Z Beginn der Neunzigerjahre prophezeit der Regisseur Abbas Kiarostami; „In naher Zukunft wird der Film, nach den Teppichen, das bekannteste Exportgut des Irans sein.“ Er hat Recht behalten. Es gibt kein großes Festival, wo iranische Filme nicht einen der Hauptpreise gewonnen hätten, zweimal in fünf Jahren ging der Auslands-Oscar an einen Regisseur aus dem Iran, und der Favorit für die nächsten Academy Awards ist wieder ein Iraner, Jafar Panahis „Ein einfacher Unfall“.

Die Mullahs könnten stolz auf ihre Regisseure sein, und doch treiben sie einen nach dem anderen aus dem Land. Der neuste Fall ist der von Jafar Najafi – dem deutsche Behörden nun politisches Asyl verweigert haben, weil sie die Doppelstrategie des Regimes nicht begreifen.

Als die islamische Revolution 1979 die Macht ergriff, wurden nicht nur Standbilder des Schahs gestürzt, sondern auch Kinos niedergebrannt, denn dort waren unverhüllte Frauen zu sehen. Schon einen Tag nach seiner Rückkehr jedoch ermutigte Ajatollah Khomeini die Filmproduktion, natürlich innerhalb eines „islamisch korrekten“ Rahmens. Doch das war es nicht, was den Iran als eines der wichtigsten Filmländer der Welt etablierte. Es waren die psychologisch, moralisch und sozial komplexen Fragen, die diese Filme der iranischen Gesellschaft stellten, insbesondere zur Rolle der Frauen.

Man staunte manchmal, was da an Gesellschaftskritik aus dem Lande kam, angesichts des Zwangs, dass sämtliche Drehbücher im Voraus die Zensur passieren müssen. Das hing unter anderem davon ab, ob ein Moderater oder ein Ultrakonservativer Präsident war; manche Filme entstanden auch mit einem Blick aufs Ausland und durften daheim nicht gezeigt werden. Und dann waren da noch die Unter-dem-Radar-Filme wie Jafar Panahis Berlinale-Gewinner „Taxi“, in dem sich Panahi hinterm Steuer quer durch Teheran bewegt und mit seinen Fahrgästen heikle Themen erörtert.

Heikel ist fast alles, beachtet man die ungeschriebenen Regeln des Filmemachens im Iran. Die Sympathie des Zuschauers darf nie der Person gelten, die einen Fehltritt begeht; Drogenhandel gibt es nicht, ebenso wenig Ehebruch, Männer und Frauen dürfen sich nicht berühren, Blasphemie ist streng verboten, gläubige Menschen dürfen nicht komisch dargestellt werden. Vor zwei Monaten wurde ein erstaunlicher gemeinsamer Aufruf von 13 iranischen Berufsorganisationen veröffentlicht – von Regisseuren über Autoren bis zu Schauspielern -, der fordert, dass Filme keine Drehgenehmigung mehr brauchen sollen.

Nun gibt es seit einigen Jahren eine weitere Kategorie von iranischen Filmen: solche, die aus dem Land geschmuggelt werden und auf Festivals ihre Premiere feiern. Dazu gehört Mohammad Rasoulofs „Die Saat des heiligen Feigenbaums“, der insgeheim in Teheran gedreht wurde und dann in Cannes auftauchte. Jafar Panahis „Ein einfacher Unfall“ entstand ohne Drehgenehmigung, die Darstellerinnen trugen kein Kopftuch, und auch dieser Film kam auf geheimen Wegen in den Westen, wo er die Goldene Palme gewann. Sowohl Rasoulof als auch Panahi verließen klandestin den Iran und können nicht zurück; beide wurden in Abwesenheit zu einer mehrjährigen Gefängnisstrafe verurteilt, nachdem sie im vergangenen Jahrzehnt bereits wiederholt verhaftet worden waren und wohl nur freikamen, weil die internationalen Proteste so laut waren.

Vor zehn Jahren berichtete der Regisseur Mani Haghighi noch, er füge gern besonders kritische Szenen in seine Filme ein, damit die Zensur etwas zum Beschneiden habe. Ein Spiel, in gewisser Weise, aber dieses Spiel ist ausgespielt, die politischen Fronten sind verhärtet. Sowohl Rasoulof als auch Panahi haben sich in ihren Filmen radikalisiert, spätestens seit der Niederschlagung des Frauen-Aufstands. Der „Feigenbaum“ handelt von einem Revolutionswächter, der brutal gegen die eigene Familie ermittelt, der „Unfall“ von Ex-Häftlingen, die zufällig ihren früheren Peiniger treffen und Rache für die Folter nehmen wollen.

Jafar Najafis Dokumentarfilme waren bisher durch die Maschen der Zensur geschlüpft, zeigten das ländliche Leben in schönen Landschaften, allerdings auch die patriarchalen Prägungen. „Alone“ handelt von einem 14-jährigen Jungen, nach dem Tod des Vaters Familienoberhaupt, der seine jüngere Schwester nicht ohne weiteres einen dreimal so alten Mann heiraten lassen will.

