Syrien-Experte Bank spricht im Interview über die Waffenruhe und Israels Interessen in Syrien. Er glaubt, Israel sehe es lieber, wenn das Nachbarland geschwächt bleibt, warnt aber auch vor einem neuen Bürgerkrieg.

tagesschau24: Die syrische Armee und die religiöse Minderheit der Drusen haben sich offenbar auf eine Waffenruhe geeinigt. Wie nachhaltig ist die Ihrer Einschätzung nach?

André Bank: Am Dienstag gab es ja bereits einen ersten Versuch einer Waffenruhe, der sehr schnell zusammengebrochen ist. Jetzt ist die Chance, dass diese bestehen bleibt, ein bisschen größer. Es haben alle gesehen, wie schnell die Lage massiv eskalieren kann.

Wenn nun die drusische Seite, die syrische Regierung und Israel die Kämpfe weiter führen würden, könnte das schnell auf eine Bürgerkriegssituation hinauslaufen. Das wollen, glaube ich, alle verhindern.

Zur Person Dr. André Bank ist Senior Research Fellow beim GIGA -Institut für Nahost-Studien in Hamburg. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören der Krieg in Syrien, politische Herrschaft und regionale Ordnung im Nahen Osten.

Druck auf al-Scharaa

tagesschau24: Israel hatte in den Konflikt im Nachbarland eingegriffen. Mit welchem Ziel?

Bank: Offiziell hat die Regierung unter Netanjahu das damit begründet, die syrischen Drusen schützen zu wollen. Drusen leben in Israel, im Libanon, in Jordanien und eben auch auf den von Israel annektierten Golanhöhen, die zu Syrien gehören. Das ist die offizielle Begründung.

De facto aber will Israel den Süden Syriens komplett kontrollieren. Netanjahu hatte im März angekündigt, dass der gesamte Süden Syriens, also auch die Provinzen Daraa und Suwaida, eine demilitarisierte Zone sind, in der die syrische Armee nicht reinkommen soll - genauso wenig wie der Iran oder die Hisbollah, die dort zu Zeiten Assads eine wichtige Rolle spielten.

Drittens ist es sicherlich so, dass Israel auf die islamistische Regierung von Übergangspräsident Ahmed al-Scharaa Druck ausüben möchte und im Grunde einen Wiederaufbau und eine nachhaltige politische Entwicklung in Syrien unmöglich macht. Israel kann damit besser leben, wenn Syrien gespalten und geschwächt bleibt.

"Innerhalb der Drusen nicht nur eine Meinung"

tagesschau24: Lassen Sie uns noch einmal auf alle beteiligten Konfliktparteien schauen. Wie stehen sich die Drusen und das syrische Militär gegenüber?

Bank: Viele Drusinnen und Drusen in Syrien haben die Sorge, dass ihre kulturellen und religiösen Rechte mit einem von der neuen Regierung geschaffenen Einheitsstaat ins Hintertreffen geraten. Ähnliches gilt auch für die Alawiten, die Christen oder die Kurden - also die Sorge vor der sunnitischen Dominanz.

Hinzu kommt noch, dass es innerhalb der Drusen nicht nur eine Meinung gibt. So zeigt sich jetzt öfter etwa Hikmat al-Hidschri, einer der geistlichen Drusenführer und äußert sich besonders lautstark gegen die Regierung von al-Scharaa - pochend auf israelische Unterstützung.

Ein anderer Drusen-Scheich, der bei den jüngsten Verhandlungen eine wichtige Rolle gespielt hat, wendet sich gegen diese israelische Rolle. Es ist also sehr komplex, wie sich die Drusen selbst hier positionieren.

Dazu kommt noch die regionale Dimension. Israel präsentiert sich gerade als Unterstützer der Drusen. Es gibt aber eben auch den bekannten libanesischen Drusen-Führer Walid Dschumblat, der zugegen war und mit der Regierung von al-Scharaa verhandelt hat.

Kurzum: Es gibt nicht nur eine einzige drusische Position. Vielmehr fordern die einen eine Integration in ein föderales syrisches System, in dem Drusen Rechte haben. Andere fordern eine weitgehende, ich will nicht sagen Abspaltung, aber Annäherung an Israel.

Die Beziehungen werden instrumentalisiert

tagesschau24: Warum begreift sich Israel als Schutzmacht der Drusen und inwieweit ist das möglicherweise auch ein Vorwand, um gegen die neue syrische Regierung, die Übergangsregierung vorzugehen?

