Ein Mann im Anzug steigt zur Zeit der vorletzten Jahrhundertwende in der Lüneburger Heide aus einer Kutsche. Er geht ein paar Schritte, kniet sich hin, greift mit der rechten Hand in die Erde und zerreibt sie, hält sie prüfend unter die Nase. Dazu erklingt über dem Backgroundsound eines Akkordeons unheilschwanger eine Mundharmonika, die in ihrer Intensität nicht von ungefähr an „Spiel mir das Lied vom Tod“ erinnert.
Die nächste Szene zeigt zur weiterlaufenden Musik ein Loch in der schwarzen Erde. Diesmal stecken an einem anderen Ort Frauenhände eine vorgekeimte Kartoffel hinein, die Melodie klingt aus. Als die Frau den Kopf hebt, sieht sie, wie drei Furchen weiter eine andere Feldarbeiterin zusammenbricht. Sie eilt zu ihr und will helfen, da kommt der Bauer und schlägt beide – „Los, Aufstehen“ – mit der Peitsche.
Doch der sadistische Bauer Schröter (Merlin Sandmeyer) ist an die Falsche geraten. Johanna Lambert (Harriett Herbig-Matten) fällt ihm in den Arm, was ihn noch wütender macht. Es gelingt ihr, wegzurennen. Auf der Flucht kommt sie am Pferd des Bauern vorbei, wirft sich kurzentschlossen in den Sattel, jagt im Galopp durch die Heide und lässt ihn hilflos zurück. Wenn die junge Frau eines nicht ertragen kann, dann ist es Ungerechtigkeit – obwohl sie durch ihr impulsives Verhalten ihre Arbeit als Magd verliert.
Die Einstiegssequenz der ARD-Reihe „Schwarzes Gold“ enthält alle Elemente, die den Western über den historischen Ölboom in der Lüneburger Heide zu einer der stärksten Miniserien der letzten Jahre machen. Sie wird in sechs Folgen ausgestrahlt. Harriet Herbig-Matten zieht im Gespräch mit WELT Parallelen zu unserer Zeit: „Auch heute geht es wieder um Umweltschutz, Machtmissbrauch, Gleichberechtigung, Liebe und Zusammenhalt“, fasst sie die wichtigsten Themen zusammen.
Johanna ist die Heldin der Serie, die gegen den reichen Bauern Wilhelm Pape aufbegehrt, dem Tom Wlaschiha („Game of Thrones“) gefährliche Größe verleiht. Sie liebt ausgerechnet dessen Sohn Richard (Aaron Hilmer), der unter der Fuchtel seines Vaters steht, ihre Gefühle aber erwidert. „Schwarzes Gold“ erzählt also in insgesamt viereinhalb Stunden, komplex angelegt wie ein typisches Western-Epos aus Hollywood, eine Geschichte von Verrat und dem Traum vom schnellen Reichtum auf der einen, von einer Romeo-und-Julia-Liebe und dem Aufbegehren gegen Willkür auf der anderen Seite.
Dabei lebt die Reihe nicht nur von ihren starken Darstellern, sondern auch von den einfühlsamen Aufnahmen der Kameramänner Jörg Widmer und Andreas Köhler sowie des Soundtracks. Die stammt von Oscar-Preisträger Hans Zimmer und dem Geiger Aleksey Igudesman, die bereits beim Dokumentarfilm „Jealous of the birds“ von Jordan Bahat über Holocaust-Überlebende zusammengearbeitet haben. Die Komponisten nutzen vorrangig die Folklore-Instrumente Akkordeon, Mundharmonika, Geige und Gitarre. So verschmilzt der Countrysound des Wilden Westens organisch mit der Volksmusik aus Niedersachsen.
Die emotionalen Ereignisse der fiktiven Miniserie spielen wenige Jahre nach der ersten realen, erfolgreichen Bohrung durch den Geologen Konrad Hunäus, der 1858 in Wietze bei Celle Braunkohle suchte und dabei in 35 Metern Tiefe auf Erdöl stieß – rund 40 Jahre vor dem ersten Ölrausch in Texas. Bis zur Stilllegung der Ölförderung in Wietze 1963 gab es in der Region mehr als 2000 Bohrungen. In den Anfangsjahren deckte das Öl der Lüneburger Heide fast den gesamten deutschen Bedarf.
