Inhalt des Artikels:
- Illegale Entsorgung mit politischer Rückendeckung?
- Müllberge statt Lösungen: Wie Kroatien mit Abfall umgeht
- Müllflut im kroatischen Urlaubsparadies
Es ist ein kühler Frühlingsmorgen als ich mit Mile Ilić zwischen Güterwaggons hindurch über verwilderte Gleise klettere. Wir sind am Stadtrand von Gospić, einer Kleinstadt im Herzen Kroatiens. Nordöstlich liegt der Nationalpark Plitvicer Seen mit seinen weltberühmten Wasserfällen, südwestlich die Strände der Adria, nur eine Stunde Autofahrt durch das Velebit-Gebirge entfernt.

Dazwischen erstreckt sich die Region Lika, ein Naturparadies voller Wälder, Bären und forellenreicher Flüsse, fernab der typischen Touristenhochburgen. Doch Ilić, Mitte siebzig, ist kein Fremdenführer. Er ist Umweltaktivist auf dem Weg zu einem Tatort. Die Spuren des Verbrechens liegen offen vor uns, doch seine Folgen könnten noch jahrzehntelang unter der Oberfläche lauern.
Nach einigen Umwegen erreichen wir ein altes Industriegelände in der Nähe des Bahnhofs, leerstehende Lagerhallen und verfallene Silos prägen das Bild. Auf den ersten Blick kein ungewöhnlicher Ort, bis Ilić auf den Boden zeigt. Überall glitzern bunte Plastiksplitter im Sonnenlicht. Es sind Spuren des giftigen Mülls, der während der letzten drei Jahre illegal entsorgt wurde.

Illegale Entsorgung mit politischer Rückendeckung?
Die breite Öffentlichkeit erfuhr davon, als im Februar 13 Personen verhaftet wurden, die in eine groß angelegte, illegale Müllentsorgung verwickelt sein sollen. Darunter etwa die Frau eines bekannten kroatischen Juweliers und Mitarbeiter der Stadtreinigung von Gospić. Schätzungen gehen von rund 35.000 Tonnen Abfall aus, der unter anderem auf diesem alten Fabrikgelände vergraben wurde, teils bei Tage und offen vor aller Augen. Was genau dort alles liegt, weiß niemand genau. Europol spricht von medizinischem Abfall aus verschiedenen Ländern der EU, darunter auch Deutschland. Erste Analysen zeigen alarmierende Werte: Arsen doppelt so hoch wie erlaubt, Zink 21-fach über dem Grenzwert, dazu erhöhte Konzentrationen von Chrom, Kupfer, Nickel und Blei.
"Man hat ausgerechnet, dass hier rund 1.300 LKWs entladen wurden", sagt Ilić. Würde man alle die LKW aneinanderreihen, die hier ausgeladen wurden, ergebe das eine Fahrzeugschlange von über 20 Kilometern. – "Und niemand will etwas bemerkt haben." Für Ilić steht fest: "So etwas kann nur mit politischer Rückendeckung geschehen sein." Tatsächlich sollen für die Entsorgung der giftigen Abfälle mehrere Millionen Euro an eine kroatische Firma gezahlt worden sein. Deren Betreiber sitzen mittlerweile in Untersuchungshaft, doch entdeckt hat den Skandal nicht die kroatische Justiz, sondern Europol. Ilić wundert das wenig: "Kroatien hat weder die Kapazitäten noch den politischen Willen, das aufzuklären."
Müllberge statt Lösungen: Wie Kroatien mit Abfall umgeht
Der Fall von illegaler Giftmüllentsorgung in Gospić ist allein durch seine Ausmaße besonders aufsehenerregend. Doch dass in puncto zeitgemäßer Müllentsorgung in Kroatien auch sonst noch vieles im Argen liegt, darauf weist die Zagreber NGO "Ekologija grada" hin. Die Organisation schätzt, dass es landesweit rund 25.000 illegale Deponien gibt. "Zum größten Teil handelt es sich dabei um kleinere Deponien, auf denen skrupellose Personen ihren Müll entsorgen. Doch wächst die Zahl gut organisierter und viel genutzter Deponien, die bis zu 300.000 Quadratmeter groß sind von Jahr zu Jahr", sagt Josip Pavlović, Vorsitzender von "Ekologija grada". Den Grund sieht Pavlović insbesondere im veralteten System der Müllentsorgung in Kroatien. "Unser Abfallmanagement basiert noch immer auf einem sehr primitiven und schlechten Entsorgungsweg – dem Lagern auf Deponien. Diese sind längst überfüllt, doch das Müllaufkommen steigt weiter."
Tatsächlich ist Kroatien bei den Themen Mülltrennung und Müllverwertung Schlusslicht in der EU und lagerte laut Daten der Europäischen Umweltagentur 2022 immer noch 56 Prozent der kommunalen Abfälle auf Deponien, während der EU-Durchschnitt nur 17 Prozent betrug. Das soll sich laut kroatischer Regierung bald ändern, denn bis 2028 sollen landesweit insgesamt elf moderne Abfallwirtschaftszentren ihren Betrieb aufnehmen. Dann sollen bestehende Deponien mit Unterstützung des Staates saniert werden – auch illegale.
Müllflut im kroatischen Urlaubsparadies
In Gospić warnt Ilić, es sei nur eine Frage der Zeit, bis der dort gelagerte Müll sich zersetze und Schadstoffe ins Grundwasser sickerten. Das hätte Auswirkungen sowohl für die lokale Bevölkerung als auch auf den Tourismus an der Adriaküste. Die Region Lika ist reich an bisher sauberem Grundwasser, einer natürlichen Ressource, die durch Gier und kriminelle Machenschaften bedroht sei: "Man muss nicht sonderlich intelligent sein, um das zu verstehen." sagt Ilić. "Der Müll wird nicht adäquat gelagert, sondern lediglich vergraben. Es ist alles porös und es ist nur eine Frage der Zeit, bis Schadstoffe tief in die Erde und das Grundwasser sickern. Kein Zweifel, unser Grundwasser ist bedroht." Auch die Bevölkerung protestiert seit Monaten und fordert eine rasche Räumung des Giftmülls. Doch bisher verlaufen die Ermittlungen schleppend und eine Sanierung der Deponie ist noch nicht in Sicht.
Dabei hätte die Regierung auch einen rein wirtschaftlichen Grund, rasch zu handeln: Rund 20 Prozent des kroatischen Bruttoinlandsproduktes stammen aus dem Tourismus. Und der steht zunehmend unter Druck, da sich während der Sommermonate in manchen Regionen das Müllaufkommen verdreifacht, bei gleichbleibender Entsorgungsinfrastruktur.
Im Unterschied zu anderen Mittelmeerregionen hat Dalmatien einen Vorteil: Während der Urlaubssaison gibt es keine Probleme mit der Trinkwasserversorgung, denn die Küste wird mit Frischwasser aus dem Hinterland versorgt. Doch das könnte sich ändern, sollten Schadstoffe aus Deponien wie in Gospić in die Reservoirs gelangen. Illegale Ablagerungen von Sondermüll und eine überholte Abfallwirtschaft – für die Menschen vor Ort ein nicht kalkulierbares Risiko, das in Zukunft auch so manche Urlaubsträume platzen lassen könnte.
MDR (usc)
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