Coolness ist eine volatile Währung. Die Übergänge vom Bull-Market zur Blase sind fließend, und ist sie erst geplatzt, fühlt sich nichts so gestrig an wie der Hype vom vergangenen Jahr. Nirgends sind diese Mechanismen besser zu studieren als in der Mode, wo die Halbwertzeiten systemisch eingepreist sind und von Saison zu Saison ein neuer Look ausgerufen wird.

Aus diesem Grund ist es bildenden Künstlern, die sich ihren Platz in einer auf Dauer zielenden Kunstgeschichte zu erkämpfen haben, dringend abgeraten, zu oft, zu lang und zu ungeschützt mit der Fashion-Industrie ins Bett zu gehen. Ein einziger Front-Row-Auftritt ist schon einer zu viel, so die Faustregel, die man Anne Imhof während ihres Studiums an der Frankfurter Städel-Akademie nicht oft genug eingebläut zu haben scheint.

Im Gegenteil: Nachdem sie 2017 mit ihrer Performance im Deutschen Pavillon der Venedig-Biennale die internationale Kunstwelt in Hysterie versetzte, wurde sie zur offiziellen Muse des Designers Demna Gvasalia. Nun durfte sie von der ersten Reihe aus verfolgen, wie ihre damalige Lebensgefährtin Eliza Douglas als Model die an Imhof-Choreografien erinnernden Balenciaga-Schauen eröffnete.

Anne Imhof: „thanks for having me“

Es sollte ein perfekter Sturm werden, auch auf dem Laufsteg, wo Demna – im März 2022 und auf dem Höhepunkt seines Erfolgs – Eliza Douglas durch ein Schneetreiben schickte. Der von Imhof und ihren Performern geprägte und durch Balenciaga und das Berghain global gepushte Stil – ein strikt in Schwarz gehaltener und mit demonstrativem Ennui zur Schau getragener Gothic-Sportswear-Hybrid – eroberte schnell die Hipster-Enklaven der internationalen Metropolen. Was dazu führte, dass die Eröffnungen von jungen Galerien und die Schlangen vor Techno-Clubs irgendwann an Versammlungen eines Todes-Kultes erinnerten, in dem schon auffiel, wer aus Versehen zu einem navyfarbenen Outfit gegriffen hatte.

Dreieinhalb Jahre nach dem Schneetreiben ist nichts mehr, wie es war. Eliza Douglas geht eigene Wege und auch Demnas Balenciaga ist längst Geschichte – eine, die Dank einer missverständlichen Anzeigenkampagne und einem anschließenden Boykott der Marke entsprechend gedämpft endete.

Und Anne Imhof? Präsentiert sich 2025 auf Instagram als dauerschmollende Influencerin. Das Motto ihrer von Selfies unterbrochenen Red-Carpet- und Front-Row-Posts: „thanks for having me“. Da mag die etwas gigantomanisch geratene (und von dem Direktor der Berliner Nationalgalerie Klaus Biesenbach kuratierte) Performance „Doom“ in der New Yorker Park Armory von der Kritik weitestgehend verrissen worden sein – bei Nike war man trotzdem inspiriert genug, um eine Imhof-Capsule-Collection zu launchen.

Die bestand aus Football-Trikots wie in der Performance gesehen, nur dass diesmal der Namen der Künstlerin den Rücken zierte. Hätte man sich eines aus der Limited Edition besorgt, man hätte gleich ein passendes Outfit für die GQ-Awards gehabt, bei denen Imhof Ende November 2025 als „Artist of the Year“ ausgezeichnet wurde.

Und dann ist da noch ihre neue Liebe zu einer Balletttänzerin, der Imhof gerade mit einer Anzeigenkampagne für Valentino ein Denkmal setzt. Zu sehen sind die beiden auf einem satinbezogenen Hotelbett, Kopf an Kopf und natürlich head to toe in Valentino. Im dazugehörigen Interview mit „Vogue“ erzählen sie unter der Überschrift „Anne Imhof und Devon Teuscher: Warum ihr Privatleben gar nicht so anders aussieht als die neue Valentino-Kampagne“ wie sie sich beim Shooting gefühlt haben – und wie sie privat ihre Abende verbringen. Spoiler: Erdnuss-M&M’s spielen eine wichtige Rolle.

Dieses Bild ist es – die Künstlerin jetzt wortwörtlich im Bett mit der Mode – welches im Rückblick den Moment markieren wird, an dem die Imhof-Blase endgültig geplatzt ist. Und nicht nur das dazugehörige Interview ist eine Warnung an junge Künstler, sich genau zu überlegen, wann man sich an wen verkauft.

Der Kunstmarkt jedenfalls wendet sich bereits ab. Sammler, die in den Mythos Imhof investiert und doch nicht viel mehr als monochrome Lackbilder mit Kratzspuren bekommen haben, werden in Zukunft noch öfter an Martin Kippenbergers berühmtes Bild „Selbstjustiz durch Fehleinkäufe“ denken.

Die gute Nachricht ist: Wer den Zauber der frühen Anne-Imhof-Performances vermisst, die schlafwandlerisch-präzise Ästhetisierung einer Adoleszenz zwischen Agonie und Ekstase, der darf sich mit den Tanztheaterstücken der französisch-österreichischen Choreografin Gisèle Vienne trösten, die zuletzt Anfang Dezember 2025 die Besucher der Berliner Festspiele hypnotisierte.

Eines von Viennes eindrücklichsten Stücken heißt „Kindertotenlieder“, und es lohnt sich auf YouTube den Ausschnitt einer Aufführung von 2011 auf dem Donaufestival Krems anzuschauen. Auf einer dunklen vernebelten und mit Kunstschnee bedeckten Bühne bewegen sich junge Performer in teils mit Death-Metal-Logos bedruckten Kapuzenpullovern wie in Trance über die Bühne, während einer von ihnen neben einer Lautsprecherbox steht und auf der Gitarre Drone-Sounds spielt.

Wer es nicht bezeugen kann, hat es nicht gesehen: Imhof vor Imhof – und kein Red Carpet, keine Capsule-Collection, nicht mal der kleinste GQ-Award in Sicht.

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