WELT: Frau Karsch, Sie haben mehrfach gesagt, dass Sie es leid sind, thematisieren zu müssen, dass eine Frau den „Playboy“ leitet. Was stört Sie an dieser Frage?
Myriam Karsch: Dass es immer noch viele Menschen überrascht. Eine Frau, dazu noch Mutter, in einer Führungsposition. Bei einem vermeintlich frauenfeindlichen Magazin! Das scheint viele zu irritieren. Manche fangen sogar an zu kichern, als wäre das irgendwie lustig. Nicht alle reagieren so, aber mehr, als man denken würde.
WELT: Haben Sie den Eindruck, dass sich die Wahrnehmung des Magazins in den letzten Jahren verändert hat, seit Sie an der Spitze stehen?
Karsch: Absolut. Vor zehn, fünfzehn Jahren war die Verwunderung noch größer. Heute begegnet mir auch echtes Interesse – im Sinne von: „Erzähl mal, wie bist du da gelandet?“
WELT: Wie sind Sie denn beim „Playboy“ gelandet?
Karsch: Ich war Werkstudentin bei Burda, saß im siebten Stock, direkt gegenüber vom Castingzimmer der Playmates. Ich fand es wahnsinnig spannend. Der „Playboy“ war das einzige Magazin, das ich immer mit nach Hause genommen habe. Nach einer Zwischenstation bei Springer wollte ich unbedingt zurück zu Burda – und als zwei Stellen frei wurden, war für mich sofort klar: Ich will zum „Playboy“.
Zusammen mit Chefredakteur Florian Boitin übernahm Myriam Karsch 2019 im Rahmen eines Management-Buy-outs die deutsche „Playboy“-Lizenz – ein Schritt, den sie als „Befreiungsschlag“ bezeichnet. Heute finanziert sich das Magazin fast ausschließlich über Leserinnen und Leser, mit knapp 50.000 Abonnenten im Jahr 2024. Bei der Leseplattform Readly ist der „Playboy“ das meistgelesene Magazin Deutschlands. Werbung macht nur noch rund zehn Prozent des Umsatzes aus.
WELT: Woher wissen Sie, dass sich Frauen selbstbestimmt entscheiden, sich im „Playboy“ auszuziehen?
Karsch: Die meisten Frauen kommen selbst auf uns zu – das ist schon mal ein klares Signal. Oft gibt es einen biografischen Impuls: eine Trennung, einen runden Geburtstag, einen Karriereschritt oder einfach das Gefühl, sich in der eigenen Haut wohler zu fühlen als je zuvor. Diese Entscheidung ist durchdacht und reflektiert.
WELT: Wo endet für Sie selbstbewusste Nacktheit und wo beginnt strategische Verfügbarkeit?
Karsch: Ich maße mir nicht an, das zu bewerten. Ob sich jemand aus emotionalen, ästhetischen oder strategischen Gründen nackt zeigt – das ist die Entscheidung der Frau. Selbstbewusste Nacktheit erkennt man daran, dass sie gewollt ist – nicht daran, ob sie jemand anderem passt.
WELT: Warum tun sich so viele mit selbstbestimmter, weiblicher Sexualität so schwer?
Karsch: Weil sie mit anderen Bildern groß geworden sind. In vielen Köpfen ist Sexualität der Frau noch immer ein Tabu. Dazu kommen kulturelle und religiöse Prägungen. Ich finde, wir müssen akzeptieren, dass Frauen sexuelle Wesen sind – und dass sie Lust zeigen dürfen.
WELT: Ist Nacktheit heute automatisch ein politisches Statement?
Karsch: Ich glaube schon. Wenn eine Schauspielerin oder ein Reality-Star nackt im „Playboy“ zu sehen ist, heißt es schnell: „War ja klar.“ Aber wenn eine Sportlerin, eine Politikerin oder eine Intellektuelle sich zeigt, sind viele irritiert. Besonders erinnere ich mich an Simone Thomalla – damals hat das richtig Wellen geschlagen. Öffentlich-rechtliches Fernsehen, „Tatort“, Mutterfigur und „Playboy“ – das passte für viele nicht zusammen. Das zeigt doch, wie tief diese Bilder noch sitzen und wie sehr sich gesellschaftliche Akzeptanz an Rollenbildern orientiert.
