Inhalt des Artikels:
- Ständiger Streit
- Besonderheit im Krieg: Die Militärverwaltung und ihr Chef
- Korruption im Umfeld Klitschkos?
- Übermächtige Präsidentenpartei vs. oppositionelle Bürgermeister
Eine Feindschaft zwischen dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und dem Kiewer Bürgermeister Vitali Klitschko gibt es seit dem Tag, als Selenskyj 2019 ins Präsidentenbüro in der Kiewer Bankowa-Straße anzog. In den letzten Monaten eskaliert dieser Streit wieder gewaltig. So warf Klitschko dem Präsidenten im Gespräch mit der britischen Tageszeitung "The Times" jüngst "Säuberung der Demokratie unter Deckmantel des Krieges" und Autoritarismus vor. Gleichzeitig laufen mehrere Korruptionsverfahren gegen mehrere enge Verbündete von Klitschko.
Auch sonst herrscht in der Stadt Kiew seit einem halben Jahr eine politische Krise: Der neue Chef der Kiewer Militärverwaltung, der formell über Klitschko steht und de facto Selenskyjs Mann ist, befindet sich im offenen Konflikt mit dem Ex-Boxweltmeister. Beide Seiten blockieren gegenseitige Entscheidungen.
Ständiger Streit
Dies ist das bisher heftigste Kapitel im langjährigen Drama zwischen den beiden ukrainischen A-Promis. Seit 2019 versucht es das Präsidentenbüro immer wieder, Klitschko zu entmachten. Die letzte große Debatte darüber gab es im Mai 2023, als eine Mutter mit ihren Kindern während des russischen Angriffs wegen eines geschlossenen Luftschutzkellers ums Leben kam.
Ein gewählter Bürgermeister wie Klitschko kann zwar nicht einfach so abgesetzt werden. Weil aber die Stadt Kiew eine eigene Region ist – etwa, wie Berlin ein eigenes Bundesland ist – gibt es auch die Stelle eines Chefs der Lokalverwaltung, die mit der Position eines Gouverneurs vergleichbar ist. Die werden in der Ukraine vom Präsidenten ernannt. Üblicherweise ernennt der Präsident den Sieger der Bürgermeisterwahl anschließend zum Verwaltungschef. Allerdings muss er das rechtlich gesehen nicht zwingend tun. Daher wäre theoretisch eine Situation möglich, bei der Klitschko formell Bürgermeister bleibt, faktisch aber kaum mehr Einfluss hätte, weil er nicht in Personalunion auch Chef der Lokalverwaltung ist.

Damit soll Selenskyj in den vergangenen Jahren mehrfach geliebäugelt haben, umgesetzt wurde dies aber nie. Im Gegenteil: Der Präsident hat Klitschko nach dessen Wiederwahl 2020 erneut als Verwaltungschef bestätigt. Zwar bewerten politische Beobachter die Bilanz von Klitschko als Bürgermeister zwar eher als durchwachsen, doch die internationale Resonanz wäre bei einer solchen Entscheidung wohl zu groß gewesen.
Besonderheit im Krieg: Die Militärverwaltung und ihr Chef
Seit Ende Dezember 2024 geht das Präsidialbüro daher einen anderen Weg. Nach dem russischen Großüberfall im Februar 2022 existiert in Kiew auch die Stelle des Leiters der Kiewer Militärverwaltung. Formell ist er für die Kriegszeit auch die Nummer eins der Stadt. Diese Funktion wurde in der Vergangenheit von zwei Generälen ausgeübt, die sich kaum in die Stadtpolitik einmischten und sich auf militärische Fragen konzentrierten.
Inzwischen wird die Position aber vom erfahrenen Kiewer Bürokraten Tymur Tkatschenko bekleidet, der als Selenskyjs Mann gilt und ein Protegé eines seiner engsten Mitarbeiter in der Präsidialverwaltung ist. Und anders als seine Amtsvorgänger verweigert Tkatschenko öfters seine Unterschrift unter den Beschlüssen der ihm formell unterstellten Stadtverwaltung, die von Klitschko angeführt wird. Diese sabotiert ihrerseits häufig Tkatschenkos Befehle – eine absurde Blockadesituation.
Korruption im Umfeld Klitschkos?
Die Gründe dafür, dass es so weit gekommen ist, sind vielseitig. Tatsächlich wird Klitschko, seit 2014 im Amt, nicht nur für die teils katastrophale Situation im Bereich des ÖPNV verantwortlich gemacht. Ihm wird außerdem Beihilfe bei illegaler Bebauung vorgeworfen. In den letzten Monaten wurden von Antikorruptionsbehörden mehrere Verfahren gegen enge Mitarbeiter von Klitschko eingeleitet, in denen es überwiegend um den illegalen Transfer der Grundstücke über Scheinfirmen geht. Einer seiner Stellvertreter sowie der ihm nahestehende Sekretär des Stadtrates mussten ihre Posten räumen.

