Seit dieser Woche läuft „Fire and Ash“ in den deutschen Kinos, der dritte Teil von James Camerons Welterfolg „Avatar“. Zum ersten Mal setzt der kanadisch-neuseeländische Regisseur mit dem „Asche-Volk“ den ansonsten so umweltfreundlichen Stämmen der Na’vi einen Gegner entgegen. Anführerin dieses Volkes ist Varang, gespielt von der spanisch-britischen Schauspielerin Oona Chaplin. Für die 39 Jahre alte Enkeltochter von Charlie Chaplin war das wie eine Rückkehr zum Theater, denn Cameron filmt die Schauspieler mit dem Verfahren der Performance Capture, bei dem Bewegungen, Gesten und Mimik am Ende in computergenerierte Figuren übertragen werden. WELT traf Chaplin zum Gespräch in einer Suite des Hotel Bristol in Paris.
WELT: Es ist faszinierend, sich die Aufnahmen der Dreharbeiten von „Avatar“ anzusehen. Die Schauspieler spielen im leeren Raum, sehen aber dabei aus wie Außerirdische in Taucheranzügen. Ist diese Form des Kinos herausfordernder als ein klassischer Dreh?
Oona Chaplin: Beim normalen Drehen ist die wichtigste Beziehung die des Schauspielers zur Kamera. Wenn eine Nahaufnahme beginnt, weißt du, dass du liefern musst. Aber alles, was bei normalen Dreharbeiten wichtig ist, verschwindet hier komplett. Du hast kein Make-up, kein Kostüm, selbst die Haare sind verdeckt, all diese Krücken fallen weg, du bist nackt. Letztlich ist es wie Theaterspielen, wo man sich auch alles vorstellen muss, weshalb es sich für mich wie eine Rückkehr an die Schauspielschule in London anfühlte. James Cameron hat aber die Gabe, eine familiäre und sehr intime Atmosphäre zu schaffen. Wir haben uns vertraut, gemeinsam Dinge ausprobiert und uns gegenseitig bestärkt. Alle Schauspieler von „Avatar“ sind unglaublich und haben mich mitgerissen, was für mich das Allergrößte überhaupt war.
WELT: Cameron sagt, er möchte die Schauspieler nicht ersetzen, sondern sie, im Gegenteil, feiern. Aber wenn man sieht, wie er arbeitet und welche Datenströme er dank echter Schauspieler produziert, dann fragt man sich schon, wer diese Daten nutzen wird. Haben Sie Angst, dass Ihre Arbeit eines Tages von der KI übernommen wird und Sie ersetzt werden?
Chaplin: Bei James habe ich diese Angst nicht.
WELT: Nicht bei ihm, aber er ist jetzt über 70. Andere könnten das tun. Haben Sie Angst vor KI in Hollywood?
Chaplin: Ich habe Angst vor KI, Punkt. Nicht nur in Hollywood. Angst ist aber nicht das richtige Wort, ich würde von Misstrauen sprechen. KI ist unterwegs und nicht mehr zu stoppen. Deswegen sollten wir sehr, sehr vorsichtig sein. Unsere Geschichte hat gezeigt, dass jedes Versprechen von technologischem Fortschritt, von Bequemlichkeit oder Sicherheit auch immer mit einem Tritt in den Hintern einherging, mit einem Preis, den wir zahlen mussten. Das ist dieses Mal nicht anders. KI mag Intelligenz ersetzen, aber nicht Bewusstsein. Das ist nicht zu ersetzen, weil es dafür ein menschliches Herz braucht.
WELT: Sie spielen im dritten Teil von „Avatar“ die böse Varang. Was war Ihr spontaner Gedanke, als Cameron mit dem Drehbuch kam und Sie die Figur entdeckten?
Chaplin: Die erste Szene, die ich gelesen habe, war die, in der Quaritch in ihr Zelt kommt und sie ihm erklärt, warum sie so ist, wie sie ist. Ich habe zu diesem Zeitpunkt im Flüchtlingslager von Calais geholfen, das man damals als „Jungle“ bezeichnet hat. Ich konnte mich komplett in Varang hineinversetzen. Ich empfand dieselbe Wut wie sie.
WELT: Wie kamen Sie nach Calais?
Chaplin: Ich lebte damals in London, sah die Nachrichten und dachte mir, ich muss da hin und helfen.
WELT: Die meisten schauen weg …
Chaplin: Es ist ja auch ein sehr komplexes Problem. Aber wenn die Menschen dort sind und leiden, muss man helfen. Ich konnte nicht einfach nur aus der Ferne zuschauen und habe mich ehrenamtlich in einer NGO engagiert. Wir haben Essen verteilt und gelernt, wie man aus Nichts eine Baracke baut. Das Elend dort zu sehen, war furchtbar hart. Ich ging nach Hause, nahm eine heiße Dusche und habe dann nur geweint, weil ich heißes Wasser hatte, während die Kinder dort gar nichts hatten. Ich war wirklich verärgert, wütend auf die Welt, auch verwirrt. Die Rolle Varangs hat mir geholfen, meinen inneren Frieden zu finden und Verantwortung zu übernehmen. Sie zu spielen, hat mir vor Augen geführt, was es heißt, keine Angst davor zu haben, nach der Ursache der Wut zu suchen. Varang hält ihre Wut für gesund.
WELT: Heutzutage wird von allen Resilienz verlangt. Egal, was man erlebt oder erlitten hat, man muss was Gutes draus machen. Ist Varang das Gegenbeispiel für Resilienz?
