Kaum eine Persönlichkeit aus dem Trash-TV-Genre polarisiert so sehr wie Harald Glööckler. Woran liegt das? Versuch einer kritischen Würdigung zum 60. Geburtstag.

Für ein Videoformat wurde Harald Glööckler nach seinem Lieblingsmenschen befragt. Wie üblich sitzt er dabei in einem goldverzierten Sessel vor einer schwülstigen Schnörkel-Tapete, wie man sie sonst nur im Hause Trump vermutet. Er trägt Netzhemd und eine Art Chanel-Jäckchen, das zu etwas mutiert ist, das möglicherweise zubeißt. Dazu die obligatorische Perlenkette und falsche Fingernägel. 

Dann beantwortet er die Frage, wen er am meisten liebt: "Mich, mich, mich, mich, mich, mich, mich, mich, mich, mich, mich, mich, mich, mich, mich." Insgesamt 15 Mal. Man muss kein Psychologe sein, um zu ahnen, dass möglicherweise das Gegenteil davon wahr sein könnte. 

Harald Glööckler: Mensch ohne Meta-Ebene

Happy Böööörthday, Glööckler! Es fällt nicht ganz leicht, ihn zu seinem runden Jubiläum uneingeschränkt hochleben zu lassen. Dabei gab es viele funkelnde Figuren seiner Art, die man gerne mochte, egal wie egozentrisch, abgehoben oder zwischendurch peinlich sie gewesen sein mögen. Sind es nicht gerade diese Fabelwesen unserer Gesellschaft, die uns vom fiesen Weltgeschehen ablenken und alles irgendwie erträglich machen? Klaus Nomi, Lotti Huber, Olivia Jones, Siegfried & Roy, Nina Hagen, Eva und Adele – so viele wundervolle Pfauen, die dieses Land mit ihrem Schillern auch erleuchteten. Schnell fällt auch der Unterschied ins Auge: Sie alle konnten etwas, das mehr war, als bloß schräg und laut zu sein. 

Was kann Glööckler? In jedem Fall ist er unterhaltsam, manchmal zumindest. In den Tagen vor seinem Jubeltag belieferte er die Presse mit den üblichen Bonmots, launigen Sätzen und druckreifen Enthüllungen. Der Geburtstag sei "als ob man einen schlechten Liebhaber hat: Man muss stillhalten, bis es vorbei ist", sagt er etwa der "Bild". Sein von Schönheitschirurgen zur Groteske umgestaltetes Gesicht bereue er nicht: "Nach der OP ist vor der OP", sagt er selbstbewusst.

Glööckler-Vorbild Mosi: Mehr Kostüm als Mode

All das erinnert natürlich an den Münchner Modepfau Rudolph Moshammer, dessen Karriere Glööckler zumindest inspiriert haben dürfte. Moshammer hat wie er keine einzig relevante Mode-Kollektion hervorgebracht und trotzdem Geld gescheffelt und die Klatschspalten regiert. Bei Mosi gingen in der Maximilianstraße die Scheichs und Society-Ladys ein und aus, Glööckler ließ Gina Lollobrigida, Helmut Berger oder Amanda Lear für seine Inszenierungen aufmarschieren. Beiden gelang es, über ihre Irrelevanz als Modeschöpfer hinwegzutäuschen. Während der Münchner seine Etiketten in Stangenware einnähen ließ, verhökerte der nach Berlin emigrierte Schwabe Glööckler Miederhöschen und Schillerkitsch auf diversen Shoppingkanälen.

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In seiner 2024 erschienenen Biografie "Desaströös bis Pompöös" erzählte Glööckler seine erschütternde Lebensgeschichte, die so reich an dramatischen Momenten ist. Man ist durchaus beeindruckt, wie sich der 1965 als Harald Glöckler mit noch einem "ö" geborene Sohn eines brutalen Metzgers aus Maulbronn-Zaisersweiher aus seinem beängstigenden Milieu befreite. Der Alkoholiker-Vater verdrosch die Familie, Glöckler musste Erfahrungen mit sexuellem Missbrauch machen, seine Mutter starb einen blutigen Unfalltod, für den er den Vater verantwortlich macht.

Der Teenager träumte sich also hinaus aus der Scheiße seiner Kindheit, entwarf Abendroben, die schon damals mehr ausladende Kostüme waren als tragbare Mode. Jedoch macht er Karriere damit, auch wenn der Mief der prekären schwäbischen Provinz immer wieder zwischen all dem Strass und Glitzerstoff hervorlugt, gilt: Was gelingt, kann nicht schlecht sein.

Die Gewalt seiner Kindheit lebt in seiner Sprache fort

Es mag sein, dass Harald Glööckler sich als Opfer von Brutalität und Gewalt befreit hat. Wirklich überwunden hat er sie nie. Im Gegenteil, er kultiviert sie in seinen diversen Reality-Formaten und der aktuellen Show "My Style Rocks" geradezu. Während queere Kunstfiguren die Enge und Provinzialität, aus der sie stammen, überwinden, indem sie diese ironisieren oder persiflieren, integriert Glööckler Misogynie in seine Glitzer-Fernseh-Welt. Deshalb ist er kein queeres Gesamtkunstwerk und auch nicht camp.

Sollten wir ihm nicht dankbar sein, dass er das Trash-TV funkeln lässt und uns nicht mit den allgegenwärtigen Reality-Dämlacks in Camp David-Sweatshirts allein lässt? Und: Gibt ihm sein Erfolg nicht recht? Schlechter Geschmack ist doch Geschmacksache und kein Verbrechen! 

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Misogyner Wutausbruch als Erfolgsmodell

Zurzeit feiert Harald Glööckler vor allem als Meme Erfolge, im Internet ist er jetzt eine veritable Tiktok-Größe. In einem TV-Ausschnitt drischt Glööckler auf den Tresen der Jurorenbank und brüllt aggressiv zu einer der Kandidatinnen: "Mann!". In wenigen Tagen waren Abwandlungen entstanden und für Tiktok-Clips in Popsongs montiert worden. Etwa Herbert Grönemeyers "Wann ist ein Mann ein MANN" oder "Gimme, gimme, gimme a MANN! after Midnight" von Abba.

Leute "Halbzeit bei mir": Harald Glööckler wird 60

Entnommen ist der Ausschnitt aus Glööcklers aktuellem Engagement als Juror einer Sendung namens "My Style rocks" auf dem Spartensender  Sport 1. Die durchschnittliche Zuschauermenge würde auch in manche Turnhalle von Maulbronn passen, zwischendurch wurde sogar ein Marktanteil von 0,0 Prozent gemessen. Doch der Algorithmus findet Haralds Gewaltausbrüche leider geil. Man spürt förmlich, dass die Regie immer neue Herabwürdigungen der Kandidatinnen von ihm erwartet – und sieht, wie er liefert. Egal wie rot er sich die Jocelyn-Wildenstein-Gedächtnis-Lippen schminken mag – hier geschehen die widerlichsten Mansplaining-Momente des deutschen Fernsehens. Auch wenn sich ein Mann rote lange Fingernägel anklebt, kann es nicht angehen, dass er es zu einem Geschäftsmodell erhoben hat, junge Frauen zu beschimpfen, anzubrüllen und fertig zu machen.

Heute Abend wird Harald Gööckler in High Heels und einem tiefroten Diven-Outfit auf seine Party am Scharmützelsee kommen und sich feiern lassen. Das soll er auch. Wir wünschen ihm alles Gute – und fürs neue Lebensjahr ein paar Momente der Selbstreflexion. Ein Geschenk, das er sich dringend selbst machen sollte.

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