Auch ein weiterer Stellvertreter Klitschkos musste gehen, allerdings aus einem anderen Grund: Dieser soll die illegale Ausreise von ukrainischen Männern, die im Alter zwischen 18 und 60 Jahren während des Kriegsrechts das Land nicht verlassen dürfen, mitorganisiert haben. Der Name Klitschko taucht in diesen Verfahren nicht auf, wirft aber einen Schatten auf den Ex-Boxweltmeister.
"Wie lange muss sich der Präsident das antun?", erklärt ein namentlich nicht genannter Gesprächspartner aus Selenskyjs Umfeld gegenüber der führenden Online-Zeitung Ukrajinska Prawda die Ernennung sowie das Handeln von Tkatschenko. "Die Stadt wird betrogen, es werden Grundstücke verschenkt." Die beiden Vorgänger von Tkatschenko hätten alles unterschrieben, was sie auf den Tisch bekommen haben – ohne hinzuschauen. Das hätte so nicht weitergehen können.
Übermächtige Präsidentenpartei vs. oppositionelle Bürgermeister
Doch es geht auch um politische Konkurrenz: Obwohl Klitschko kaum realistische Chancen auf die Präsidentschaft hätte, hat er seine Ambitionen auf das Amt wohl nicht aufgegeben. Dem beliebten Amtsinhaber Selenskyj kann er aber wohl nicht gefährlich werden: Seine Umfragewerte liegen derzeit im niedrigen einstelligen Bereich.
Dennoch ist Klitschko einer der prominententesten Oppositionspolitiker in einem Land, in dem die Opposition derzeit einen schweren Stand hat: Denn Selenskyj gewann 2019 nicht nur die Präsidentschaftswahl, seine Partei holte auch die absolute Mehrheit im Parlament. Damit ist aus der Ukraine, eigentlich einer semipräsidentiellen Republik mit starkem Parlament, für diese Amtszeit quasi ein Präsidialsystem geworden. Dass die wichtigste Stadt des Landes mit rund drei Millionen Einwohnern dabei von einem Oppositionspolitiker verwaltet wird, hat das Präsidentenbüro die ganze Zeit gestört. Außerdem gefällt es dem Präsidenten sicher nicht, dass Klitschko kaum eine Möglichkeit verpasst, ihn in internationalen Medien scharf zu kritisieren. Dies tut der Bürgermeister sehr wohl aber auch, um seine eigene Position und sich selbst zu schützen.

Wie auch immer das Duell von Selenskyj und Klitschko am Ende ausgeht: In jedem Fall erlebt die Stadt Kiew nun, dreieinhalb Jahre nach Beginn des russischen Angriffskrieges, eine politische Krise, bei der keine Lösung in Sicht ist. Der von Selenskyj eingesetzte Leiter der Militärverwaltung hat in vielen Fragen und auch bei den Beschlüssen des Stadtrates das faktische Vetorecht. Das Team um Klitschko ignoriert jedoch häufig seine Anordnungen – und auch im Stadtrat besitzen die Oppositionsfraktionen die Mehrheit. Dass Selenskyj Klitschko vollständig entmachtet, ist aufgrund der zu erwarteten Reaktionen aus dem Ausland, auch aus Deutschland, weiterhin eher unwahrscheinlich. Mit Blick auf die verstärkten russischen Angriffe gegen die ukrainische Hauptstadt kommt diese hausgemachte Blockade jedoch ganz klar zur Unzeit.
MDR (tvm)
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