Den Anfang macht ein Hausbesuch. Die Kamera blickt stur auf die Fassade eines Berliner Wohnblocks, auf Fahrräder im Hof, auf Schneereste. Man hört, was passiert. „Sollen wir unsere Schuhe ausziehen?“, fragt die Bestatterin. Muss sie nicht, antwortet ein Herr. Sie betritt mit ihrem Kollegen die Wohnung, begrüßt die Leiche auf die Art, auf die das auch die Fußpflegerin oder die Friseurin tun würde, und sagt schließlich: „Das müssten wir mit der Bahre machen, sonst kommen wir mit dem Sarg nicht um die Ecken.“
Man solle doch, so erklärt sie später, mit den Toten ebenso sorgsam umgehen wie mit den Lebenden. Ihr Leitsatz: „Ich stell mir vor, ich lieg da.“ Die gesamte Szene umweht ein Hauch von – nun, nicht gerade Heiterkeit. Eher herrscht eine profane Ruhe. Das liegt auch daran, das im Hintergrund keine Musik zu hören ist. Die nächsten knapp eineinhalb Stunden wird das bis auf ganz wenige Ausnahmen so bleiben.
Der Dokumentarfilmer Michael Schwarz („Die Kandidaten“) richtet in „Der Tod ist ein Arschloch“ seinen Blick auf einen Bestatter, der einen ungewöhnlichen Weg gegangen ist. Eric Wrede kommt aus der Musikbranche, legte als Indie-DJ in den Clubs Berlins auf, arbeitete bei der Plattenfirma Motor, bis er sich irgendwann die Sinnfrage stellte. Ein Interview mit dem berühmten Bestatter Fritz Roth, so erzählt er, habe ihn so berührt, dass er beschloss, ebenfalls diesen Weg zu gehen. Seit gut zehn Jahren führt er nun Lebensnah Bestattungen, ein Unternehmen, das sich dem Lebensende auf eine ganz eigene Art zuwendet. Zudem schrieb er mehrere Bücher, betreibt den Podcast „The End“ und ist ein gerne gebuchter Interviewpartner.
Drei Erzählstränge sind es, die Schwarz in „Der Tod ist ein Arschloch“ (Kamera: Alexander Griesser) zusammenführt. Einmal richtet er den Blick auf Wrede und sein Team, stellt den Zuschauern in ausführlichen Interviews deren verschlungene Biografien vor. Die Menschen, um die es hier geht, sind keinesfalls graue Gestalten. Zunächst einmal sind es bis auf Wrede alles Frauen. Eine arbeitete in der Werbung, eine war Kosmetikerin, eine Schauspielerin. Neben den Gesprächen begleitet Schwarz ihren Arbeitsalltag. Das Waschen und Präparieren einer Leiche gehört da ebenso dazu wie Zoom-Calls mit trauernden Angehörigen und Vorbereitungen für eine Zeremonie irgendwo im öffentlichen Raum.
Es geht aber auch um Administratives wie die Bestellung eines Sarg-Rollgestells. Wenn die Damen da durch einen Online-Katalog blättern und über die in schönster Werbesprache angepriesenen „Quadro-Räder“ sowie die „perfekte Symbiose aus Wendigkeit und Sicherheit“ räsonieren, vergisst man für ein paar Minuten, um was für ein großes Thema es hier eigentlich geht. Das ist wichtig, gibt es dem Film doch eine Leichtigkeit, die nötig ist. Denn der wichtigste Erzählstrang geht ans Herz: Gabi Kohn, eine Kollegin und Freundin Wredes, ist an Krebs erkrankt und plant nun mit Lebensnah ihre eigene Bestattung. Sie erledigt das mit einer beeindruckenden Mischung aus Pragmatismus und Reflexion, ihr gehört auch das Ende des Films: Angeschnallt machen sich ihre Urne und ein großes Porträtfoto im Volvo-Leichenwagen vom Institut durch das nebelgraue Berlin auf den Weg zum Friedhof.
Wrede selbst ist in der Dokumentation durchweg präsent, ohne dabei dominant zu wirken. Er ist ein guter Redner, wirkt stets zugewandt und empathisch. Das bisweilen statische Beileid, das jeder kennt, der schon einmal einen Angehörigen unter die Erde gebracht hat, strahlt er niemals aus. Seine Herkunft aus der Musikbranche schwingt immer mit, tatsächlich erinnert sein Arbeitsstil bisweilen eher an Künstlerbetreuung als an die tradierten Abläufe von Beerdigungen. Schnell, so sagt er einmal, würde er auf Mails antworten.
Und als die Situation mit Gabi Kohn einmal sehr emotional wird, schlägt er vor: Erst mal eine Rauchen gehen! In solchen beiläufigen Szenen liegt der Reiz dieses Porträts: Man sieht keinen entrückten Thanatologen, sondern jemanden, der eine neue Form des Umgangs mit dem Tod entwickeln möchte – und aufrichtig einräumt, dass er den für sich selbst noch gar nicht gefunden habe: Auch Wrede plagen Ängste, vor allem, wenn es um sein eigenes Ende geht.
Nebenbei erzählt der Film von etwas viel Größerem: Der Tod ist eine Angelegenheit, der sich jeder Mensch stellen muss. Das mag nach einer Binse klingen, aber man verdrängt’s ja doch ganz gerne. Passgenau illustriert wird das von einem Beratungsgespräch mit einer älteren Dame und ihrer Tochter. Da sitzen die beiden nun am Holztisch im Institut, die Mutter fremdelt sichtbar mit der Situation. Zu großen Worten neigt sie nicht. „Am besten umfallen und weg“, wünscht sie sich. „Trotzdem musste ja irgendwie unter die Erde kommen“, entgegnet die Tochter.
Dass „Der Tod ist ein Arschloch“ in solchen Szenen etwas werblich wirkt, sei der Vollständigkeit halber angemerkt. Es wäre aber seltsam, wenn ausgerechnet ein Film über den Tod ohne Ambivalenzen auskommen würde.
Ab 27. November im Kino
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