Es sei ein Film „für alle, die sich für die Zukunft unserer Demokratie interessieren“, heißt es einigermaßen großspurig auf der Homepage. Unter dem Titel „Jetzt. Wohin.“ läuft sei dem 7. Dezember Lars Jessens Dokumentation über den Wahlkampf des letztlich gescheiterten Grünen-Spitzenkandidaten Robert Habeck in den Kinos. „Für mich und viele andere war er nicht nur ein Minister und Politiker, sondern die Projektionsfläche der Idee, dass Klimaschutz endlich angepackt wird, dass Politik wieder ehrlich sein könnte“, gibt der Regisseur im Film zu Protokoll. Die Kritiken jedoch fallen zum Teil verheerend aus.
Aus Sicht des „Stern“ sei der Film „grandios gescheitert“. Der Bayerische Rundfunk spricht von einer „Idolatrie“ und beanstandet die mangelnde Distanz der Dokumentation zu Habeck. Und die „taz“ betont die fehlende kritische Beleuchtung, die auf die freundschaftliche Perspektive des Filmemachers zurückzuführen sei. In seinem ideologiekritischen Format „Die Filmanalyse“ befasst sich auch der linke Filmkritiker Wolfgang M. Schmitt mit „Jetzt. Wohin.“. Es sei ein „hochinteressanter Gruselfilm“ und „einziges Selbstgespräch eines Milieus“, befindet der Kritiker.
Hinter der Dokumentation steht unter anderem die Produktionsgesellschaft „Florida Film“ von ProSieben-Moderator Klaas Heufer-Umlauf. Dessen Serie „Check Check“ war wiederum unter der Regie von Jessen entstanden. Neben privater Investitionen wurde der Film mit 270.000 Euro aus öffentlichen Mitteln bedacht, was vorab beanstandet worden war. Eine derartige Filmförderung sei kein ungewöhnlicher Vorgang, legte nun Schmitt dar, aber es habe ein „Geschmäckle“, dass der Regisseur zugleich die Rolle des Wahlkampfstrategen einnehme. „Das ist schon ein bisschen eigenartig. Man filmt sich bei seiner eigenen Arbeit und kassiert dafür Förderung.“
Obwohl der Film aus Insider-Perspektive gedreht sei, fehle es gänzlich an interessanten Aufnahmen. Statt Momente festzuhalten, die sich den Nachrichten entzögen, zeige er Wahlkampfreden, Talkshow-Auftritte und Social-Media-Clips. Dazu kämen Wegbegleiter und Unterstützer zu Wort. Kritische Stimmen blieben zumeist außen vor. In erster Linie gehe es um die „Sehnsucht nach einer Lichtgestalt“. Habeck werde als „der Ehrliche, der Aufrechte“ in Szene, als guter Zuhörer, der jedem auf Augenhöhe begegne. „An dieser Stelle fragt man sich auch, was wird denn hier eigentlich gesucht? Ein Erzieher, ein Therapeut oder doch noch irgendwo ein Politiker?“, fragt Schmitt.
Unter dem Namen „Grüne Küche“ hatte Filmemacher Lars Jessen ein Netzwerk aufgebaut, in dem beraten werden sollte, wie die Wahlkampfthemen strategisch angegangen werden könnten. „Dieses Team besteht aus Künstlern, Podcastern, Schauspielern, Sachbuchautoren, Sängern und Moderatoren – also ganz normale Leute“, erklärt Schmitt nun im Nachhinein sarkastisch. Die Art und Weise, wie etwa Schauspieler Charly Hübner oder Aktivistin Luisa Neubauer über performative Aspekte von Habeck und Baerbock sprächen, sei nur möglich, wenn „man von Politik gar nicht mehr betroffen“ sei, bemängelte er. Was hingegen bei den davon abgeleiteten Küchengesprächen mit normalen Menschen besprochen worden sei, spare der Film aus. Einzig die Rezeption in den sozialen Medien sei von Interesse.
Sowohl politisch als auch ökonomisch erfahre das Publikum nichts. Wie die US-Demokratin Kamala Harris im vergangenen Jahr habe Habeck einen „inhaltlich völlig entkernten Wahlkampf“ angeboten. Der frühere Bundeswirtschaftsminister betonte vor allem die Idee des Gemeinsamen, die es verunmögliche, politische Themen anzusprechen. „Am Ende geht es nur noch darum: Wer hat einen kuscheligen Pulli an? Der Robert natürlich“, sagt Schmitt. „Wir erleben eine völlige Entpolitisierung.“ Diese wiederum treffe auf eine totale Polarisierung. „Dass das nicht gut gehen kann, ist irgendwo klar.“
Aus dem Off frage Jessen, ob die Abstiegsängste der Menschen womöglich ernster genommen werden müssten. „Es sind nicht nur Abstiegsängste“, kritisierte Schmitt. „Der Abstieg ist ja real. Und für viele gibt es keinen Abstieg, weil die gar nicht aufgestiegen sind.“ Während der dreieinhalb Jahre der Ampel-Koalition habe es die höchsten Reallohnverluste seit dem Zweiten Weltkrieg gegeben. Auch wenn dies nicht alleine die Schuld von Habeck gewesen sei, müsse er darauf eine politische Antwort formulieren. „Ein Film, der über das Ökonomische nicht sprechen will, obwohl wir es hier mit dem Wirtschaftsminister zu tun haben, geht einfach vollkommen in die Irre.“
„Jetzt. Wohin.“ zeige, so das Fazit des Filmkritikers, letztlich das Scheitern des ehemaligen Grünen-Vorsitzenden und suche auch eine Erklärung dafür. „Die kritische Selbstreflexivität ist aber nur vorgetäuscht. Wir beobachten hier eine Realitätsverweigerung, wie wir sie sonst aus Disney-Musicals kennen“, betont Schmitt. „Dazu kommen dann irgendwann noch nervöse Streicher-Klänge, ein paar Stillleben-Aufnahmen aus den Hinterzimmern, dann ein joggender Habeck. Die Wahl ist gelaufen, er hat verloren – es ist vorbei.“
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