An diesem Dienstagabend im Advent 2025 ist er wieder da. Xavier Naidoo betritt die Bühne mit dem Lied „Bei meiner Seele“. In der Kölner Allzweckhalle, der Lanxess Arena, hören 16.000 zu und feiern seine Wiederkehr. Draußen bringt, anders als erwartet, niemand die Proteste gegen das Comeback aus den sozialen Medien auf die Straße.

All die Aufregung, die vor zehn Jahren anschwoll, als der Sänger die Nation beim Eurovision Song Contest vertreten sollte und dann besser doch nicht, weil er immer wieder fragwürdige Sachen sang und sagte, bleibt an diesem Abend aus. Er singt einfach schöne soulige deutsche Songs wie „Seine Straßen“ und sagt salbungsvolle Sätze wie: „Die Lieder wollen wieder raus. Sie wollen unters Volk gebracht werden.“

Als Naidoos Konzert im Frühjahr angekündigt worden war wie ein ganz gewöhnliches Comeback – „Xavier Naidoo live mit Band!“ und „mit all seinen großen Hits“ –, waren vor allem jüdische Institutionen irritiert. Sie forderten, das Konzert abzusagen und erinnerten an Naidoos Nähe zu antisemitischen Verschwörungsnarrativen. Wer die nachweislich fiktiven „Protokolle der Weisen von Zion“ zu faktischen Quellen erkläre und den Holocaust selbst zur historischen Fiktion, sollte im öffentlichen Raum keine Konzerte geben.

Naidoo gibt aber nicht nur ein Konzert. In Köln tritt er bereits am nächsten Abend wieder auf. Und im neuen Jahr wird Xavier Naidoo durchs Land reisen, durch die größten Hallen – alle ausverkauft. Ein kleines, kaum beachtetes Comeback hatte er schon in Mannheim elf Tage zuvor gefeiert. Mit dem Rapper Kontra K sang er in seiner Heimatstadt als Bühnengast sein Lied „Alles kann besser werden“ und rief: „Vielen Dank, dass ich hier sein darf!“

In den zunehmend hitzigen Debatten zur Meinungs- und Kunstfreiheit dreht sich alles um dieses Dürfen. Darum, was man alles nicht mehr und ja wohl noch sagen darf. Auch wenn nicht alle damit einverstanden sind im Land: Niemand verbietet Xavier Naidoo seine Konzerte und seine Tournee. „Alles kann besser werden“, singt er auch in Köln. So hieß sein Album von 2009. Ein dreiteiliges Werk, bestehend aus „hell 1“, „hell 2“ und „dunkHell“. In „dunkHell“ kam er zur Sache.

In „Raus aus dem Reichstag“ besang er eine Regierung, die ihr Volk hasst und bei Wahlen schummelt, über Korruption und Lobbyismus, den Axel-Springer-Verlag, zu dem auch WELT gehört, und die Deutsche Bank und seine ganz besondere Obsession, die Juden und die Weltverschwörung: „Baron Totschild gibt den Ton an, und er scheißt auf euch Gockel/ Der Schmock ist’n Fuchs und ihr seid nur Trottel.“ In „Goldwagen/Goldwaagen“ wärmte er eine Querdenker-Legende auf: „9/11, London und Madrid/ Jeder weiß, dass al-Qaida nur die CIA ist.“ Singt er heute lieber nicht mehr.

Diskutabler als die Abkehr des deutschen Kulturbetriebs von Xavier Naidoo – das „Canceln“ also, wie man heute sagt – ist eher, dass es so lange bis dahin gedauert hat. Fernsehen und Musikgeschäft haben ihn lange ausgehalten und als Kauz behandelt. Als er 1998 mit dem Album „Nicht von dieser Welt“ in Mannheim auftauchte, erklärte er bei MTV die Wahl des Bundestags für ungültig. Im Jahr darauf erläuterte er im „Musikexpress“ sein Welt- und Menschenbild: Amerika als Antichrist und er als Flüchtlingskind aus Afrika als Rassist „ohne Ansehen der Hautfarbe“. „Der Neger aus Kurpfalz“, wie er sich nannte. Man hat ihn nie ernst genommen, wenn er als „PR-Agent des Herrn“ gegen die sogenannte Klimawandellüge wetterte und dazu aufrief, die fossilen Abfälle der Schöpfung zu verbrennen, weil Gott dafür Autos und Motoren erschaffen habe.

