Attacken nächtlicher Drohnenschwärme gehören zur neuen Normalität für die Menschen in der Ukraine. Die Luftverteidigung ist überlastet. Nun sollen Abfangdrohnen helfen. Doch kann die Ukraine einen technologischen Vorsprung erreichen?

In Schwärmen greifen sie oft stundenlang an. Russische Drohnen, doppelt so groß wie ein Mensch, hunderte Kilometer pro Stunde schnell und beladen mit bis zu 90 Kilogramm Sprengstoff, stürzen sich urplötzlich auf ihr Ziel.

Die ukrainische Luftverteidigung hat immer größere Probleme, die Drohnen abzuwehren. Schon jetzt übersättigt Russland mit oft mehr als 500 Drohnen in der Nacht die ukrainische Flugabwehr.

Doch Experten rechnen mit noch heftigeren Angriffen. Schon bald könne Russland tausende Drohnen pro Nacht einsetzen. Denn Moskau baut seine Produktionskapazitäten immer weiter aus und hat die Drohnen zudem modernisiert. Immer höher und immer schneller können sie fliegen.

Russland terrorisiert die Menschen in der Ukraine immer mehr mit Drohnenangriffen. Hier erleuchtet die Explosion einer Drohne den Nachthimmel über Kiew.

Abfangdrohnen mit künstlicher Intelligenz

Die Ukraine muss sich neue Abwehrmaßnahmen überlegen und verfolgt dabei eine Doppelstrategie, erklärt der Luftfahrtexperte Valerij Romanenko. Zum einen greife die Ukraine gezielt Produktionsstätten von Drohnen und entsprechenden Komponenten in Russland an. Zum anderen - und das sei eine der besten Ideen - entwickele man nun gezielt Abfangdrohnen.

Auf einem Weizenfeld nahe der ukrainischen Hauptstadt testet ein privates Unternehmen seine selbst entwickelte Abfangdrohne. Die Zielerfassung basiere auf künstlicher Intelligenz, sagt der stellvertretende Direktor Anatolij Chraptschynskyj.

"Die Drohne soll automatisch in den Bereich fliegen, in der die Gefahr ist." Im besten Falle könnten angreifende Drohnen noch außerhalb einer Stadt unschädlich gemacht werden, betont Chraptschynskyj. Denn immer wieder werden Menschen auch von herabfallenden Trümmerteilen getötet.

"Jetzt geht es ums Überleben"

Das Projekt Abfangdrohne hat mittlerweile Priorität für die ukrainische Führung. Der Oberkommandierende der Streitkräfte, Oleksandr Syrskyj, gibt an, er beaufsichtige die Entwicklung entsprechender Programme. "Die Armee braucht so viele dieser Hightech-Drohnen wie möglich", sagt er.

Und auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj betont: "Wir erhöhen die Zahl so weit wie möglich." Angeblich würden schon jetzt erste angreifende Drohnen durch Abfangdrohnen zerstört. "Jetzt wird alles so schnell wie möglich gemacht. Jetzt geht es ums Überleben", meint Luftfahrtexperte Romanenko.

Doch Selenskyj muss sich unangenehme Fragen stellen lassen. Seit dem Herbst 2022 greift Russland mit Kampfdrohnen an. Doch erst Anfang 2025, als russische Drohnenangriffe in Qualität und Quantität deutlich zunahmen, wurde die Abwehr dieser Drohnen öffentlich zur Priorität erklärt.

Russland aktuell im Vorteil

Es ist ein technologischer Wettlauf, wie er in den mehr als drei Jahren seit Beginn des russischen Angriffskriegs schon mehrfach beobachtet wurde. Russland ist aktuell im Vorteil, die Ukraine muss nachziehen.

So wird es weitergehen, ein Hin und Her von Aktion und Reaktion, sollte Russlands Krieg nicht wider Erwarten beendet werden können. Deswegen wünschen sich viele Menschen in der Ukraine ein strategischeres Vorgehen ihrer militärpolitischen Führung.

Abfangdrohnen kein Gamechanger

Luftfahrtexperte Romanenko verweist auf die schwierige Situation, in der sich die Ukraine befindet. Zum einen müsse das Land im kräftezehrenden Abnutzungskrieg auch immer den Mangel verwalten. Zum anderen greife Russland gezielt Rüstungsstätten an. Die schnelle Entwicklung von geeigneten Waffen sei in dieser Situation nicht so einfach.

Abfangdrohnen seien zudem kein Gamechanger, betont Entwickler Chraptschynskyj. Vielmehr sollten die neuen Drohnen nur ein Element eines komplexen Luftverteidigungssystems sein. Wichtig seien dabei vor allem Radare, Echtzeiterfassung von Zielen, so dass Gegenmittel effektiv eingesetzt werden können. Denn je nach Höhe und Geschwindigkeit einer angreifenden Drohne oder Rakete müssen unterschiedliche Abfangmittel eingesetzt werden.

Rebecca Barth, ARD Kiew, tagesschau, 22.07.2025 10:06 Uhr

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