Chaplin: Nein, ganz und gar nicht, ich finde, sie ist ziemlich resilient angesichts dessen, was sie erlebt hat: Ein Vulkanausbruch hat alles zerstört, einen Teil ihrer Familie, ihre Lebensweise, alles. Anstatt wegzulaufen, ist sie zur Quelle des Desasters gegangen. Das ist die richtige Herangehensweise. Allerdings zieht sie die falsche Konsequenz daraus, alles zerstören zu wollen, was ihr Schmerzen bereitet. Sie hat aber keine andere Wahl. Am Ende brauchen wir alle Hilfe, Unterstützung, irgendwo am Horizont müssen wir ein Licht sehen, das uns zurück auf den richtigen Pfad führt. Das hatte sie nicht.
WELT: Hat es Ihnen Spaß gemacht, das Böse zu spielen?
Chaplin: Ich habe Varang nicht als Verkörperung des Bösen gespielt. In meinen Augen ist sie die Heldin ihres Volkes und tut, was sie für notwendig hält. Sie hält sich für rechtmäßig befugt, sie ist äußerst smart und sehr mächtig. Mir hat das riesengroßen Spaß gemacht, sie zu spielen.
WELT: Varang hat etwas Animalisches, sie gibt fast tierische Laute von sich, sie bewegt sich auch anders. Wie haben Sie diese Figur aufgebaut?
Chaplin: Sie bewegt sich wie Lava. Jeder, der einmal Lava gesehen hat, weiß, was ich meine. Sie ist flüssig, aber zugleich fest, sie fließt, langsam, aber unaufhaltsam. Sie verkörpert ihr natürliches Element. Ich habe mir angeschaut, wie sich Zoe Saldaña bewegt, nämlich vom Herzen her, weil sie als Neytiri Selbstvertrauen hat. Was passiert, wenn dieses Vertrauen gebrochen ist? Dann schließt sich das Herz. Wie bewegt man sich, wenn das Herz zugemauert ist? Das habe ich versucht, zu verstehen.
WELT: „Avatar“ ist ein Blockbuster, aber einer, der ökologische, gesellschaftliche Themen aufgreift. Kann Kino die Welt besser machen?
Chaplin: Auf jeden Fall. Wir lernen dank Geschichten. Deshalb ist es so wichtig, die richtigen zu erzählen. Ich freue mich über Filme, die eine Geschichte erzählen, an die ich glaube und die mich aufrichten. Kino hat Verantwortung.
WELT: Sie haben immer wieder lange Pausen zwischen den Dreharbeiten gemacht. Wie haben Sie die gefüllt?
Chaplin: Ich habe 15 Jahre lang mit verschiedenen indigenen Völkern aus aller Welt gearbeitet und sehr viel gelernt durch ihre Community-Projekte. Alles, was sie mir so großzügig beigebracht haben, wende ich jetzt in meinem eigenen Leben an. Deshalb glaube ich nicht an die Politik oder an Klimakonferenzen: Mehr als Cops brauchen wir Filme wie „Avatar“, weil am Ende nicht Konzepte zählen, sondern menschliche Beziehungen. Ich kenne so viele Vertreter von indigenen Völkern, die zu Klimakonferenzen eingeladen wurden und unendlich enttäuscht zurückgekommen sind.
WELT: Als Enkeltochter von Charlie Chaplin und als Urenkelin von Literaturnobelpreisträger Eugene O’Neill stehen sie in seiner sagenhaften familiären Linie. Wie empfinden Sie das, ist das eine Hürde, eine Herausforderung oder etwas, das vieles einfacher macht?
Chaplin: Alles trifft zu. Es ist ein enormes Geschenk und zugleich eine große Verantwortung. Als ich in meinen Zwanzigern war, öffneten sich viele Türen für mich, einfach wegen meines Namens, wegen des Namens meines Großvaters, aber auch dem meiner Mutter, Geraldine Chaplin. Damals hatte ich das Gefühl, dass ich das nicht verdient habe und durch diese Türen nicht gehen darf. Irgendwann wurde mir klar, wie verrückt dieser Gedanke ist und welche Zeitverschwendung. Seither konzentriere ich mich darauf, durch diese Türen so gut wie möglich zu gehen. Niemand auf der Welt hat irgendwas verdient. Das Konzept ist Unsinn. Alles, was zählt, ist, was du mit den Möglichkeiten machst, die dir gegeben wurden.
WELT: In Ihren Augen sind James Cameron und Charlie Chaplin Seelenverwandte. Warum?
Chaplin: Das liegt doch auf der Hand! Sie sind beide technologische Innovatoren, Filmemacher, die mit der fortschrittlichsten Technologie ihrer Zeit arbeiten und außerdem zutiefst menschliche Geschichten erzählen, die weltweit berühren. Natürlich haben beide einen völlig anderen Stil, aber wie Chaplin hat auch Cameron mit seinen Filmen Menschen zusammengebracht, weil die ersten „Avatar“-Filme Milliarden Zuschauer gesehen haben.
WELT: Sie sind in so vielen Ländern aufgewachsen, wo fühlen Sie sich heute zu Hause?
Chaplin: Ich fühle mich überall zu Hause, was ein Segen ist. Aber ich habe unerwarteterweise in Nordkalifornien Wurzeln geschlagen und dort mein Zuhause gefunden. Meine Tochter wurde dort geboren, auf unserer Farm, im Bett, in dem wir schlafen. Ich ziehe dort Gemüse, höre den Vögeln zu, kümmere mich um den kleinen Bach, der durch unser Grundstück läuft, und schlage dort Wurzeln. Es fühlt sich an wie das Paradies. Es ist mein Pandora.
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