Najafi durfte mit „Alone“ zum Dok-Forum nach Frankfurt – doch während seines Deutschlandaufenthalts erfuhr er, dass man seine Wohnung durchsucht und eine Festplatte mit Aufnahmen beschlagnahmt hatte, die Polizeigewalt während der „Frau-Leben-Freiheit“-Proteste zeigen. In sozialen Netzwerken erhielt Najafi daraufhin Drohungen, er ist offenbar ins Visier der Revolutionsgarden geraten. Im Juni stellte Najafi einen Asylantrag, der wurde jedoch nun vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge als unbegründet abgelehnt. Während seine Berufung läuft, lebt er in einem Asylbewerberheim in Darmstadt.

Das Regime geht subtiler vor

Was Najafi fehlte, waren handfeste Beweise für seine Gefährdung, wie ein Haftbefehl oder eine Verurteilung. Doch die gibt es selten. Die Unterdrücker vom Regime gehen subtiler vor, wenn die fragliche Person eine gewisse internationale Bekanntheit besitzt, mit Drohungen im Netz, Passentzug, Durchsuchungen, Vorladungen, Verleumdung; vor ein paar Jahren publizierte ein fundamentalistisches Magazin Behauptungen über ein angebliches Liebesdreieck zwischen Farhadi, Haghighi und der Farhadi-Stammschauspielerin Taraneh Alidoosti; der verantwortliche Redakteur wurde später zu einem Jahr auf Bewährung verurteilt.

Einmal geschah ein Doppelmord, der an Dariush Mehrjui, dem Gründer der Neuen Iranischen Welle, der zusammen mit seiner Frau zu Hause erstochen aufgefunden wurde. Ein paar Monate vorher hatte er in aller Öffentlichkeit vor einem Kinopublikum gesagt: „Hört mir zu, ich halte das nicht mehr aus. Ich will mich wehren. Tötet mich, macht mit mir, was ihr wollt ... zerstört mich, aber ich will mein Recht.“ Ein früherer Bediensteter Mehrjuis wurde als Mörder zum Tode verurteilt, aber viele glauben der offiziellen Version nicht.

Von den Großen des iranischen Kinos lebt und arbeitet kaum mehr einer in der Heimat: Mohsen Makhmalbaf, Abbas Kiarostami, Bahman Ghobadi, Rasoulof, Panahi, alle sind im westeuropäischen Exil. Als einziger hat der Doppel-Oscar-Gewinner Asghar Farhadi mit dem islamistischen Regime bisher nicht offiziell gebrochen. Von seinen letzten vier Filmen entstand allerdings nur einer im Iran, und sein nächster, „Histoires parallèles“ mit Isabelle Huppert, Catherine Deneuve und Vincent Cassel, wurde von Anfang September bis Mitte Dezember in Frankreich gedreht (und wird garantiert im nächsten Cannes auftauchen).

Das hat zu einer Situation geführt, die es noch nie gegeben hatte. Gleich vier Filme iranischer Regisseure wurden diesen Herbst für den Auslands-Oscar eingereicht: „Ein einfacher Unfall“ von Panahi, „Die Dinge, die du tötest“ von Alireza Khatami, „Schwarzes Kaninchen, weißes Kaninchen“ von Shahram Mokri und „Todesursache: unbekannt“ von Ali Zarnegar. Nur Letzterer trat für die Islamische Republik an, die drei anderen für Frankreich, Kanada und Tadschikistan.

Das ist ein Trend, der voriges Jahr mit der Nominierung von “Feigenbaum“ für Deutschland einsetzte, der rein gar nichts mit Deutschland zu tun hatte, abgesehen von der Teilfinanzierung durch einen Berliner Produzenten. Es spricht für die hohe Qualität iranischer Filme, dass sich fremde Länder mittels ihrer Hilfe Oscar-Ehren erhoffen, widerspricht jedoch natürlich dem Sinn des Wettbewerbs. Dessen Regeln lassen dies zu, aber vielleicht sollte man Bahman Ghobadis Vorschlag folgen, eine Extra-Kategorie für Regisseure im Exil einzuführen. Die Anzahl der Filme, die darunter fallen würden, wächst von Jahr zu Jahr.

Jafar Najafi wartet währenddessen seit Juni, als sein Asylantrag abgelehnt wurde, auf die Anhörung der Berufung vor dem Verwaltungsgericht. Er lebt mit sieben weiteren Bewohnern in einem Zimmer in einem Darmstädter Flüchtlingsheim. Er hätte Einladungen auf internationale Festivals, wo er Kontakte knüpfen und Finanzierungspartner für seinen nächsten Film finden könnte – darf aber die Stadt nicht verlassen. Weiter weg als bis zu seinem Deutschkurs kommt er momentan nicht

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