2004 trat er als Botschafter der Rundfunkquote für das deutsche Liedgut vor den Bundestag. 2005 sang er in „Telegramm für X“: „Jetzt scheiß ich auf eure Demokratie!“ In „Abgrund“ sang er: „Das Land braucht jemanden, der sagt, wo es langgeht, um den Motor wieder in Gang zu bringen.“ Nebenbei nahm er an der Kampagne „Du bist Deutschland“ teil. 2006 sang er im Sommermärchen für die Fußballnationalmannschaft: „Dieser Weg wird kein leichter sein, dieser Weg wird steinig und schwer, nicht mit vielen wirst du dir einig sein.“ 2009, in „Iz On“, einem Anagramm von „Zion“, einem Album mit den Söhnen Mannheims, hieß es: „Jungs, wir schlagen los, das Biest bekommt den tödlichen Stoß.“ Nachdem die amerikanische Armee Mannheim verlassen hatte, sagte er im Frühstücksfernsehen: „Nein, wir sind nicht frei, wir sind noch immer ein besetztes Land.“

2014 radelte Xavier Naidoo am Tag der Einheit durch Berlin, hielt vor dem Reichstag eine Rede für die aufmarschierten Reichsbürger und vor dem Kanzleramt für eine Mahnwache von Montagsdemonstranten. „Lasst uns miteinander Ordnung schaffen“, sprach er und sang: „Was wir alleine nicht schaffen“. „Vom Popstar zum Populisten“, schrieb der „Spiegel“. Plötzlich passte alles, was er sagte, sang und tat, ins Raster und in einen Rahmen. Auch das Stück „Wo sind sie jetzt?“ auf dem Album „Gespaltene Persönlichkeit“ mit Kool Savas über Pädophilie und Homosexualität und Ritualmorde an Kindern im Geist der QAnon-Sekte von 2012.

2015 kam die ARD auf die für die Rundfunk-Arbeitsgemeinschaft verwegene Idee, zum ESC nach Stockholm einen Sänger zu entsenden, der sein Land, so wie es war, nicht mochte, der Verfassung kritisch gegenüberstand, antisemitische Gemeinplätze bediente und kaum eine Schwurbelei ausließ, um sich zu äußern. 48 Stunden später lud die ARD ihn kleinlaut wieder aus.

„Absurdes Theater“, schimpfte Herbert Grönemeyer. Nachdem Xavier Naidoo im „Stern“ seine Reichsbürger-Thesen untermauert hatte, distanzierte sich auch RTL von ihm und warf ihn aus der Show „Sing meinen Song“. 2018 kehrte er zu RTL zurück in die Jury von „Deutschland sucht den Superstar“. Nach einem Video war wieder Schluss bei RTL, Naidoo hatte gesungen: „Eure Töchter, eure Kinder sollen leiden/ Sollen sich mit Wölfen in der Sporthalle umkleiden/ Und ihr steht seelenruhig nebendran/ Schaut euch das Schauspiel an, das euch beenden kann.“ Der deutsche Mann und das Land verreckten an der politischen Korrektheit, so der Sänger.

Marek Lieberberg ergriff als jüdischer Konzertveranstalter für Xavier Naidoo das Wort, schaltete eine ganzseitige Solidaritätsanzeige in der „FAZ“ unter dem Motto „Menschen für Naidoo“ und sagte der „Jüdischen Allgemeinen“: „Ich verstehe die Diskussion. Aber ich bleibe dabei: Xavier Naidoo ist weder antisemitisch noch homophob. Da gibt es viele Missverständnisse und Widersprüche.“ Jetzt veranstaltet er das Comeback, ohne die Missverständnisse und Widersprüche aufzuklären oder ausräumen zu lassen.

