Alles hat seine Zeit, und irgendwann ist sie vorbei. Gerade haben die Rolling Stones ihre für 2026 geplante Stadiontour abgesagt, weil Keith Richards zwar ein Zolllager voller Drogen überleben kann, aber seine Riffs nicht mehr gegen die Arthritis ankommen. Ebenso logisch ist es, dass MTV ab dem 31. Dezember keine Musikvideos mehr zeigt – gegen YouTube und TikTok hat ein Musikvideosender keine Chance.

Schon jetzt kann, wer jünger als 40 ist, mit MTV so viel anfangen wie mit Teletext. Für Menschen im Alter von Morten Harket (66), Janet Jackson (59) oder Eminem (53) markierte die Abkürzung einen Epochenumbruch – ein Wort, das sich gut anhört, wenn man sich vormachen will, dass das eigene Jungsein von Welt- und Zeitgeist beseelt war.

MTV war das Gegenmodell zu allem, was deutsches Fernsehen davor mit Pop gemacht hatte. Kein Hitparaden-Schunkeln, kein Moderatorenlächeln, kein Füllmaterial für Samstagabendfamilienshows. Stattdessen Videos, die man nicht ganz verstand, von denen man aber sofort begriff, dass sie wichtig waren. Zwischendurch liefen News, in denen einem der Balkankrieg erklärt wurde. Aber das war nur der Beifang. Der eigentliche Kern waren die Videos. Die Videos waren irre. Sie kosteten Millionen. Sie waren überproduziert, überhitzt, überästhetisiert, proaktiv provokativ.

Für einen Teenager in Rosenheim oder Detmold war das eine Erlösung. Endlich etwas, das die Eltern zuverlässig doof fanden. Endlich Styles, Moves, die man übernehmen konnte. Es gab keine Einordnung, keinen Generationendialog. Man kam nach Hause, machte MTV an, saß schlechte Songs aus, weil man wusste: Irgendwann kommt etwas Gutes. Und währenddessen bildete man sich ein, Teil einer weltweiten Community von Rosenheimern und Detmoldern zu sein, die alle im selben Moment von Madonna zum Leben erweckt wurden. Klar ist das eine nostalgische Verklärung. Aber wenigstens gab es noch etwas, was man verklären konnte. Etwas, das größer war als der Ort, an dem man sich aufzuhalten gezwungen war, und das dennoch ins eigene Zimmer passte.

Und immer wieder diese großen Momente. Als Madonna und Britney sich küssten. Als sich Miley Cyrus nackt auf ihre Abrissbirne setzte und alles demolierte. Oder als Beavis and Butt-Head vorführten, wie man mit der Welt klarkommt. Allerdings bewiesen solche Momente leider auch, dass man auf Popsongs keine bessere Welt erbauen kann. Nicht einmal einen funktionierenden Fernsehsender.

MTV ist nicht gestorben, weil niemand Musikvideos mochte. MTV ist gestorben, weil Musikvideos ihre Funktion verloren haben. Sie waren mal Eintrittskarten in eine andere Welt. Heute sind sie jederzeit abrufbar, von Algorithmen verwaltet statt von Veejays.

Die Kids brauchen MTV nicht. Sie haben YouTube, TikTok, Streaming. Und vor allem keinen Fernseher mehr. Vielleicht ist die wichtigste Botschaft, die von MTV bleibt, keine ästhetische, sondern eine ethische. Fiona Apple sagte einmal auf einer MTV-Bühne bei einer dieser MTV-Preisverleihungszeremonien: „Diese Welt ist Schwachsinn, und du solltest dein Leben nicht danach ausrichten, was du denkst, dass wir cool finden, was wir tragen, was wir sagen und all das.“ Ein Satz, der besser gealtert ist als der ganze Sender.

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