Das Beruhigende und Schöne am Kino ist ja, dass, kaum ist es finster geworden im Saal, die Gesetze der Zeit aufgehoben sind. Das kann ganz schön irritieren. Dass man zum Beispiel dasitzt und wieder einem Hasen und einem Fuchs zuschaut, die einen vor neun Jahren ziemlich glücklich gemacht haben.
Mit denen man gegen Verschwörungstheorien angelacht hatte und gegen die Gefahr von zerbrechenden Gesellschaften. Mit denen man geglaubt hatte, darum ging 2016 die Hase-und-Fuchs-Fabel in Disneys „Zoomania“, dass Unterschiede zwischen Menschen und Religionen nicht zählen, jeder alles werden kann und alles gut.
Gut eine Milliarde Dollar hat Disney eingenommen mit „Zoomania“. Der Geschichte von der niedlichen Häsin Judy Hopps, die Polizistin werden will, und Nick Wilde, dem smarten Fuchs, und von Zootopia, jener Fünf-Klimazonen-Stadt, in der – wenigstens offiziell – alle Tiere nach ihrer Facon und zu ihren klimatischen Bedingungen glücklich werden können. In der Karnivoren und Veganer friedlich koexistieren.
Was ein bisschen überrascht, weil der Bedarf an Geschichten, in denen sich Risse in der Welt noch schließen ließen, vielleicht noch gar nicht so groß waren. Weil Zeichentrickfilme ihre Zeit brauchen, hat es bis zur Fortsetzung neun Jahre gedauert. Zumal die Kinder von Jared Bush, inzwischen Chief Creative Officer von Disney und auch diesmal hauptverantwortlich, ihm eigentlich verboten hatten, „Zoomania“ fortzusetzen.
In Zootopia ist in den vergangenen Jahren, Wunder des Kinos, allerdings bloß eine Woche vergangen. Von dem, was in den neun Jahren in der Menschenwelt explodiert ist, von den ganzen Zivilisations- und Gesellschaftsbrüchen, die sich in Bushs knallbuntem Fell- und Dickhäuter-Universum schon 2016 angedeutet hatten, merkt man nichts. Man wird ganz melancholisch. Dass man sich trotzdem nicht vorkommt wie auf großer Eskapismusdampferkreuzfahrt durchs gefühlige Fantasialand des üblichen Micky-Maus-Kinos, ist das vielleicht größte Wunder dieser wunderbaren Allegorie aufs Allzumenschliche.
Zurück nach Zootopia. Da könnte jetzt Ruhe einkehren. Judy und Nick sind Rookies, Partner in Uniform bei der ZPD, der Polizei von Zootopia. Die Verschwörer, die sie vor neun Jahren (oder einer Woche) gejagt hatten und dabei Zootopias System beinahe umgestürzt hätten, sitzen ein. Und eigentlich könnten die beiden klammheimlich Verliebten sich beim Parkticket-Schreiben erholen und aufs Faultierverfolgen konzentrieren.
Stattdessen stehen sie mit kuscheligem Leihtier im Kinderwagen in Zootopias Hafen und einem Schmuggler (ein Ameisenbär, dem man vermutlich unter nicht wenigen Weihnachtsbäumen wieder begegnen wird) gegenüber. Dann geht alles sehr schnell und eine der aberwitzigsten Verfolgungsjagden der Animationsfilmgeschichte findet statt – wer schon mal versucht hat, seinen Hund durchs Kinderzimmer zu jagen, ohne auf Legosteine zu latschen, weiß, wie es Judy auf der Jagd nach dem Ameisenbär durchs Mäuseviertel geht, zum Beispiel.
Judy und Nick legen zur Feier des 100. Geburtstags der tierischen Idealstadt das Denkmal des Zootopia-Gründers in Schutt und Asche, landen in allen Nachrichten. Danach steigert Bush allmählich das Tempo und verdichtet seine Geschichte.