Nach dem Bruch wurde Naidoo noch radikaler

Nach dem Bruch mit ARD und RTL, Instanzen und Institutionen aller Art und Teilen seines Publikums, wurden seine Gesänge umso radikaler. Auf dem Album „MannHeim“ sang er von „Marionetten“, die ferngesteuert seien von den Puppenspielern in den Parlamenten, alle nur noch Steigbügelhalter für die „Volksverräter“: „Ihr wandelt an Fäden wie Marionetten/ Bis wir euch mit scharfer Schere von der Nabelschnur Babylons trennen.“ „Muslime tragen den neuen Judenstern“, hieß es in „Nie mehr Krieg“.

2019 gab es noch ein letztes Album, „Hin und weg“ mit Zeilen wie: „Ein Weg führt links/ Ein Weg führt rechts/ Ein Weg zum Ende des Gefechts.“ Oder: „Es wird immer welche geben/ Die dich hassen und bekriegen/ Lass sie einfach links liegen.“ Eine Stiftungsreferentin nannte ihn einen Antisemiten, er zog vor Gericht, am Ende entschied das Bundesverfassungsgericht: Man dürfe Xavier Naidoo einen Antisemiten nennen.

Links und rechts liegen ließ er selbst niemanden. „Fridays for Future“ machte er in einem Video zur Armee des Antichristen. Mit dem Sänger Hannes Ostendorf von der Rechtsrockband Kategorie C nahm er ein Heimatlied auf. Zuletzt trat er vor vier Jahren hier und dort noch im Konzert auf, unter größeren Protesten als in Köln 2025.

Dann nahm er ein drei Minuten langes Video auf unter dem Titel „#OneLove“. Xavier Naidoo saß auf dem Sofa und erklärte: „Ich habe mich Theorien, Sichtweisen und teilweise auch Gruppierungen geöffnet, von denen ich mich ohne Wenn und Aber distanziere und lossage.“ Er habe sich blenden, instrumentalisieren, auf Irrwege führen und verführen lassen. Das, dieses Video von 2022, war der Stand bis zum Konzert in Köln und zu den Worten Marek Lieberbergs, der nun Naidoos Comeback veranstaltet: „Eine Entschuldigung ist eine Entschuldigung“, so Lieberberg. Ende der Diskussion.

Zwei Stunden lang singt sich Xavier Naidoo durch den weitgehend unverfänglichen Teil seines Werks. „Alles kann besser werden“, „Dieser Weg“ und so weiter. Man könnte auch in seinem Resozialisierungsprogramm nach verdächtigen Wörtern fahnden, aber darum geht es gar nicht. Es geht auch nicht um Entschuldigungen, sondern darum, was er schon auf „MannHeim“ sang: „Ist dir aufgefallen, dass die Menschen heute nicht mehr sagen, was sie sagen wollen / Sondern nur, was sie zu sagen wagen?“

Im Konzert sagt er nichts darüber, warum er weg war. Er spricht nur davon, wieso er wieder da ist: „Ihr seid schuld, dass ich hier steh.“ „Wo wart ihr denn die ganzen Jahre?“ „Ich durfte mich in den letzten Jahren um meine Familie kümmern, aber ihr seid auch meine Familie.“ „Ich bedanke mich bei der Familie Lieberberg, sie hat immer an mich geglaubt.“

Er könnte sich erklären, sich und seine unerklärten Irrwege und Sichtweisen aus dem Entschuldigungsvideo vor drei Jahren. Während wieder um den ESC gestritten wird, um Israel, und hinter den Protesten gegen Israel im Gaza-Krieg antisemitische Affekte wieder links und rechts zu Vorschein kommen, wäre beim Comeback unter der Überschrift „Bei meiner Seele“ die Gelegenheit dazu. In seiner blumigen Lyrik stecken reichlich Stichwörter: „Du machst so viele Fehler, die schmerzhaft sind“ („Mut zur Veränderung“). Oder: „Wenn die Dunkelheit über mich hereinbricht“ („Der Fels“).

Aber es ist nur ein Konzert. Eine Messe für 16.000 Menschen, die noch an Xavier Naidoos lyrisches Ich glauben, auch wenn er selbst es längst verraten hat. Künstler und Werk sind bei ihm eins. Dafür mischt er sich unters Volk beim Singen. Auf dem Videoschirm über der Bühne zeigt er zwischenzeitlich bis zu fünf Inkarnationen seiner selbst.

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