Wenige Schauspieler verfügen über eine solch gewaltige Leinwandpräsenz wie Stellan Skarsgård – er ist in dieser Hinsicht regelrecht in Marlon-Brando-Gefilden unterwegs. Zuletzt war der 74-jährige Schwede als Baron Harkonnen in Denis Villeneuves „Dune“ zu sehen und als rationales Auge im Orkan der „Star Wars“-Rebellion von „Andor“. In Joachim Triers „Sentimental Value“ spielt er nun einen egoistischen Vater, der spät zur Besinnung kommt und versucht, mit seinen Töchtern eine Beziehung aufzubauen. Auf der zugigen Hotelterrasse, auf der das Interview stattfindet, präsentiert sich Skarsgård als ausnehmend freundlicher und zugewandter Gesprächspartner.
WELT: In „Sentimental Value“ spielen Sie einen Mann, der wie Sie im Filmgeschäft sehr erfolgreich ist – aber im Gegensatz zu Ihnen seine Familie verlassen hat. Sie selbst haben acht Kinder – wie viel von sich selbst können Sie in eine solche Rolle einbringen?
Stellan Skarsgård: Es ist unvermeidlich, dass ich Parallelen zu meinem eigenen Leben ziehe, aber ich bin ein völlig anderer Charakter als Gustav. Ich habe eine ziemlich gute Beziehung zu meinen Kindern – was wohl damit zu tun hat, dass ich ihnen ihre Pubertät jeweils im Alter von zwei Jahren zugestanden habe. Danach konnten sie mich ruhig ein Arschloch nennen.
WELT: Als Schweden waren sie mit zwei Jahren wahrscheinlich auch schon 1,80 Meter groß.
Skarsgård: Stimmt! Ich lege jedenfalls Wert auf eine nicht-hierarchische Erziehung, sie sollen mich nicht auf ein Podest stellen. Wir sind eher Kumpel – so wird vieles leichter. Natürlich war ich oft weg, mein Beruf ist mir extrem wichtig, ich brauche ihn, um mich lebendig zu fühlen. Und einige meiner Kinder sind unglücklicherweise selbst Schauspieler, sie verstehen das also. Gustav dagegen hat Mühe, Gefühle zu zeigen; er ist ein alter Typ Vater, der in Kategorien wie „richtig“ und „falsch“, „männlich“ und „unmännlich“ denkt und Schwierigkeiten hat, in der modernen Zeit anzukommen: unbeholfen in Beziehungen, oft verletzend, ohne es zu merken.
WELT: Er spricht wenig, versteht aber viel – seine Töchter sind bei der Lektüre des Drehbuchs zu seinem neuen Film fassungslos, was er alles über sie erkennt. Das geht bis zu einem Selbstmordversuch, von dem er eigentlich gar nicht wissen kann. Wie nähern Sie sich einer Figur, deren Psychologie so stark zwischen den Zeilen stattfindet?
Skarsgård: Ich intellektualisiere nicht. Ich lege keine Freud-Schablone über eine Figur. Jeder kann alles tun – diese Offenheit muss ich den Figuren lassen, damit sie mich überraschen können.
WELT: Ihre Zurückhaltung, dieses Minimalspiel, ist längst zu Ihrem Markenzeichen geworden.
Skarsgård: Wenn ich mehr täte, wäre es unerträglich – nicht zuletzt mir selbst. Das Interessante sind die kleinen Verschiebungen: der Moment, in dem Angst kommt, Überraschung, Schmerz. Diese Bewegungen versuche ich präzise zu platzieren und eben nicht groß zu inszenieren. Ingrid Bergman hat gesagt: „Wenn du nicht weißt, was du tun sollst – tu nichts.“ Viel passiert in den Augen, wenn die Kamera sie lässt. Da hat das Filmemachen sich verändert; früher wurden die Augen mehr gezeigt.
WELT: Ist diese Überzeugung vielleicht auch kulturell geprägt? Ein skandinavischer, eher stiller Zugriff aufs Spiel?
Skarsgård: Unsere Kultur ist von einer gewissen Schweigsamkeit – und darin sozusagen das Gegenteil der italienischen. Das liegt mir sehr.
WELT: Sie strahlen auf der Leinwand große Autorität aus oder wirken sogar Furcht einflößend – ich denke an den Rebellenführer in der „Star Wars“-Serie „Andor“ oder den Baron Harkonnen in „Dune“. Suchen Sie diese Rollen, oder suchen die Rollen Sie?
Skarsgård: Auf der Bühne wie vor der Kamera versuche ich, den Raum zu füllen, ohne viel zu tun. Daraus entsteht Autorität. Furcht dagegen kommt aus etwas anderem.
WELT: Nämlich?
Skarsgård: Aus Bedrohlichkeit und Stille. Menschen wissen nicht, was kommt – aber sie spüren, dass es schlimm sein wird.
