Anders als an den deutschen Grenzen haben Bundesminister in deutschen Schulen keine Verfügungsgewalt. Deshalb wird die Zurückweisung des Gendersternchens durch die neue Bildungsministerin Karin Prien (CDU) vermutlich keine direkten Konsequenzen haben. Sie sagt im Interview mit der „Zeit“ ja nichts, was nicht schon länger bekannt ist – aber von einzelnen Bundesländern, die ihren Politikjargon retten wollen, dennoch ignoriert wird: Der Rat für deutsche Rechtschreibung hat erklärt, dass Gendersterne und andere Sonderzeichen, die für die „geschlechtergerechte“ Sprache verwendet werden, nicht Teil der Rechtschreibung sind.

Darüber hinaus haben die Mitglieder des Gremiums ausdrücklich von der Verwendung solcher Zeichen abgeraten – mit ähnlichen Argumenten wie jetzt Prien, die betont: „Gerade in einem Einwanderungsland ist es wichtig, dass nach einheitlichen Regeln unterrichtet und geschrieben wird.“ Man kann ergänzen: Noch wichtiger ist das in einem Land, in dem auch Biodeutsche immer mehr Rechtschreibschwächen haben.

Es ist aber schon mal ein gutes Signal, dass eine Bildungsministerin die Beherrschung der Rechtschreibung überhaupt noch für ein wichtiges Lernziel hält. Anders als der Ministerpräsident von Baden-Württemberg, der in den vergangenen Jahren immer mehr in eine gewisse trumpeske Altersquatschkopfhaftigkeit abdriftet und verlauten ließ, Orthographie sei angesichts der modernen Technik nicht mehr so wichtig. Und anders als all die unbekannten Schulreformer, Didaktiker und Schwellenabsenker, die dafür gesorgt haben, dass Rechtschreibübungen und Diktate heute im Deutschunterricht nicht mehr so großen Raum einnehmen wie früher.

Das Gendersternchen und seine bucklige Sonderzeichen-Verwandtschaft sind emblematisch für die Verschiebung der Prioritäten: Schüler und oft genug auch Lehrer, die immer weniger lesen und häufig Mühe haben, korrekte deutsche Sätze zu formulieren, wollen eine Sprache, deren Komplexität sie nicht verstehen, aus politischen Gründen umbauen. Politiker und deren „Beauftragte“ unterstützen sie bei dieser Enteignung der Bevölkerungsmehrheit.

Denn die deutsche Sprache ist das einzige echte Volkseigentum. Sie gehört allen Deutschsprechern. Sie wurde geschaffen durch Milliarden alltäglicher Sprachentscheidungen, die zig Millionen unserer Vorfahren in den 1200 Jahren ihrer Existenz getroffen haben. Obrigkeitliche Sprachlenkung war immer nur dann erfolgreich, wenn ihre Vorgaben von einer Mehrheit als vernünftig und hilfreich angesehen wurden. Das ist ganz offensichtlich bei der Gendersprache und ihrem Karneval der Sonderzeichen nicht der Fall.

Es ist bezeichnend, dass selbst eine CDU-Ministerin nicht fähig ist, jenes monströse und unlogische Sprachenkonstrukt und die ihm zugrundeliegenden pseudowissenschaftlichen Annahmen klar als Quatsch zu erkennen und zu benennen. Auch Prien beugt sich vor dem Gessler-Hut, wenn sie sagt: „Geschlechtersensible Sprache ist wichtig“ – als wäre das Deutsche in seiner bisherigen Form ein Unrechtssystem, das dringend überwunden werden muss.

Aber vielleicht darf man von Prien auch nicht mehr Erkenntnis und mehr Mut, sich gegen eine genderbürokratische Lobby zu stellen, erwarten als von ihrem Chef. Auch Friedrich Merz nutzt bei der Nennung von Berufs- oder Personenbezeichnungen immer die Doppelformen: „Bürgerinnen und Bürger“, „Jüdinnen und Juden“, „Wählerinnen und Wähler“. Es ist die minimalinvasivste Art zu Gendern, und sie ist grammatisch erlaubt. Aber sie ist so überflüssig wie alle anderen.

WELT-Redakteur Matthias Heine beschäftigt sich journalistisch seit Langem mit Sprache und Schrift. Er ist Autor des neuen Buches „Der große Sprachumbau. Eine gesellschaftspolitische Katastrophe“ (Langen Müller).

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