat.

Düstere Zukunftsaussichten

Schon im letzten Jahr gab es beim Atlas-Festival einen besonderen Gast – die niederländische Sängerin Sharon den Adel von der Metalband Within Temptation, die mit einem ukrainischen Orchester aufgetreten ist und ebenfalls wie Ylönen zu den lautesten Unterstützern der Ukraine zählt. Ob im nächsten Jahr aber noch mehr ausländische Musiker nach Kiew kommen, ist fraglich, denn ein Ende des russisch-ukrainischen Krieges ist nicht in Sicht, und die russischen Luftangriffe auf Städte wie Kiew könnten noch heftiger werden.

MDR (baz)

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