Der Iran hat sich in den vergangenen Jahrzehnten ein Netzwerk aus Verbündeten in der Region geschaffen. Im aktuellen Konflikt mit Israel halten sich einige von ihnen bislang zurück. Woran liegt das?
Der Iran war in den vergangenen Jahren vor allem eines: bei Konflikten selten alleine. Mit viel Geld, Waffenlieferungen und militärischem Training hat sich Teheran in den vergangenen Jahrzehnten ein Netzwerk aus schiitischen Verbündeten in der Region geschaffen, die sich für den großen islamischen Bruder in Teheran gerne mal die Hände schmutzig machten: die sogenannte Achse des Widerstands gegen Israel.
Irans regionaler Einfluss begründe sich auf diesen sogenannten Proxies, sagte der libanesische politische Kommentator Ronnie Chatah bei Al Jazeera: Allen voran die schiitische Hisbollah-Miliz im Libanon, aber auch die Huthi im Jemen, die Hamas in Gaza und schiitische Milizen im Irak stünden an der Seite des Regimes in Teheran. Nicht zu vergessen der langjährige Diktator Assad in Syrien, dessen Machterhalt zuletzt unter anderem vom Iran abhängig war.
Irans Unterstützer sind geschwächt
Doch seit einigen Monaten bröckelt es gewaltig in den Unterstützerreihen des Iran - und das liegt nicht zuletzt an Israel, an Benjamin Netanjahus angekündigtem "Neuen Nahen Osten" und der Verschiebung der Machtverhältnisse der Region: Die Hamas ist durch den Gaza-Krieg geschwächt, wenn auch nicht geschlagen. Wichtige Anführer wie Ismail Hanija und Jahia Sinwar wurden getötet.
Die Huthi im Jemen sind als Folge ihrer Angriffe auf Israel unter Beschuss, der Flughafen in Sanaa und wichtige Infrastruktur sind zerstört. Der syrische Diktator Assad wurde von Islamisten gestürzt, Militäreinrichtungen wurden von Israel angegriffen.
Und die Hisbollah im Libanon sei im Krieg gegen Israel Ende vergangenen Jahres massiv getroffen worden, sagt der Politikwissenschaftler Mustafa Kamel as-Sayyed von der Universität Kairo: "Die Hisbollah ist extrem geschwächt. Die Anführer wurden getötet, aus dem Süden musste sich die Miliz zurückziehen, und sie wird bis heute von Israel bombardiert."
"Die Hisbollah ist in einer existentiellen Krise"
Die Hisbollah befinde sich definitiv in einer andere Lage als vorher, sagt auch Maha Yahya vom Thinktank Carnegie Institut in Beirut. "Die Hisbollah muss sich aktuell neu definieren. Sie ist in einer existentiellen Krise."
Seit dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober 2023 und dem Beginn des Kriegs im Gazastreifen hatte die Hisbollah einen Krieg mit Israel provoziert, um eine zweite Front zu eröffnen. Nach monatelangen Scharmützeln schlug Israel ab September vergangenen Jahres massiv zurück, legte die Infrastruktur der Hisbollah in Schutt und Asche, tötete fast die gesamte Führungsriege, inklusive des langjährigen Anführers Hassan Nasrallah. Seitdem sortiert sich die Hisbollah neu. Im aktuellen Konflikt schweigt die Miliz. Ein lautes Schweigen, wie es Beobachter nennen. Kann oder will die Hisbollah nicht mehr kämpfen?
Irans Optionen im Libanon seien eingeschränkt, sagt der libanesische politische Kommentator Chatah. "Die Reaktionsfähigkeit der Hisbollah dürfte nicht mehr die gleiche sein wie vor dem Krieg." Es gebe nicht mehr die gleiche starke Front. "Und das wird den Iran in Richtung Diplomatie treiben. Weil seine Möglichkeiten in der Region begrenzt sind."
Huthis demonstrativ kampfbereit
Doch kampfbereit sei die Hisbollah noch immer, betont der libanesische Journalist Amin Qamouriyeh. Er vermutet, dass die aktuelle Zurückhaltung aus dem Libanon Strategie ist: "Die Hisbollah geht davon aus, dass der Iran aktuell noch stark genug ist, sich selbst zu verteidigen. Wir haben den Punkt noch nicht erreicht, dass das iranische Regime zusammenbricht. So lange verhält sich die Hisbollah erstmal zurückhaltend."
Während die Hisbollah zögert, zeigen sich die Huthi im Jemen demonstrativ kampfbereit. Ein Huthi-Sprecher verkündete: "Die jemenitischen Streitkräfte grüßen die Islamische Republik Iran für ihren mutigen, entschlossenen und gläubigen Widerstand gegen die brutale zionistische Aggression."
Doch auch hier waren die solidarischen Angriffe mit Drohnen und Raketen nur kleinerer Natur. Der Iran scheint aktuell kein Interesse daran zu haben, seine verbliebenen Proxies, die Handlanger in der Region, zu aktivieren. Und dazu kommt: Diese Proxies haben alle eigene Interessen und sind durchaus mehr als nur Befehlsempfänger, sagt Politikwissenschaftler Mustafa Kamel as-Sayyed: "Ich bezweifle, dass es nur darum geht, Befehle aus Teheran zu bekommen. Diese Gruppen haben alle eine gewisse Autonomie und stehen in ihren Heimatländern unter Druck."
Libanon und Irak wollen herausgehalten werden
Der Libanon und der Irak haben den Iran Berichten zufolge gebeten, aus der aktuellen Eskalation mit Israel herausgehalten zu werden. Denn wenn der Iran den Konflikt ausweitet, drohen beispielsweise Angriffe auf US-Militärstützpunkte in den Golfstaaten oder im Irak. Der Iran hat im Irak große Machtstrukturen aufgebaut und Einfluss auf eine Reihe von schiitischen Milizen. Doch Angriffe auf amerikanische Soldaten würden US-Präsident Donald Trump unter militärischen Zugzwang setzen - und das will der Iran offenbar vermeiden.
"Der Iran hat bisher nur auf seine Raketen zurückgegriffen und andere Druckmittel nicht genutzt", sagt der Journalist Amin Qamouriyeh. "Auch die Straße von Hormus wurde nicht geschlossen, die Öllieferungen laufen weiter, Militärstützpunkte der USA wurden nicht angriffen. All das könnte in einer zweiten Phase passieren, je nach Entwicklung."
"Raketen lösen keine Probleme"
Beobachter zeigen sich vorsichtig optimistisch, dass eine Verhandlungslösung zwischen Israel und Iran in den kommenden Tagen möglich werden könnte. Auch US-Präsident Trump sprach von einem möglichen Deal. Doch viele Fachleute sind sich einig: Dauerhaft zur Ruhe kommt die Region nicht durch militärische Stärke und Muskelspiele Israels. Oder wie es der libanesische Kommentator Chatah ausdrückt: "Raketen lösen keine Probleme."
Entscheidend für einen friedlichen Nahen Osten sei, so sagen Experten, eine faire Lösung für die Palästinenser, eine Klärung der Zweistaatenfrage und vor allem: ein Ende des Sterbens von unschuldigen Zivilisten in Gaza. Und davon sollte, warnen Beobachter, auch der Iran-Israel-Konflikt nicht ablenken.
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