WELT: Was sagen Sie jenen, die behaupten: Eine Frau, die sich auszieht, ist nicht automatisch feministisch?
Karsch: Dann sage ich: stimmt. Aber es gibt eben auch nicht den einen Feminismus. Ich finde, wir könnten uns viel häufiger über wirklich relevante feministische Themen unterhalten, statt ewig die Frage zu wälzen, ob sich eine Frau für den „Playboy“ ausziehen darf. Diese Spannung gehört aber auch zur Marke. Wenn es alle okay fänden, was wir machen, wäre der „Playboy“ wahrscheinlich irrelevant.
WELT: Was halten Sie von Feministinnen, die andere Frauen für erotische Selbstinszenierung kritisieren?
Karsch: Das kommt häufig vor, und ich finde es schwierig. Denn es spricht Frauen ab, dass sie eine bewusste Entscheidung treffen. Die Vorstellung, dass eine Frau, die sich nackt zeigt, automatisch ein Opfer patriarchaler Strukturen ist, finde ich entmündigend. Emanzipation heißt doch: Ich entscheide selbst, was ich mit meinem Körper tue – und lasse mich nicht von anderen Frauen dafür verurteilen.
WELT: Gibt es für Sie einen Feminismus ohne moralische Vorschriften?
Karsch: Ich glaube, sobald man über gesellschaftliche Fragen nachdenkt – ob im Feminismus, in der Soziologie oder Ethik –, entsteht automatisch eine Idee davon, wie Dinge sein sollten. Ein Streben nach einem Idealzustand. Das ist nicht unbedingt schlecht. Es braucht diese idealistischen Entwürfe, sonst gäbe es keinen Diskurs. Für mich persönlich ist das aber nicht dogmatisch. Wir machen ein Lifestyle-Magazin. Wir erzählen Geschichten. Und wenn dabei mal eine Grenze überschritten wird oder sich jemand provoziert fühlt, dann ist das so – vielleicht gehört genau das zur Debatte dazu.
WELT: Welche „Playboy“-Cover haben besonders provoziert?
Karsch: Bei Sila Sahin, einer deutsch-türkischen Schauspielerin, gab es heftige Anfeindungen. Giuliana Farfalla war die erste Transfrau auf einem „Playboy“-Cover in Deutschland – auch das wurde stark kritisiert. Und als Désirée Nick mit 66 Jahren aufs Cover ging, kamen Kommentare, die von Altersdiskriminierung bis zu Nekrophilie reichten.
WELT: Sie haben mal gesagt: „Nicht überall, wo Sex draufsteht, ist Sexismus drin.“ Wo ziehen Sie die Grenze zwischen offener Sexualität und sexistischer Darstellung?
Karsch: Wenn ich mich nackt zeige, ist das meine Entscheidung. Wenn jemand daraus ableitet: „Die hat’s nötig“ oder „Das ist doch reine Selbstausbeutung“, dann liegt das Problem nicht im Bild, sondern in der Interpretation. Sexistisch wird es immer dann, wenn die Handlung der Frau entmündigt, lächerlich gemacht oder abgewertet wird.
WELT: In den USA hatte der „Playboy“ 2015 entschieden, keine Nacktheit mehr zu zeigen. Wie haben Sie damals reagiert?
Karsch: Die amerikanische Entscheidung lautete damals: Nacktheit ist online überall verfügbar, wir brauchen sie im Heft nicht mehr. Ein Jahr später wurde das wieder rückgängig gemacht. Wir in Deutschland haben gesagt: Das ist für uns kein Weg. Der deutsche „Playboy“ ist nackt.
WELT: Wann ist ein erotisches Bild für Sie gelungen?
Karsch: Wenn es nicht pornografisch ist – da gibt es klare Grenzen. Ansonsten ist das sehr subjektiv. Ob ein Bild erotisch ist, hängt für mich stark davon ab, ob ich den Menschen sympathisch finde.
WELT: Ab wann ist ein Bild denn pornografisch?