Die Spur der blauen Schlange
Die führt diesmal tief in den Gründungsmythos der Stadt. An die Urgründe. Die Erfindung jener Wände nämlich, mit denen sich die Stadt in fünf Klimazonen teilen ließ für die ganz unterschiedlichen Wetterbedürfnisse der Zootopia-Bewohner, Mauern, die nicht trennen, sondern ein Zusammenleben erst möglich machten. Und dem Einziehen von Mauern, die eine ganze Wirbeltierart vom Leben in Zootopia ausschließen sollten.
Einer blauen Schlange kommen Judy und Nick auf die Spur, folgen verlorenen Schuppen in eine Unterwelt, die es eigentlich nicht geben darf. Reptilien sind verfemt in Zootopia, warum, weiß keiner mehr. Dass es sie noch gibt, glaubt nur noch ein sehr lustiger Nager-Influencer namens Nibbles Maplestick.
Neue Landschaften werden entdeckt. Die Spur der Schlange führt ins Bayou von Zootopia, wo die Walrösser warten und die Delfine. Durch verschneite Gegenden und Wüsten und unter die Erde geht es. Ständig möchte man – in neun Jahren fällt einem ja einiges ein, was sich unterbringen lässt in Bildern – den Film anhalten und zurückspulen, weil selbst in den entlegensten Ecken der Wimmelbilder auf der Leinwand extrem viel lustiger Kobolz getrieben wird, den man bloß in den Augenwinkeln mitbekommt.
Es stockt einem zwischendurch allerdings der Atem, wenn man an die Millionen von Merchandising-Möglichkeiten denkt, die sich auch aus dieser Geschichte ergeben und Eltern und Großeltern arm machen werden. Das mit der Schlange war natürlich ein Wagnis, so ein Reptil taugt halt eher weniger zum Kuscheln als Häschen, Füchslein oder der Biber mit dem schiefen Gebiss. Wir sind gespannt, wie es demnächst in den Kinderspielhöllen der Kaufläden aussieht.
Damit auch die Erwachsenen was zum Staunen haben, wird die Filmgeschichte wieder geplündert (Zentrale der Reptilien zum Beispiel ist eine Flüsterkneipe, die es an Irrwitz mit Chalmuns Cantina aus „Star Wars“ aufnehmen kann). „Zoomania 2“ rast durch die Gattungen und Genres wie es schon der erste Teil tat. Shakira singt, was Shakira immer singt und sieht noch aus wie eine Gazelle, die hoffentlich kein Role-Model für Dreizehnjährige wird.
Wieder wird Scherz getrieben, werden Witze gemacht („Burning Mammal“ heißt das Festival in der Wüste, durch das Hase und Fuchs und Biber dem Finale entgegenrasen). Und tiefere Bedeutung hat es auch wieder. Es geht – ohne dass es nur einen Hauch moralinsauer wird, ohne aufdringliches Botschaftenversenden – wieder um Differenzen zwischen uns allen, die keine sind, was man merkt, wenn man erst einmal anfängt, über sie zu reden. Es geht um Freundschaft und Liebe (die gibt’s endlich auch, was allerdings in die schönsten Dialogzeilen des Jahres verpackt wird). Um Klassismus und darum, dass sich Oligarchen stürzen lassen, wenn man bloß Mut genug hat. Und genug Freunde. Ist halt ein Märchen, der Film.
Ganz Zootopia ist am Ende eine Insel der glückseligen Tiere. Ganz Zootopia? Von wegen. Fisch möchte man nicht sein in Fünf-Zonesien. Und Insekt eigentlich auch nicht. Es gibt also noch einiges zu tun für die tierklassenlose Gesellschaft.
Dass es nicht vorbei ist, dass sich Fuchs und Hase noch nicht gute Nacht gesagt haben am Ende und es weitergeht, das darf man verraten. Und sich eine Fortsetzung wünschen – auch das ein Wunder, bei welchem Franchise tut man das schon? Und wenn es wieder neun Jahre dauert. Vielleicht ist die Welt dann ja eine bessere. Man darf die Hoffnung – dafür ist „Zoomania“ immer gut – nicht aufgeben.
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