Bank: Innerhalb Israels gibt es auch eine drusische Gemeinschaft. Viele davon leben auf den von Israel annektierten Golanhöhen. Von dort aus sind auch gestern einige über den Grenzzaun nach Syrien eingedrungen. Drusen dienen außerdem im Militär.

Diese Verbindungen bestehen zweifelsohne. Aber sie werden eben auch instrumentalisiert und als Vorwand genutzt, um in einer Art Divide et impera-Strategie in Syrien bestimmte Gruppen gegeneinander auszuspielen.

Das ist sehr problematisch aus meiner Sicht, wenn es darum geht, Syrien wieder aufzubauen und die Gewalt einzudämmen. Dies wäre eine Vorbedingung, damit nach dem Ende der Sanktionen der USA und der EU jetzt wirklich Hilfe und Investitionen in das Land kommen.

Gleichzeitig ist das Vorgehen der syrischen Regierung auch nicht unproblematisch, sondern auch zu verurteilen. Die Berichte über die massive Gewalt, die hier an der Zivilbevölkerung in Suwaida durchgeführt wurde, auch das muss verurteilt werden.

Es geht hier also nicht nur um die Verurteilung einer der beteiligten Seiten, vielmehr sollte etwa von Deutschland und der EU massiver Druck auf beide Seiten ausgeübt werden. Auf die syrische Regierung und auf Israel, damit die Gewalt eingehegt wird.

Syrische Armee geschwächt

tagesschau24: Inwieweit hat Israel ein eigenes Sicherheitsinteresse, die syrische Armee auf Abstand zur eigenen Grenze zu halten?

Bank: Das Sicherheitsinteresse hat Israel sicherlich. Allerdings gibt es überhaupt keine Anzeichen dafür, dass die syrische Armee, die ohnehin massiv geschwächt ist, überhaupt irgendwelche Angriffe in Richtung Israel anstoßen würde.

Es ist ja eher sehr überraschend, wie eine sunnitisch islamistische Regierung, die ursprünglich aus dem Spektrum von Al-Kaida kommt, so ruhig und so unkritisch gegenüber Israels Vorgehen gegenüber Syrien war.

Möglicherweise gibt es auch eine Entwicklung, dass durch Proteste, wie wir sie in Damaskus gesehen haben, der Druck auf al-Scharaa und seine Regierung steigt, lautstarker gegen Israel vorzugehen.

Die syrische Armee aber liegt am Boden. Es geht hier nicht um Angriffe auf Israel, sondern man ist mit der Übernahme der Kontrolle im eigenen Land beschäftigt.

Die Übergangsregierung unter al-Scharaa hält lediglich ungefähr zwei Drittel des Landes unter Kontrolle. Im Südwesten steht Israel, im Norden hat die türkische Armee viele Gebiete Syriens besetzt, im Nordosten die Kurden. Dort ist auch die US-Armee vor Ort.

Die syrischen Sicherheitskräfte der Regierung konzentrieren sich derzeit darauf, wie sie für Stabilität und Ordnung im Inneren sorgen. Hier ist es wichtig, dass Druck von außen kommt, dass das nicht in brutaler Weise geschieht, wie jetzt mit den Drusen, wie auch zuvor mit den Alawiten im März oder wie in einer früheren Runde der Gewalt gegen Drusen, Ende April und Anfang Mai.

Gute Beziehungen in die Region

tagesschau24: Weiten wir noch den Blick auf die Nachbarländer Syriens und die Region. Inwieweit hat Syrien Verbündete im Nahen Osten?

Bank: Die syrische Übergangsregierung hat Verbündete, vor allem in der Türkei, mit denen sie sich eng koordiniert, was bereits bei der Machtübernahme gegenüber Assad eine große Rolle spielte.

Sie hat auch gute Beziehungen zu den Golfstaaten. Hier gab es im Mai den Gipfel in Riad, wo al-Scharaa auch unter der Vermittlung der Saudis auf US-Präsident Donald Trump traf.

Die Kataris, die Emiratis spielen eine wichtige Rolle. Auch sie wären bereit, perspektivisch, wenn sich die Lage in Syrien verbessert, zu investieren. Ebenso gibt es gute nachbarschaftliche Beziehungen zu Jordanien, wobei die Jordanier die Grenze dicht halten.

So haben die Drusen aktuell keine Fluchtmöglichkeit nach Jordanien. Al-Scharaa ist eigentlich schon allein aufgrund der aktuellen Schwäche seiner Regierung aus ganz pragmatischen Gründen mit ganz vielen Ländern der Region in Kontakt.

Das Gespräch führte Carl-Georg Salzwedel.

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