WELT: Für den Baron Harkonnen bestanden Sie darauf, dass er keine monströse Rüstung trägt, sondern ganz Nacktheit, Schwere, Körperlichkeit ist. Warum?
Skarsgård: Weil er ohne Rüstung viel Furcht einflößender ist. Er sollte eine tragen und sah damit aus wie ein verdammtes Monster. Ich habe gesagt: „Zeig ihn in Pyjamas – das ist richtig unheimlich.“ Und er sollte in mehr Szenen zu sehen sein. Da habe ich auch interveniert. Die Reduktion macht es. Die viele Maske, die mir jeden Tag viele Stunden lang angepasst wurde, war übrigens im Spiel nicht einschränkend: Um Augen und Mund war sie dünn, eigentlich hat er mein Gesicht. Der massige Körper zwang mich, langsam zu gehen, das half ebenfalls.
WELT: Sie sind bekannt dafür, darauf zu drängen, dass so viel wie möglich real gedreht wird, nicht im CGI-Raum. Warum dieser Realismus in so fiktiven Welten?
Skarsgård: Weil es für mich und das Publikum besser ist. In „Dune“ wie auch in „Andor“ hatten wir fast nur echte Sets, in einem Studio sogar ein ganzes Getreidefeld. Das Haptische verändert alles.
WELT: Spielt es da eine Rolle, ob Sie in einer hyperrealen Sci-Fi-Welt agieren oder einer fast dokumentarischen Gegenwart wie in „Sentimental Value“?
Skarsgård: Nicht besonders. Science-Fiction als Genre hat mich nie besonders interessiert. Also ob die Leute elektrische Zahnbürsten benutzen oder so. Es geht mir immer um Menschen und darum, wie sie einander behandeln – oder töten.
WELT: „Andor“ ist vielleicht auch interessanter, weil es das erste wirklich politische „Star Wars“ ist.
Skarsgård: Absolut. Die Serie zeichnet das stimmige Porträt einer faschistischen Gesellschaft und fragt, was das mit den Menschen macht, wie die Furcht in alles hineinkriecht.
WELT: Sie arbeiten auf Englisch, Schwedisch, anderen skandinavischen Sprachen. Verändert die Sprache Ihr Spiel?
Skarsgård: Ich weiß es nicht. Vielleicht fühle ich mich auf Englisch freier, weil ich ein weniger feines Ohr für die Sprache habe.
WELT: Gerade die Pausen, in denen Sie schweigen, scheinen Ihr stärkstes Mittel zu sein.
Skarsgård: Danke, dass Sie das sagen! Leider schneiden viele Fernsehregisseure genau das weg und zeigen nur Dialog. Dann verpassen sie alles.
WELT: Hat die Isolation der Dreharbeiten während der Pandemie diese Einsamkeit des Charakters verstärkt?
Skarsgård: Ich bin kein Method Actor, aber natürlich beeinflusst einen eine solche Situation. London war im Lockdown: In Soho in einem Hotel mit zwei Leuten drin und mit offenen Fenstern zu schlafen, weil es draußen absolut still ist – das war eine surreale und fantastische Erfahrung. Zugleich hatte ich das Elend der Menschen in Ost-London vor Augen: sechs Migranten in einer kleinen Wohnung und am Verhungern.
WELT: Sie arbeiten enorm viel – in Europa, den USA. Gibt es, glauben Sie, irgendwann einen Punkt, an dem Sie sagen: Es reicht?
Skarsgård: Ich hoffe, das Leben wird irgendwann plötzlich enden. Meine einzige Furcht ist, langsam dahinzusiechen. Das wäre schrecklich.
WELT: Andererseits: Mit acht Kindern wird sich sicher das eine oder andere finden, das sich um Sie kümmert, oder?
Skarsgård: Ich will sie damit nicht belasten. Ich will, dass sie Spaß mit mir haben und sich nicht um mich kümmern.
WELT: Zum Schluss eine Frage, die wir Deutschen uns häufiger stellen: Warum kommen so viele internationale Stars aus Skandinavien – und so wenige aus Deutschland? Abgesehen von der Skarsgård-Dynastie zum Beispiel Mads Mikkelsen, Nikolaj Coster-Waldau aus „Game of Thrones“ oder Alicia Vikander.
Skarsgård: Das war schon immer so. Ich denke, es hat zum Teil mit der erwähnten skandinavischen Kultur zu tun, in der man wenig sagt, die Stille schätzt und mit ihr spielt, statt sich expressiv mitzuteilen.
WELT: Oder liegt es doch einfach an der Schönheit? Die skandinavischen Schauspielerinnen und Schauspieler sind ja durch die Bank fast unverschämt attraktiv.
Skarsgård: Das stimmt allerdings!
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