Karsch: Für mich ist das eine Frage der Bildsprache. Erotik zeigt, lässt offen, spielt mit Andeutung, Licht und Perspektive – Pornografie hingegen stellt zur Schau. Es hat viel mit dem Blickwinkel zu tun: Erotik arbeitet subtil, Pornografie explizit. Ein zentrales Unterscheidungskriterium ist für uns auch, welche Geschlechtsorgane in welcher Form zu sehen sind – und ob sie überhaupt zu sehen sind. Der Jugendschutz hat hier klare Vorgaben, und an die halten wir uns. Wir achten sehr genau darauf, dass unsere Bilder eine Einladung zur ästhetischen Auseinandersetzung sind – keine bloße Zurschaustellung.
WELT: Sie haben mal geschrieben: „Schönheit ist ein Feuer in einem Menschen, das andere anzieht.“
Karsch: Manchmal läuft man durch die Straße und ist plötzlich von jemandem fasziniert, ohne genau sagen zu können, warum. Schönheit ist nicht nur ein äußerliches Ideal – es hat viel mit Ausstrahlung zu tun.
WELT: Es gibt die Idee der Körperneutralität. Dieser Ansatz besagt, dass der Körper nicht mehr positiv oder negativ, also auch als schön oder sinnlich, betrachtet werden soll, sondern lediglich als funktional und selbstverständlich. Sie haben sich kritisch zu diesem Konzept geäußert – warum?
Karsch: Weil ich den Eindruck habe, dass der Wunsch, den Körper zur Nebensache zu machen, an der Realität vieler Menschen vorbeigeht. Das Streben nach Schönheit ist ein grundlegendes menschliches Bedürfnis. Wir beschäftigen uns mit unserem Äußeren – ob wir wollen oder nicht. Auch meine Töchter, 10 und 13 Jahre alt, fangen gerade damit an, ihr Taschengeld in die Drogerie zu tragen. Wir finden Menschen schön oder eben nicht – das ist menschlich. Ich finde, es ist ehrlicher, sich mit dem Körper auseinanderzusetzen, statt so zu tun, als sei er uns egal.
WELT: Was entgegnen Sie dem Vorwurf, das Frauenbild im „Playboy“ habe sich seit Marilyn Monroe kaum verändert?
Karsch: Ich frage dann meistens zurück: Wann hattest du zuletzt einen „Playboy“ in der Hand? Viele urteilen, ohne sich die aktuellen Ausgaben anzuschauen. Wir haben heute sehr unterschiedliche Frauen im Heft – Danni Büchner und Melody Haase sehen zum Beispiel völlig verschieden aus. Es ist ja auch kein Wunschkonzert – wir suchen nicht nach bestimmten Körbchengrößen oder Haarfarben. Die Frauen kommen oft auf uns zu, oder wir akquirieren sie aus der Öffentlichkeit – und die entscheidet letztlich, wer dort gerade sichtbar ist.
WELT: Man erkennt dennoch eine Markenästhetik, auch in der Retusche.
Karsch: Zuerst mal: Wir retuschieren nicht pauschal und nicht ungefragt. Es ist ein Prozess, der gemeinsam mit den Frauen stattfindet. Sie wählen die Bilder aus, sie geben sie frei. Wenn jemand sagt: „Ich fühle mich wohler, wenn die Haut ein bisschen glatter aussieht“, dann respektieren wir das. Und manchmal wird nur wenig retuschiert. Bildbearbeitung gehört heute zu jeder Produktion dazu – sei es für Licht, Schatten oder Farbe.
WELT: 13 Prozent Ihrer Leser sind Frauen. Haben Sie Rückmeldungen, was sie am „Playboy“ interessiert?
Karsch: Das sind Frauen, die keine Lust auf klassische Frauenzeitschriften haben. Sie interessieren sich für gute Geschichten, gut geschriebene Texte und auch für andere Frauen – für deren Körper und Entscheidungen.
WELT: Und wie sieht der typische „Playboy“-Mann aus?
Karsch: Durchschnittlich 41 Jahre alt, leitender Angestellter oder Unternehmer, er genießt das Leben. Er ist hedonistisch, konsumfreudig. Er ist einer, der den „Playboy“ selbstbewusst aufs Kassenband legt, ohne das Cover umzudrehen.
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