Das Dorf in der Kinescope-Film-Produktion im Auftrag des NDR ist zwar nicht real. Aber Wietze, wo diese Geschichte heute im Deutschen Erdölmuseum erzählt wird, hat ebenso Pate gestanden wie der Ort, an dem der überwiegende Teil des Films gedreht wurde: das Museumsdorf Hösseringen, südlich von Uelzen. Auch ein Aspekt der Arbeitsgeschichte floss in die Serie ein – 80 Prozent der Ölarbeiter kamen als Wanderarbeiter aus anderen Regionen in Deutschland und Europa. Kinderarbeit war an der Tagesordnung – Gesetze zur Einschränkung gab es zwar seit 1891 – flächendeckend durchgesetzt wurden sie aber erst ab 1903.
Regisseurin Nina Wolfrum hat viel über die historische Zäsur recherchiert. „Der Ölfund bedeutete Reichtum für Wenige und harte, gefährliche Arbeit für Viele. Diese ungleiche Verteilung von Ressourcen führte zu sozialen Spannungen.“ Schließlich könne man die Zeit vor 125 Jahren im Zuge der industriellen Revolution ebenso als Disruption begreifen wie heute die Digitalisierung und den Eintritt ins KI-Zeitalter.
Acht Meter hohe Bohrtürme wurden nachgebaut
Wolfrum: „Neue Technologien bringen Annehmlichkeiten, schüren aber immer auch Ängste, Widerstände und Konflikte. Gleichzeitig verschiebt sich die Macht zu denjenigen, die die neuen Technologien beherrschen. In diesem Spannungsfeld agieren die Figuren unserer Serie. Jede muss sich positionieren und zu den Entwicklungen verhalten.“ Wolfrum hat die Folgen zwei, drei, vier und sechs inszeniert, die erste und die fünfte Folge setzte Regisseur Tim Trachte ins Bild. Dennoch wirkt „Schwarzes Gold“, erdacht vom Drehbuchautor Justin Koch, wie aus einem Guss.
Das liegt neben der Regie auch an der für deutsche Verhältnisse großzügigen Ausstattung der Produktion, für die acht Meter hohe Ölbohrtürme in der Heide nachgebaut wurden. Im Ensemble sind Schauspielstars versammelt: Den Mann im Anzug aus der Eröffnungsszene, den britischen Ölhändler Tylor Robertson, der später zum Verbündeten Johannas wird, spielt Marton Csokas („Herr der Ringe“). Gwendoline Christie („Game of Thrones“) ist Robertsons Frau. Jessica Schwarz liefert als Johannas Mutter Martha eine starke Performance, Peter Schneider überzeugt als ihr Vater Georg.
Bei den Papes hat zu Hause Wilhelms Frau Elisabeth (Henny Reents) die Hosen an, ihre Tochter (Lena Urzendowsky) verliebt sich ein wenig in den Ölbohringenieur Max Jordan (Daniil Kremkin), damit sie vielleicht Schröter nicht heiraten muss, den ihre Eltern für sie bestimmt haben. Stephan Kampwirth spielt den korrupten Gendarm Theiss. Ebenfalls sehr sehenswert: Slavko Popadic in seiner Rolle als für Johanna attraktiver Ölarbeiter Jakub Mazurak, der sich mit Faustkämpfen ein Zubrot verdient und im Verlauf der Ereignisse mit ihr einen Streik der Ölarbeiter organisiert.
