Die spektakuläre Neueinspielung von Johann Sebastian Bachs Goldberg-Variationen hat den Isländer Víkingur Ólafsson 2023 in die erste Liga der zeitgenössischen Pianisten katapultiert. Nach einer ausgedehnten Welttournee meldet sich Ólafsson nun zurück mit seinem neuen Album „Opus 109“. Auf dem Album thematisiert er die flankierenden Klavierwerke vor und nach der fünfjährigen Pause zwischen 1815 und 1820, in der Ludwig van Beethoven für eine ungewöhnlich lange Zeit als Komponist verstummte. Mit WELT sprach Ólafsson im Schnee von Reykjavík über die Notwendigkeit, sich als erfolgreicher Interpret neu zu erden, um den Blick auf das Wesentliche, die Neuerfindung der Musik, nicht aus den Augen zu verlieren.

WELT: Sie sind in den vergangenen Jahren um die Welt getourt, kaum zu Hause gewesen und haben zwischendurch Bachs Goldberg-Variationen aufgenommen. Jetzt haben Sie die Aufnahmen zu Ihrem neuen Album „Opus 109“ abgeschlossen. Es ist ein leises, konzentriertes Album mit Werken von Beethoven, Schubert und Bach, das metaphorisch gesprochen die Ruhe im Auge eines Hurrikans ausstrahlt.

Víkingur Ólafsson: Genau deshalb brauchen wir Musik, weil sie uns aus dem Hurrikan herausholen und uns mit unserer ausgeglicheneren Seite in Kontakt bringen kann. Es ist ja die Pflicht des Künstlers, seinem eigenen Erfolg zu entfliehen, damit dieser nicht den Kern dessen verändert, wer man ist. Die größte Herausforderung für mich persönlich sind die zwei unterschiedlichen Welten, in denen ich mich bewege: als Familienvater – Vater von zwei Söhnen und Ehemann ihrer Mutter – und als Solist auf Tournee.

Es ist wichtig, Zeit für die Menschen zu haben, die einem am wichtigsten sind, und zwischen den sehr unterschiedlichen Energien zu navigieren, die entstehen, wenn man an einem Abend im Rampenlicht des Showbusiness steht und am nächsten Abend das Licht im Schlafzimmer seiner Söhne ausschaltet und ihnen eine Gutenachtgeschichte erzählt, während man die Waschmaschine anstellt, damit sie am nächsten Morgen in sauberen Kleidern zum Fußballtraining gehen können. Etwa 100 Konzerte pro Jahr zu spielen ist eine Sache und an sich schon genug Arbeit, aber heutzutage gibt es so viele zusätzliche Anforderungen an einen Künstler, die die Zeit zwischen den Konzerten in Anspruch nehmen: Videos müssen gedreht, Texte geschrieben und genehmigt, Fotoshootings gemacht, Interviews gegeben, Musik korrigiert und veröffentlicht werden, und die Liste geht weiter.

WELT: Wie ist Ludwig van Beethoven mit seinem Erfolg umgegangen?

Ólafsson: Stellen Sie sich ihn in unserer Zeit vor, ein x-beliebiger Tag, an dem er in Wien aufwacht. Noch vor dem ersten Kaffee muss er in einen Zoom-Call mit seinem japanischen Verleger in Tokio. Dann hätte er einen dringenden Anruf mit Australien für die Abendnachrichten. Anschließend müsste er zum Flughafen, um zu einem Konzert nach São Paulo zu fliegen. Wenn Beethoven heute gelebt hätte, hätte er ein völlig anderes Leben geführt.

WELT: Sie sind einer der erfolgreichsten Pianisten unserer Zeit, wenn nicht sogar der erfolgreichste. Misstrauen Sie Ihrem Ruhm?

Ólafsson: Nein, ich stelle nur fest, wie unterschiedlich die Zeiten sind. Letztes Jahr wurde ich 40, und seit dem Welterfolg der Goldberg-Variationen ist mein Leben eine Achterbahnfahrt. Ich habe mir, meinen zwei Kindern und meiner Frau versprochen, mir mehr Zeit für kreative Muße zu nehmen und einfach abzuwarten, was passiert. Denn wenn ich die Beispiele anderer Musiker betrachte, die älter als 40 sind, stelle ich oft fest, dass sie sich in einem immer engeren Kontext wiederholen. Man sieht, wie sie ihr Territorium vielleicht ein wenig zu genau definieren, was dazu führt, dass sie sich seltener außerhalb ihrer Komfortzone bewegen. Neugier ist zwar etwas, mit dem man geboren wird, aber nicht notwendigerweise mit ins Grab nimmt. Mit zunehmendem Alter glauben wir, die Dinge zu kennen, und deshalb denken wir, dass wir Bach und Beethoven nicht mehr weiter infrage stellen müssen. Genau das will ich aber. Und deshalb möchte ich in Zukunft weniger Konzerte geben, um Raum für Unerwartetes zu schaffen.

WELT: Da dies Pläne für die Zukunft sind, wie haben Sie dann die Zeit gefunden, sich für Ihr neues Album so intensiv mit Beethoven auseinanderzusetzen? Ihre Herangehensweise an seine Musik unterscheidet sich immerhin deutlich von der früherer Interpreten.

Ólafsson: Ich freue mich, dass Sie das sagen, aber ich glaube, es steht mir nicht zu, das zu erklären. Ich bin mir nicht sicher, ob man eine Herangehensweise wirklich erklären kann, da es keine „Herangehensweise” als solche gibt. Eines ist jedoch sicher: Gute Ergebnisse erzielt man nur, wenn man sich mit den richtigen Leuten umgibt. Ich habe vier Personen, die mir bei den Aufnahmen helfen, darunter meine Frau, die als Co-Produzentin genannt wird. Dieses Mal haben wir viel Neues ausprobiert. Für mich zumindest ist das neue Album völlig anders, es hat einen neuen Klavierklang, der sich von allem unterscheidet, was ich bisher gemacht oder von anderen gehört habe.

WELT: Was haben Sie anders gemacht?

Ólafsson: Wir haben die Art und Weise, wie wir aufnehmen, komplett geändert. Ich habe mit meinem Produzenten Christopher Tarnow darüber nachgedacht, ob es etwas gibt, was wir bei der Klavieraufnahme neu überdenken könnten. Wir suchten nach etwas Neuem, das wir in der Vergangenheit noch nicht gesehen hatten. Und es stellte sich heraus, dass es ein grundlegendes Element gab, das wir in unserem Prozess ändern konnten, um meiner Meinung nach eine schöne Klangverbesserung zu erzielen. Wenn man eine Taste auf dem Klavier spielt, schlägt der Hammer auf die Saite, die Saite schwingt und der Klavierdeckel lenkt den Klang dann in eine bestimmte Richtung – zum Publikum. Deshalb haben wir einen Klavierdeckel. Und wir überlegten: Was passiert, wenn wir die Wellen aufnehmen, die von der Saite ausgehen, und die Verzerrung beseitigen, die entsteht, wenn die Schallwelle auf den Deckel trifft?

Kurz gesagt, wir verabschiedeten uns von dem Klavierdeckel, den wir bei all unseren bisherigen Arbeiten verwendet hatten. Und wir arrangierten die Mikrofone völlig anders, fast wie einen Heiligenschein über mir und der Harfe des Instruments. Wir wurden mit einem viel reineren Klang belohnt, als wir ihn jemals zuvor erzielt hatten. Meine Aufnahmen sind in der Regel sehr intim im Klang, die Mikrofone sind näher am Instrument, und ich möchte, dass der Zuhörer das Gefühl hat, fast direkt neben mir auf der Klavierbank zu sitzen. Aber ich möchte auch die Schönheit des Klangs im Raum, die unendlichen Nuancen des Klangs, und unser ständiges Bestreben ist es, diese beiden scheinbar gegensätzlichen Elemente miteinander zu verschmelzen.

Ich finde, dass die meisten Klavieraufnahmen zu weit entfernt von der Klangquelle aufgenommen und abgemischt werden, zu „aufdringlich“ sind und es ihnen an klanglichen Nuancen mangelt. Für meine Ohren ist dieser Ansatz eher generisch in seiner Ausdrucksweise. Natürlich ist das alles eine Frage des persönlichen Geschmacks. Aber mit einer solchen Anordnung aufzunehmen ist relativ einfach, da weniger Details zu hören sind und man das Klavier allgemeiner spielen kann. In gewisser Weise mache ich mir mit dieser Nahaufnahme-Ausrüstung das Leben im Studio zur Hölle, denn für den Interpreten ist das manchmal schmerzhaft sensibel. Aber ich habe diese Hölle lieben gelernt.

WELT: In den Liner Notes zu Ihrem neuen Album schreiben Sie, dass alles im Leben als Variation verstanden werden könnte: Orte, Räume, Ereignisse, Menschen, Ideen – und Musik. Kommt das daher, dass Sie sich so intensiv mit den Goldberg-Variationen beschäftigt haben?

Ólafsson: Musik muss ständig eine Variation ihrer selbst sein. Sonst würde sie zu einem Museumsstück werden und aufhören, lebendig zu sein. Diese Vorstellung, dass das Leben eine endlose Reihe von Variationen ist, geht auf mein Philip-Glass-Album zurück, auf dem ich mich mit Minimalismus und Wiederholung beschäftigt habe. Damals habe ich entdeckt, dass es so etwas wie Wiederholung in der Musik oder im Leben nicht gibt, wenn man neugierig bleibt.

WELT: Aber wie hängt das mit Beethoven zusammen?

Ólafsson: Im April vor den Aufnahmen zu „Orbiting Around Opus 109“ war ich in Cambridge und stieß dort auf ein sehr gut erhaltenes Klavier von 1815 – ein baugleiches Klavier, wie Beethoven es in seinem Wohnzimmer hatte. Ich spielte auf dem Klavier und erlebte eine Offenbarung, weil es so unerwartet unvollkommen klang. Die tiefen Töne klingen, als wäre das Pedal verschmutzt. Die Register sind insgesamt viel weniger klar definiert. Ich spielte automatisch ganz anders als auf einem modernen Flügel. Mir wurde in diesem Moment klar, warum Beethoven so extreme Dynamiken komponierte: Sein Instrument hat ihn dazu gezwungen. Ich fragte mich also: Hätte er genau dieselben Dynamikanweisungen notiert, die so viele Pianisten für Religion halten, wenn er auf einem modernen Klavier komponiert hätte? Ich bezweifle das. Und plötzlich spürte ich eine große Freiheit, mich Beethoven zu nähern.

WELT: Welche Rolle spielte in seinen späten Kompositionen, dass er zunehmend taub wurde?

Ólafsson: Ich vermute, dass er deshalb vielleicht etwas zu kontrollierend in seiner Notation wurde. Wir Pianisten schätzen alle Anweisungen in den Partituren. Aber wenn man versucht, sie alle zugleich zu befolgen, geht etwas vom Geist der Musik verloren. Ich habe versucht, all diese Gedanken zu berücksichtigen, als ich mein neues Album aufgenommen habe. Bestimmt werden mich einige Leute dafür kritisieren, aber es ist die logische und auch eine praktische Wahrheit. Wenn man nicht mehr hören kann, wie andere die eigene Musik spielen, versucht man, dies durch extreme Anweisungen zu kompensieren.

Mein Lieblingsinterpret Beethovens ist Artur Schnabel. Er hat in den 1930er-Jahren die erste vollständige Aufnahme des Beethoven-Sonatenzyklus gemacht. Es steckt so viel Freiheit und Geist, so viel Poesie und Selbstvertrauen darin. Er begegnet Beethoven wirklich und führt dieses Gespräch mit ihm. Wir alle feiern Schnabel heute, aber viele Klassikprofis, die jemanden wie ihn lobpreisen, würden diesen Ansatz bei niemandem anwenden, der nicht seit mindestens 50 Jahren tot ist. Das ist ein größeres Problem, das wir in der klassischen Musik haben.

WELT: Als Beethoven erkannte, dass er sein Gehör verlor, hatte er auch Selbstmordgedanken. Dennoch schrieb er weiterhin Musik.

Ólafsson: In den vergangenen drei Wochen war ich mit dem sogenannten „Kaiser-Konzert“, dem Klavierkonzert Nummer 5, auf Tournee in den USA. Dies war das erste große Stück, das er nicht mehr selbst uraufführte. Er hatte die Weltpremiere wohl zehnmal verschoben, weil er bis zuletzt die Hoffnung hatte, dass sein Gehör zurückkehren würde. Doch natürlich kam es nicht dazu. Es handelt sich um sein optimistischstes und fröhlichstes Werk. Und ich frage mich: Wie konnte er ein so erhebendes Werk schreiben, das fast keine Schattenseiten hat, während er selbst durch seine dunkelsten Stunden ging?

WELT: Vielleicht war Beethoven ja bipolar.

Ólafsson: Es gibt einen Moment der großen Stille und Reflexion in Beethovens Leben. Sein Opus 109 aus dem Jahr 1820 hat seinen Ausgangspunkt sechs Jahre zuvor, im Jahr 1814, als er seine unglaubliche Sonate Opus 90 in e-Moll komponierte. Und dann folgten fünf endlose Jahre Stille. Er komponiert nichts. Und das ist einfach unglaublich für einen Mann, der zuvor so viel geschrieben hatte. Und dann kommt nach dieser langen Pause „Opus 109“. Mein Album dreht sich um genau diese Jahre. Denn inmitten dieser Stille entwickelt sich der damals 17-jährige Schubert zu einer eigenen Persönlichkeit. Mit seiner e-Moll-Sonate Nummer 6, ebenfalls in zwei Sätzen, schrieb er in die große Stille eine Hommage an seinen Helden Beethoven, wobei der zweite Satz vollständig an den zweiten Satz von Beethovens „Opus 90“ anknüpft.

Deshalb betrachte ich 1814 als das eigentliche Geburtsjahr Schuberts. Diese Jahre der Stille markieren einen großartigen Moment in der Musikgeschichte, da sich unsere Sichtweise auf das Klavier verändert. Ich finde es bemerkenswert, dass dieses Werk heute fast nie aufgeführt oder aufgenommen wird. Während Schubert an seiner Sonate arbeitet, durchlebt Beethoven eine sehr schwierige Zeit, die schließlich zu der großen Wandlung führt, die wir oft als seine „dritte Periode” bezeichnen. Ich betrachte seine E-Dur-Sonate op. 109 aus dem Jahr 1820 als den Beginn dieses neuen Kapitels in seinem Leben, als Musik der Zukunft, beflügelt von barocken Techniken, mit Bachs Geist in der Luft.

WELT: 1820 kehrt Beethoven zurück. Wie hat sich seine Kompositionsweise verändert?

Ólafsson: „Opus 109“ eröffnet eine neue Richtung in seinem Schaffen. Beethoven nutzt sein barockes Wissen über Bach, um die romantische Revolution voranzutreiben. Ich denke, dass er seine fünfjährige Pause genutzt hat, um etwas zu verfeinern und herauszuarbeiten, das nur die Zeit bringen kann. Wir müssen uns auch heute stets daran erinnern, unserem Unterbewusstsein genügend Raum zu geben und nicht nur im Bereich des Bewusstseins zu leben, sonst lassen wir keine Dinge mehr in unserem Hinterkopf wachsen. In meinem Studio habe ich all diese Pflanzen in meinem Garten – und ich liebe sie! Aber ich liebe es auch, Island für meine Tourneen zu verlassen und dann zwei oder drei Wochen später zurückzukommen und all die neuen Zweige zu sehen, die ohne meine Zeugenschaft gewachsen sind. Und das Gleiche gilt für das Unterbewusstsein – und die Musik.

WELT: Sie beschreiben Beethovens Spätwerk als „intim und doch kosmisch“. Vergleicht man die Fotos, die uns das James-Webb-Teleskop aus dem Weltraum schickt, mit den Aufnahmen eines Nanomikroskops von der Molekularstruktur des menschlichen Körpers, ähneln sie sich gespenstisch. Ist Beethovens Musik dem Menschlichen wie dem Göttlichen ähnlich nahe?

Ólafsson: Beethovens Spätwerk ist unglaublich menschlich. Er lädt uns in „Opus 109“ ein, in seinen privatesten Raum einzutreten. In diesem Sinne ist er ein Pionier der Romantik und vielleicht der erste romantische Komponist der Geschichte. Aber das kosmische Element ist ebenfalls präsent. Denn genau in dem Moment, in dem man glaubt, in seinem Innersten zu sein, hat man zugleich das Gefühl, dass er das Universum widerspiegelt. Vor allem in seinen späten Kompositionen stellt er grundlegende Fragen: Was ist eine Komposition? Was ist ein Thema und was sind Variationen? In diesen letzten Werken transzendiert er sich selbst durch die menschliche Erfahrung. Da erreicht er das Kosmische durch barocke Erfindungen, letztlich durch die Verarbeitung von Bach und die Bezugnahme auf die Goldberg-Variationen.

In diesem Sinne findet er die Zukunft in der Vergangenheit, so wie wir heute den Weltraum durch die Moleküle der Erde zu sehen scheinen. Was uns zu Beethoven hinzieht, ist die Tatsache, dass er es geschafft hat, sich trotz seines Hörverlustes durchzusetzen. Er spiegelt damit die Geschichte der Menschheit, in den schwierigsten Situationen erfolgreich zu sein und zu überleben. Und so ist seine Musik. Es ist seine Suche nach seinem persönlichen Raum, um sich immer mehr in den Raum auszudehnen. Nirgendwo sonst als in diesen Werken überwindet er die menschliche Erfahrung und gelangt zu etwas Universellem, zu etwas Menschlichem.

WELT: Können Sie sich vorstellen, wie er all diese Musik schreiben konnte, ohne hören zu können? War Musik für ihn Literatur? Etwas, das man schreiben kann, aber nicht unbedingt hören muss?

Ólafsson: Für Beethoven war es vor allem eine Frage von Leben und Tod. Musik war sein Leben, und ein Leben ohne Musik würde sein Tod sein. Wenn er das Hindernis der Taubheit nicht hätte überwinden können, gäbe es für ihn keinen Weg zu leben, und er müsste sterben. Für ihn war es also eine Frage von Leben und Tod, Musik schreiben zu können, selbst mit Taubheit. In diesem Sinne ist Beethoven der große Überlebenskünstler.

WELT: Sie selbst haben einen synästhetischen Zugang zur Musik. Sie haben einmal gesagt, dass die Tonart „E“ für Sie die Farbe von Grüntönen hat. Könnten Sie mit geschlossenen Augen spielen und sich ganz in die Variationen der Farbe vertiefen?

Ólafsson: Synästhesie ist so interessant! Als Kind dachte ich, dass jeder sie hätte. Ich dachte, alle würden mir zustimmen, dass „E“ grün und „F“ blau ist. Der Moment, als mir klar wurde, dass nicht jeder diese Wahrnehmung teilt, war ein Schock meiner Kindheit. Stellen Sie sich vor, Sie würden zu jemandem sagen: „Schau, das Gras ist grün.“ Und Sie würden die Antwort bekommen: „Wovon redest du? Das Gras hat keine Farbe.“ Meine Synästhesie schafft eine sehr interessante Art, Musik zu betrachten und zu hören. Übrigens: Alle Stücke auf meinem Album und somit auf meiner Tour sind in E-Dur und E-Moll.

WELT: Auf dem Cover posieren Sie inmitten eines grünen Moosfeldes in Island, und bei Ihrem Konzert in der Philharmonie in Berlin war die Bühne grün beleuchtet.

Ólafsson: Für mich entsteht eine farbliche Schönheit, die möglicherweise nur ich sehe, wenn ich ein ganzes Album in E-Dur und E-Moll aufnehme. Vermutlich spricht man auch deshalb von Tonfarben. Ich glaube tatsächlich, dass „E“ eine der vielfältigsten Tonarten ist. In den richtigen Händen, also in den Händen von Bach, Beethoven oder Schubert, wird die Tonart unendlich. Es ist wie mit dem Nanomikroskop: Man geht immer tiefer und tiefer. Man kommt dem Kern immer näher und sieht doch mit jedem Grad, den man näher kommt, ganz viele neue Dinge.

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