Die USA haben sich lange Zeit gelassen, um den Künstler zu benennen, der sie 2026 in ihrem nationalen Pavillon auf der Biennale von Venedig vertreten soll. Nun ist der Name draußen: Alma Allen. Während Österreich längst mit der Skandalperformerin Florentina Holzinger plant, Deutschland sich mit Henrike Naumann und Sung Tieu seines eigenen Ostens vergewissert, Frankreich der renommierten Yto Barrada die Bühne bereitet und Großbritannien die Turner-Preisträgerin Lubaina Himid stellt, fragt sich nicht nur Amerika: Alma who?
Eigentlich sollte der bekanntere Robert Lazzarini den neoklassizistischen Pavillon in den Giardini bespielen. Jedenfalls war dies der Plan des Kurators John Ravenal und des Contemporary Art Museum der University of South Florida, den das US-Außenministerium noch im September ausgewählt hatte. Doch der Plan platzte – angeblich wegen Termin- und Finanzierungsproblemen. Das diesjährige Auswahlverfahren war ohnehin chaotisch: Die National Endowment for the Arts, die traditionell die Jury beruft, aber unter erhöhtem politischem Druck steht, war nicht beteiligt.
Vielleicht lag es aber schlicht am Konzept. Lazzarini wollte den Pavillon mit verfremdeten Symbolen der amerikanischen Geschichte füllen: Flagge, Adler, George Washington, eine Bürgerkriegskanone – alles in seiner typischen verzerrten, illusionistischen Ästhetik. Der Kurator beschrieb das Projekt als Gelegenheit, sich kritisch mit amerikanischen Idealen auseinanderzusetzen. 2026 feiern die USA schließlich 250 Jahre Unabhängigkeit.
Zuvor gab es schon Konkurrenzprojekte. Der Software-Entwickler und selbst ernannte Vordenker einer „neoreaktionären Bewegung“ Curtis Yarvin hatte einen KI-generierten Film mit dem Titel „Venice Biennale Coup“ veröffentlicht, der ihn als Kurator des Pavillons nannte und sich um eine „dunkle Aufklärung“ rankte. Der Künstler Andres Serrano wollte den Pavillon zum Schrein der Trump-Mania umbauen, sozusagen als leicht vergiftete Hommage an den US-Präsidenten.
Von Alma Allen ist Ideologiekritik eher nicht zu erwarten. Der 55-Jährige stammt aus Salt Lake City, lebt heute im mexikanischen Tepoztlán, er war immer wieder obdachlos, machte Gelegenheitsjobs, ist Autodidakt, verkaufte seine anfangs kleinen Skulpturen auf der Straße. Mittlerweile erschafft er, handwerklich versiert, biomorphe Skulpturen aus Stein, Holz und Bronze – irgendwo zwischen Abstraktion und Gegenständlichkeit. Mit größeren Museumsausstellungen ist Allen bisher nicht aufgefallen. Die Ernennung zum nationalen Pavillonkünstler ist seine mit Abstand höchste Auszeichnung – und offensichtlich als Provokation gegen den „woken“ Kunstbetrieb zu verstehen.
Denn die identitätspolitisch geladene Kunstszene dürfte die Bildhauerei von Allen als mindestens betulich empfinden. Dass das US-Außenministerium sie „als Symbol für kollektiven Optimismus und Selbstverwirklichung“ versteht, wodurch „der Fokus der Trump-Regierung auf die Darstellung amerikanischer Exzellenz weiter vorangetrieben“ werde, dürfte als Affront gelten. Für manche ist Allens Nominierung schon deshalb diskreditiert, weil der bestellte Kurator Jeffrey Uslip 2016 wegen mangelnder „Rassismussensibilität“ bei einer Ausstellung in St. Louis kritisiert worden war.
Der Kurator steht heute als Vollstrecker eines kulturpolitischen Kurswechsels da – weg von Diversität und Identität, hin zu einer Bildsprache des Unverdächtigen. Gleichzeitig tritt Alma Allen in große Fußstapfen: Bruce Nauman, Félix González-Torres, Ed Ruscha, Louise Bourgeois, Jenny Holzer, Louise Nevelson waren nur einige seiner Vorgänger. In den vergangenen Jahren wurden im US-Pavillon afroamerikanische Künstler wie Simone Leigh, Martin Puryear oder Mark Bradford ausgestellt, 2024 der erste indigene Künstler, Jeffrey Gibson.
Nun also eine politische Setzung mit umgekehrten Vorzeichen: Nach den Kunststars – und Kunstmarkt-Stars – der vergangenen Jahre darf ein relativer Unbekannter seine Formen aus dem Stein hauen oder aus dem Baumstamm schälen. Allens konservativ-harmlose Formexperimente erscheinen so „unpolitisch“, dass sie zwangsläufig zum Politikum werden. Ein erster Beitrag dazu kam umgehend: Mendes Wood und Olney Gleason (ehemals Kasmin), die beiden Galerien, die Allen bislang vertraten, ließen ihn kurz nach Bekanntwerden der Entscheidung fallen. Spontane Institutionskritik? Oder Marktpanik? Womöglich schadet Allen, den sein damaliger Galerist Paul Kasmin im Jahr 2020 noch für sein Materialgefühl und die „schönen, an Arp erinnernden Linien“ lobte, jetzt im Portfolio.
„Niemand hat mich gebeten, irgendetwas im Dienste der Trump-Regierung zu tun“, sagte Allen der „New York Times“, „ich habe das Gefühl, mein Land zu vertreten.“ Und fügte in Richtung seiner ehemaligen Galerien hinzu, dass sie „Angst vor etwas haben, das sie nicht wirklich definieren können“.
Institutionen, Verfahren, Finanzströme – alles wird derzeit verschoben, neu verhandelt. Auch auf der Biennale von Venedig, deren Nationengarten weit davon entfernt ist, eine Insel der Seligen zu sein. In den Pavillons wird seit jeher Politik gemacht und Wirtschaft betrieben. Und die Altvorderen werden herausgefordert. Jüngst hat die Stadt Venedig ein unmoralisches Angebot aus Katar bekommen, das sie offenbar nicht ablehnen konnte. Eingepreist: Das Emirat darf sich einen eigenen Pavillon in bester Lage bauen – das ist seit Jahrzehnten nicht mehr vorgekommen.
Alma who? Auf den Künstler kommt nun eine Aufgabe zu, von der er hoffentlich schon ahnt. Wenn er nur als L’art-pour-l’art-Bildhauer nach Venedig reist, würde er der Freiheit, die ihm der US-Pavillon jetzt bietet, kaum gerecht. Dort ausstellen zu dürfen und Amerika zu vertreten, habe eine „enorme Kraft“, sagte Alma Allen. Er habe gelernt, dass er bereit sein müsse, „Risiken einzugehen, um Dinge im Leben zu erreichen“. Jetzt wird er sich fragen müssen, welches Risiko es bedeutet, sein Land zu repräsentieren – gerade im Jubiläumsjahr der Unabhängigkeit.
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