Herbig-Matten und Tom Wlaschiha, in „Schwarzes Gold“ große Gegenspieler, waren gleichermaßen von der Heidelandschaft, dem Genre Western und dem historischen Setting der Serie fasziniert und erzählen, wie sie während der viermonatigen Dreharbeiten die Landschaft lieben gelernt haben, durch die sie an freien Tagen auch gewandert sind. Beide legen in der Serie einige Strecken zu Pferd zurück. Und während Herbig-Matten sagt: „Ich konnte zum Glück schon reiten und musste es nur wieder auffrischen“, bekennt Wlaschiha: „Reiten zu können gehört für Schauspieler ja irgendwie dazu und es steht in jedem Profil, dass man das kann, aber wenn dann plötzlich das Pferd vor einem steht, sieht die Sache manchmal anders aus. Ich habe es so gut gemacht, wie ich konnte und hoffe, es ist so geschnitten, dass ich gut aussehe.“
Die 22-jährige Herbig-Matten, die durch ihre Rolle Ruby Bell in der Serie „Maxton Hall“ auf Prime Video bekannt wurde, reizte an ihrer neuen Rolle besonders „die feministische Figur“, die sich in einer Zeit, als Frauen nicht mal das Wahlrecht hatten, „gegen die Männer, gegen den Machtmissbrauch willensstark und wütend durchsetzt – und für mich geht es auch darum, das für junge Frauen zu repräsentieren.“ Johannas Energie zum Aufbegehren speist sich in ihrer historischen Rolle aus ihrer festen Überzeugung, dass ihr Vater nicht bei einem Unfall gestorben ist, sondern ermordet wurde. Herbig-Matten spielt ihren Kampf mitreißend. Der von Pape geschmierte Dorfpolizist stellt die Ermittlungen ein – und macht sich dadurch erpressbar.
Der erfahrene Theater- und Filmprofi Wlaschiha führte als Jaqen H’ghar die Assassinen in „Game of Thrones“ an und kämpfte als Agent Max Schenkel gegen den Titelhelden „Jack Ryan“ in der gleichnamigen Serie. In „Schwarzes Gold“ kauft er als Bauer Pape über einen Strohmann den Wald der Lamberts, den Johanna nach dem Tod ihres Vaters geerbt hat, und beginnt dort mit der lukrativen Ölförderung. Im Verlauf der Auseinandersetzungen mit den ärmeren Bauern steigert er sich nahezu in den Fanatismus eines Daniel Day-Lewis, der einst den Plainview in „There will be Blood“ unvergesslich machte.
Wlaschiha: „Antagonistische Rollen reizen mich natürlich immer. Ich gucke dann, dass ich das menschlich nachvollziehbar mache, warum sich jemand so verhält in der Situation.“ Wilhelm Pape sei „der wohlhabendste Bauer vor Ort, der zuallererst an seine Familie denkt. Wenn im Laufe der Geschichte immer mehr Geld und Reichtum möglich scheinen, lässt er immer mehr Skrupel fallen.“ Dabei sei „böse“ für ihn eigentlich keine Kategorie. „Der Bösewicht steht ja nicht morgens auf, guckt in den Spiegel und denkt: Was verbreche ich heute mal? Er ist halt eher bereit, moralische Regeln zu ignorieren. Je nachvollziehbarer man es spielt, desto schlimmer wird es für den Zuschauer.“
Hier schließt Regisseurin Wolfrum mit Überlegungen an, die sich auf den gesellschaftlichen Umbruch beziehen: „Wenn die Welt sich fundamental verändert und zu kippen droht, holt es aus den Einen das Schlechteste hervor und aus den Anderen zum Glück das Beste. Und es bleibt immer unsere eigene Entscheidung, zu welchem Teil wir dann gehören wollen. Diesen Vorgang psychologisch genau zu porträtieren, war Kern meiner Arbeit.“ Das ist in der Reihe „Schwarzes Gold“, die international unter dem Titel „Black Gold“ vermarktet wird, glänzend gelungen. Wie die Geschichte für Richard und Johanna ausgeht, bleibt bis zum 22. Dezember ein ebenso großes Geheimnis wie die Ursache für die Feindschaft zwischen ihren Familien.
Die ARD-Miniserie „Schwarzes Gold“ steht schon in der Mediathek. Bei der TV-Premiere sind am Montag, 29. Dezember ab 20.15 Uhr die ersten vier Episoden im Ersten zu sehen.
Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke