Wir brauchen mehr Remakes. Sagt der Kaiser zu seinem Hofkomponisten. Als Erinnerung an unsere Größe. Er will Österreich wieder groß machen. Will, dass die Russen, die Briten, die Preußen kommen und staunen. Mit Reformen will er Österreich wieder groß machen. Und mit Musik. Gerade mit Musik. Der Historiker Philipp Ther hat gerade ein Buch darüber geschrieben. Über den „Klang der Monarchie“ und wie die Habsburger die Musik zum Nationbuilding missbrauchten.
Die Szene mit dem Kaiser und dem Remake spielt in den frühen 1780er Jahren und eine nicht unwichtige Rolle in der Sky-Serie „Amadeus“ – die ein Remake von Milos Formans Film von 1984 ist. Der Kaiser ist Josef II., der Komponist heißt Antonio Salieri, das Remake, das Österreich wieder groß erscheinen lassen soll, ist das von Salieris „Tarare“, einer zwei Jahre vor der Revolution in Paris uraufgeführten französischen Oper über einen Tyrannen und einen Rebellen aus dem Geist der Aufklärung nach einem Libretto von Beaumarchais. Salieri machte mit dem Wiener Star-Opernskripteur Lorenzo Da Ponte für den aufgeklärten Reformer Josef II. den italienischen Fünfakter „Axur“ daraus. Eine italienische Oper.
Ein Smash-Hit für Salieri. Mehr als hundertmal aufgeführt allein in Wien. Salieri war (und ist) kein medioker Notenknecht. Aber das nur nebenbei. Und zum Beleg dafür, dass für beinahe alles, von dem im Folgenden die Rede sein wird, der Fake-News-Vorbehalt gilt. Man sollte bei allem, was einem Joe Barton im Fünfteiler über das tödlich endende Duell zwischen Salieri und Wolfgang Amadeus Mozart erzählt, ständig das Handy parat haben und googeln, was das Zeug hält. Das meiste stimmt nämlich nicht.
Weil schon in Peter Shaffers Theaterstück gleichen Namens nichts stimmte, das 1979 uraufgeführt wurde und Shaffers Smash-Hit wurde. Und in Milos Formans 1984 mit acht Oscars ausgezeichnetem Kinofilm, in den Shaffer selbst sein Missgunst- und Neid-Künstler-Drama verwandelte, naturgemäß auch nicht. Wir werden zwischendurch ein bisschen historische Hilfestellung leisten. Was eigentlich auch wieder egal ist, weil es um historische Authentizität bei „Amadeus“ nicht geht. Sondern um menschliche Konflikte. Um Traumata. Um Neid. Und um Macht. Und um Gott.
Salieri gesteht Mozarts Witwe einen Mord
Wir sind – 41 Jahre nach Formans „Amadeus“ – wieder an einem Ort, an dem wir schon mal waren. Es schneit, ein Mann fällt aus dem Fenster. Er hat versucht, sich das Leben zu nehmen. Wir schreiben das Jahr 1825. Salieri ist, wo er in Wahrheit nie war, in einem Pflegeheim. Ein irrer Alter. Der seine Beichte ablegen will. Bei Forman einem Priester gegenüber. Das hat eine gewisse Plausibilität, weil Salieri bei Shaffer Gott verflucht.
Der hat ihn zum Schutzpatron der Mittelmäßigen gemacht, weil Gott nicht aus ihm spricht, sondern aus diesem verderbten losen Vogel Mozart. Der schert sich einen Dreck um die göttliche Gabe, die ihm gegeben ward und um die Salieri, der angebliche Musikhandwerker, ihn beneidet.
Salieri hat diesen Mozart umgebracht. Das schreit er jedenfalls bei Forman so laut, wie Mozart bei Forman geckernd lacht. Bei Barton gesteht Salieri – „Amadeus“ ist eigentlich die Geschichte einer gut fünfstündigen Beichte –, Mozarts Witwe, was er getan hat.
Das mit dem Schnee ist natürlich Quatsch. Salieri starb im Mai und daheim in der Wiener Seilergasse. Und Constanze hat er auf seine alten Tage genauso wenig getroffen wie – was Barton behauptet – Puschkin für die Recherche seines Kolportagedramas „Mozart und Salieri“, mit dem die Geschichte vom Mozart-Mörder Salieri kulturhistorisch manifest wurde.
Formans „Amadeus“ war eine Revolution fürs Mozart-Bild. Er holte den Olympier vom Sockel auf dem Umweg über seinen fidelen Unterleib auf die Füße. Machte das Wolferl für eine ganze Generation zugänglich. Trug maßgeblich zur Vermenschlichung Mozarts bei.
Die Mozart-Verkaufszahlen schossen durch die Decke. Der Soundtrack, für den der britische Dirigent Neville Marriner kämpfte und um den herum Forman seinen Film erzählte, ist einer der meistverkauften der Filmgeschichte. Es soll Menschen geben, die immer noch die Gran Partita pfeifen können und wissen, an welcher Stelle sie in „Amadeus“ gespielt wird.
