Inhalt des Artikels:
- Pride-Verbot und elektronische Gesichtserkennung
- Budapest nutzt eine Lücke im Gesetz
- Unterschiedliche Auffassungen von Rechtsstaatlichkeit
- EU-Parlamentarier wollen kommen
Gergely Karácsony bleibt dabei: Die Budapest Pride findet am kommenden Samstag wie geplant statt. Der Oberbürgermeister der ungarischen Hauptstadt stellt sich damit gegen die rechtskonservative Regierung von Ministerpräsident Viktor Orbán, die immer wieder gegen homo- und transsexuelle Menschen hetzt und sogar eigens eine Gesetzesänderung verabschiedet hat, um die LGBTQI-Demonstration verbieten zu können.
Bereits im Februar hatte Orbán den Pride-Organisatoren in seiner alljährlichen Rede zur Lage der Nation eine harte Botschaft gesendet: Sie sollten sich mit den Vorbereitungen für die Veranstaltung gar nicht erst bemühen, da dies nur eine "Geld- und Zeitverschwendung" sei. Es schien offensichtlich, dass er ein Verbot der Pride-Parade ankündigte, die dieses Jahr in Budapest zum 30. Mal stattfinden würde.
Pride-Verbot und elektronische Gesichtserkennung
Kurz darauf verabschiedete das Parlament eine entsprechende Änderung des Versammlungsgesetzes. Demnach ist es verboten, Versammlungen zu veranstalten, die "für die Abweichung von der Identität des Geburtsgeschlechts, Geschlechtsumwandlung oder Homosexualität werben oder diese darstellen". Wer trotz dieses Verbots an einer solchen Versammlung teilnimmt, kann mit einer Geldstrafe von bis zu 200.000 Forint (knapp 500 EUR) belegt werden.

Gleichzeitig wurde eine Gesetzesänderung verabschiedet, die der Polizei breite Befugnisse gibt, elektronische Gesichtserkennung einzusetzen – und zwar nicht nur wie bisher bei schweren Straftaten, sondern auch bei Ordnungswidrigkeiten. Also etwa auch, um die Teilnehmer einer verbotenen Demonstration zu identifizieren.
Für die Durchsetzung des Pride-Verbotes ist zunächst die Polizei als Versammlungbehörde zuständig. Bei ihr müssen – ähnlich wie in Deutschland – Demonstrationen grundsätzlich angemeldet werden. Normalerweise hat die Polizei keine Handhabe, eine Demonstration zu verbieten, doch im Falle der Pride-Demo ist das nun anders. So wurde eine für den Pride Day geplante "Regenbogenparade", die von mehreren NGOs angekündigt worden war, von der Polizei mit Bezug auf das neue Gesetz verboten – das Verbot wurde auch gerichtlich bestätigt. Eine Gegendemonstration, die von der rechtsextremen Partei "Mi Hazánk" angemeldet wurde, wurde indes genehmigt.
Budapest nutzt eine Lücke im Gesetz
Der oppositionelle Oberbürgermeister von Budapest hat diese Gerichtsentscheidung gar nicht erst abgewartet: Gergely Karácsony hat angekündigt, den Pride-Marsch als eigene Veranstaltung der Hauptstadt, in Partnerschaft mit dem ursprünglichen Veranstalter, der Szivárvány Misszió Alapítvány (Stiftung Regenbogenmission), als "Freiheitsfest" zu organisieren, um ein Zeichen "für Freiheit und Gleichberechtigung” zu setzen.

Dies soll nach dem Gesetz möglich sein, denn städtische Veranstaltungen wie etwa ein Marathon oder ein Straßenfest fallen nicht unter das Versammlungsrecht. Die Polizei ist jedoch anderer Meinung: Nach der öffentlichen Ankündigung des Freiheitsfestes gab sie bekannt, dass die Veranstaltung ihrer Rechtsauffassung nach trotzdem unter das Versammlungsrecht falle und damit verboten sei.
Gergely Karácsony bleibt jedoch bei seiner Position. "Die Pride wird stattfinden", stellte er klar. "Wir halten konsequent an den verbliebenen Inseln des ungarischen Rechtsstaates fest. Wir wissen genau, was wir tun" – sagte er in einem Interview gegenüber dem Fernsehsender ATV. Auch die NGO, die die Zusammenkunft organisiert, geht weiterhin davon aus, dass er stattfinden wird.
Unterschiedliche Auffassungen von Rechtsstaatlichkeit
Im Konflikt zwischen Regierung und Hauptstadt geht es nicht um eine Detailfrage des Versammlungsrechts, sondern um grundsätzliche Auffassungen von Rechtsstaat und Demokratie. So hält der liberale Oberbürgermeister schon die beschlossene Einschränkung des Versammlungsrechts grundsätzlich für inakzeptabel und mit demokratischen Prinzipien unvereinbar: "Auf welcher Grundlage glaubt irgendjemand in einer Demokratie, er dürfe Versammlungen von Bürgern, die ihm nicht gefallen, einschränken?", so Karácsony.
Die Situation ist für die Regierungspartei Fidesz politisch heikel geworden, wie aus den Reaktionen ihrer Politiker hervorgeht. Einer der einflussreichsten Minister der ungarischen Regierung, János Lázár, zuständig für Bau und Verkehr, sagte Anfang Juni auf einem öffentlichen Straßenforum, die Regierungspartei könnte sich nun zum Gespött machen: "Wir sollten uns nicht lächerlich machen, indem wir ein Gesetz verabschieden, das wir nicht umsetzen. Denn dann sind wir noch schwächer als bevor wir angefangen haben."
EU-Parlamentarier wollen kommen
Wegen des Verbots ist das internationale Interesse an der Veranstaltung groß. Sogar Hadja Lahbib, EU-Kommissarin für Chancengleichheit, hat Presseberichten zufolge ihr Kommen angekündigt, ebenso wie etwa 70 Mitglieder des Europäischen Parlaments.

Derweil versuchen Regierungspolitiker, europäische Bedenken wegen der Einschränkung von LGBTQI+-Rechten zu zerstreuen. "In Ungarn gibt es sowas wie ein Pride-Verbot nicht", sagte etwa Europaminister János Bóka Ende Mai gegenüber seinen EU-Amtskollegen. Anlass war eine Anhörung nach Artikel 7, da derzeit ein Verfahren gegen Ungarn läuft. Der Grund: Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit. Und auch Tibor Navracsics, Minister für öffentliche Verwaltung und regionale Entwicklung und ehemaliger EU-Kommissar, sagte in einem Interview Anfang Juni, er glaube nicht, dass die Pride verboten sei und dass die Veranstaltung seiner Meinung nach stattfinden könne.
Welche rechtliche und politische Position sich in dieser noch nie da gewesenen Situation durchsetzen wird, wird sich wohl erst am Samstag und danach zeigen: Wenn die Polizei die Veranstaltung als verbotene Versammlung ansieht, könnte sie theoretisch Geldstrafen verhängen oder gar die Veranstaltung mit Gewalt auflösen – und damit Fakten schaffen, die dann wiederum durch Gerichte überprüft werden können. Nach Ansicht des Oberbürgermeisters dagegen kann niemandem durch den Besuch der Veranstaltung ein Schaden entstehen – das große internationale Interesse sei die beste Garantie dafür.
MDR (tvm)
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