Die Entstehungsgeschichte des Telegram-Logos ist schon interessant. Ein weißer Papierflieger auf blauem Hintergrund – und wenn man ehrlich ist, hat man nie wirklich darüber nachgedacht, warum eigentlich. Die Erklärung ist dabei ganz einfach: Mehr als ein Jahrzehnt ist es her, dass Pawel Durow 5000-Rubel-Scheine als Papierflieger vom Balkon einer mehrstöckigen Altbau-Wohnung fliegen ließ. Junge Russen in St. Petersburg formierten sich zu einer Menschentraube und prügelten sich um das Geld. Am Ende stellte sich heraus: Es war gar nicht Durows Geld, sondern das eines Geschäftspartners, aber völlig egal. Durow hatte die Aktion mitinitiiert. Und genossen.

Die Aktion brachte dem Jungunternehmer, der einige Jahre zuvor das in Russland sehr beliebte soziale Netzwerk „vk.com“ gegründet hatte, viel Kritik ein. Aber Pawel Durow war da schon ein millionenschwerer Jungunternehmer und irgendwie fasziniert von der Idee, er sei der König, der milde Gaben an sein Volk verteilen könne. Dieser Gedanke ist bis heute nicht wirklich aus seinem Kopf verschwunden, eher wird er immer aufdringlicher. Erst recht, seit immer mehr Smartphone-Nutzer seinen Messenger herunterladen.

Telegram hat seit diesem Jahr das erste Mal eine Milliarde Nutzer. Jeder achte Mensch auf der Welt hat also die App. Regeln gibt es dort kaum, das würde dem libertären Geist von Durow widersprechen. IS-Kämpfer dürfen auf Telegram Enthauptungen filmen und versenden, Rechtsradikale zur Entführung von Karl Lauterbach aufrufen und Handlanger des Putin-Regimes Propaganda betreiben. Einerseits. Andererseits ist Telegram auch Kommunikationsweg für verfolgte Oppositionelle und Freiheitskämpfer, die gegen die Unterjochung anschreiben. Ein klassisches Dilemma, dessen sich Pawel Durow bewusst ist. Er kann es für sich auflösen: „Privatsphäre ist wichtiger als die Angst vor Terrorismus.“

Die Arte-Dokumentation „Telegram – das dunkle Imperium von Pawel Dukow“ zeichnet nun den rasanten Aufstieg des Unternehmers nach und kann nicht widerstehen, ihn als mysteriösen Finsterling zu zeichnen. Er sei auf ein sektenartiges Gymnasium in St. Petersburg gegangen, berichtet ein Mitschüler, das den Heranwachsenden immer wieder eingerichtert habe: Wenn ihr komplexe Probleme schnell lösen könnt, seid ihr „Übermenschen“. Nur mit dieser Logik ist zu erklären, warum Pawel Durow auch als 41-jähriger Mann noch davon überzeugt ist, er sei dazu berufen, viele Kinder zu zeugen. Es sei wohl seine Bürgerpflicht, schrieb Durow mal bei Telegramm, Samen zu spenden. Denn sein Sperma sei hochwertig, wie ihm ein Arzt bestätigt haben soll.

Das erinnert dann doch alles sehr an Elon Musk, der die Welt ebenfalls mit einer „Legion von Kindern“ beglücken will und mindestens 14 Kinder hat; Musk bezeichnet sich als „Pronatalist“. Als Pawel Durow 2024 von französischen Ermittlungsbehörden verhaftet wurde – der Vorwurf lautete: Beihilfe zu Straftaten – sprang ihm Musk zur Seite und schrieb auf X: „Liberté! Liberté! Liberté?“. Durow kam tatsächlich gegen eine Kautionsgebühr in Höhe von fünf Millionen Euro frei und darf das Land wieder ohne Auflagen verlassen. Mittlerweile soll der Telegram-Gründer in Dubai wohnen.

„Persönliche Freiheit ist ihm am wichtigsten“

Arte befragte für die Dokumentation engste Wegbegleiter Durows, die Einblicke in seine Motive geben. Da ist zum Beispiel Nikolaj Kononov, Journalist und Durow-Biograf, der sagt: „Seine persönliche Freiheit ist ihm am wichtigsten, nicht Geld.“ Dass Durow Regulierung des Internets ablehnt, hätte sich schon bei der Gründung von „vk.com“ abgezeichnet. Beim russischen Facebook-Pendant wurde auch kinderpornografisches Material hochgeladen, aber Durow griff nicht ein, hoffte darauf, dass sich die Plattform selbst reguliert.

Bei Einstellungsgesprächen mit neuen Mitarbeitern sei Durow vor allem wichtig gewesen, dass er ihnen vertrauen könne. Aber Vertrauen kann auch ein autoritäres Instrument sein, wenn Recht und Transparenz durch persönliche Treue ersetzt werden. Biograf Kononov fordert deshalb, Telegram in die Hände der Gesellschaft zu übergeben und nicht einem einzelnen Eigentümer zu überlassen: „Wenn es doch uns allen gehört, warum können wir es dann nicht kontrollieren?“

Abseits der gesellschaftspolitischen Dimension des Messengers ist auch die öffentliche Inszenierung ihres Gründers aufschlussreich. Durow achtet seit Jahren penibel darauf, als makelloser High-Performer wahrgenommen zu werden. Sein perfekter Haaransatz ist Folge einer Transplantation, Brust und Arme sind von den täglichen 300 Liegestützen aufgepumpt. Durow stellt sie gerne oberkörperfrei auf Instagram aus. Die Oberfläche ist so glatt, dass es nach KI-Bearbeitung riecht. Aber selbst wenn, das dürfte im Durow-Komplex wohl noch der harmloseste Aspekt sein.

„Telegram – das dunkle Imperium von Pawel Dukow“ ist am 25. November um 21 Uhr 50 im linearen Arte-Programm sowie in der Arte-Mediathek zu sehen.

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