Das ist in Joe Bartons „Amadeus“ etwas schwieriger. Angeblich wird noch mehr Mozart gespielt. 115 Stücke nämlich. Man merkt es aber nicht. Weil alles so durch die Ritzen dieses Kammerspiels rieselt und sich rückstandsfrei versendet.
Im Prinzip ist alles so, wie es bei Shaffer schon war. Da kommt ein junger Musiker, ehemaliges Wunderkind, das schon auf dem Schoß von Maria Theresia saß und Marie Antoinette ankündigte, sie heiraten zu wollen, von Salzburg nach Wien, will reüssieren bei Hofe. Der Kaiser, einigermaßen begabter Musiker, der er ist, weiß, was er an ihm hätte.
Wäre da nicht sein stockkonservativer Hof. Wären da nicht die Dämonen des Amadeus (den bei Barton bis auf einmal niemand Amadeus nennt) – der Tiger-Über-Vater Leopold, der Tod der Mutter –, die ihn in Alkohol und Exzesse treiben. Und wäre da nicht Salieri, der ihn über die Maßen bewundert und ihn genau deswegen allmählich dem gesellschaftlichen Abseits entgegen intrigiert und ins wirtschaftliche Elend. Bis er ihn dann in den Tod treibt, indem er ihm, dem völlig Entkräfteten, den Auftrag für eine Totenmesse gibt, die seine eigene wird.
Was natürlich wiederum völliger Blödsinn ist. Mit dem Requiem hat Salieri nichts zu tun, vor allem nichts mit der Komposition. Genauso Blödsinn ist das, was Mozart und Salieri bei Barton vor dem Orchester tun. Dirigieren nämlich. Machte damals niemand. Oder dass Salieri eine Schlägerei bezahlte, um die Uraufführung von Mozarts „Giovanni“ zu stören. Oder dass eine Frau im Hofopern-Orchester Cello spielen durfte. Da Ponte war auch kein schwuler Afroaustriaker. Und Franz Xaver Süßmayr – ebenfalls Afroaustriaker – hatte nichts mit Constanze.
Die wiederum rückt bei Barton stärker ins Zentrum als noch bei Shaffer und Forman. Es wird mehr Politik getrieben. Kriege werden geführt. Verwundete liegen in den Wiener Straßen. Die Farben sind gedeckter als bei Forman. Alles sieht aus wie von einer leicht vergilbten Seidentapete fotografiert.
Mit dem wahnsinnig zähen Erzähltempo, das Julien Farino und Alice Seabright, die sich die Regie teilen, anschlagen, lockt man kein Mitglied der Gen Z zum Opern-Abo. Bartons „Amadeus“ wirkt wie Formans „Amadeus“, den man mit einer Überdosis ADHS-Medikamenten sediert hat. Barton nutzt die langsame Gangart dafür, stärker als es Forman wollte, in die Tiefe der Figuren zu leuchten.
Mozart bekommt das eher schlecht. Das liegt nicht am „White Lotus“-Star Will Sharpe, der alles tut, seinen Wolfgang zu einem gebrochenen Anti-Typ zum irrwitzigen Amadeus von Tom Hulce zu machen. Sondern daran, dass man sich irgendwann und ziemlich schnell eben nicht mehr wundert über dieses durchtherapierte Wunderkind, das so lange von Träumen heimgesucht wird, bis sie jeder verstanden hat.
Wenn es etwas gibt, was einen davon abhält, auszusteigen und sich sofort über Mozarts Spotify-Playlist herzumachen, ist es Paul Bettany, dessen Gesicht, das gern wie mit feinem Öl gemalt aus dem Dunkel leuchtet und alles spiegelt, was ihm lodert, die Verzweiflung, das Geliebtwerdenwollen, der Hass, die Verzücktheit von der unfassbar schönen, göttergleichen Musik. Sein Salieri ist die dunkle Seite Mozarts. Am Ende liegen sie über dem Torso des Requiems einander im Arm und weinen ein bisschen.
Puschkin weiß nicht, was er hier soll
Was man nachvollziehen kann, weil es noch nicht zu Ende ist, wenn es zu Ende ist. Mit der schönen Zeit, die Barton nämlich durchs serielle Erzählen und die fünf Folgen im Vergleich zu Forman geschenkt bekommen hat (soviel Minuten sind es gar nicht, der „Amadeus“-Director’s-Cut hat drei Stunden), können er, Seabright und Farino gar nichts anfangen. Sie ziehen noch einen zweiten Rahmen auf – Alexander Puschkin besucht Constanze und versucht für sein Drama die Wahrheit über Mozarts Ableben herauszufinden, weiß aber offensichtlich nicht ganz genau, was er in dieser Serie soll. Und dann sitzt Paul Bettany im Theater und spielt Shaffers Salieri.
Wir brauchen nicht mehr Remakes. Wir brauchen frische Geschichten. „Amadeus“ jedenfalls ist keine davon.
Die Serie „Amadeus“ läuft ab dem 21. Dezember auf WOW.
Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke