Seit sieben Jahren ermittelt Heino Ferch als SOKO-Kommissar – mit einer Besonderheit, die man in hiesigen Krimis selten findet: Die Fälle basieren allesamt auf wahren Begebenheiten. Ebenso real ist der Ermittler, nach dem die von ZDF und ARTE produzierte Reihe benannt ist: Ingo Thiel, nordrhein-westfälischer Kriminalkommissar, wurde bundesweit bekannt als Leiter der Sonderkommission im Fall des verschwundenen Mirko, dessen Geschichte man im Premierenfall 2017 nacherzählte. Diesen Sommer dann die erschütternde Nachricht: Der echte Ingo Thiel, der Ferch als Vorbild diente, starb nach kurzer schwerer Krankheit mit 62 Jahren. Die Erinnerung an ihn lebt indes im Krimi fort: Im siebten Film "Die Frau ohne Gesicht" rätselt sein Alter Ego über den realen Fall einer unbekannten Toten, die ihn bis nach Venedig führen soll.
Gefunden wird die Leiche der Frau auf einer einsamen Waldstraße, mehrfach überfahren und völlig entstellt. Ihre Identität ist unbekannt, Papiere oder andere Hinweise gibt es nicht. Die neu eingerichtete SOKO "Frau ohne Gesicht" soll Klarheit bringen. Gemeinsam mit Rechtsmedizinerin Martha Stachowicz (Karolina Horster) und den anderen Kolleginnen und Kollegen übernimmt Thiel die Ermittlungen, die nur schleppend vorangehen. DNA-Analysen, Pathologie und Computerrekonstruktionen helfen nur bedingt, können aber immerhin feststellen, dass es sich beim Opfer um eine Mittdreißigerin und Mutter handelte.
Wie immer wird die bisweilen mühsame und eben nicht immer hochspannende Arbeit der SOKO vergleichsweise realistisch und detailreich inszeniert – auch wenn so mancher Dialog eher der klassischen TV-Krimikiste entnommen scheint ("Wie soll ich denn abspannen, wenn da draußen ein Mörder herumläuft?")
Das italienische "Aktenzeichen XY"
Angemessen startet die grausige Handlung des Krimis (Buch und Regie: Christine Hartmann) im nasskalten November und zieht sich bis über die Weihnachtsfeiertage, die Thiel mal wieder als einsamen Eigenbrötler zeigen. Doch auch Kollegin Lee Sooyoung (Kotbong Yang) hat wenig Lust aufs Fest ("Ich habs nicht so mit Weihnachten") – und überredet den grummelnden Kommissar stattdessen zu einer Reise nach Italien. Denn eine am Tatort gefundene und mit Täter-DNA versehene Weinflasche und eine Lederjacke führen direkt nach Venedig, das sich in der kalten Jahreszeit zwar schön leer, aber ebenfalls trüb präsentiert. Der unerwartete Ortswechsel bringt den zuvor dahindümpelnden Krimi jedenfalls in Fahrt und eine überaus unterhaltsame Wendung, die aller Schwere zum Trotz augenzwinkernd inszeniert wird.
Denn Thiel stellt den Fall – mehr oder minder freiwillig – in der TV-Sendung "Chi era testimone" ("Wer war Zeuge") vor, der italienischen Entsprechung des Klassikers "Aktenzeichen XY ... Ungelöst". Und wer das Fernsehen in Bella Italia kennt, weiß, dass hier anders als im spröden deutschen Pendant mit pompösen Emotionen nicht gegeizt wird. "Das Kasperleretheater mit der hyperventilierenden Moderatorin hat uns keinen Zentimeter weitergebracht", kommentiert Thiel die schrille Show von Gloria Livore (Clelia Sarto), die ihm in der Folge weiter bei den Ermittlungen hilft. "Mein Publikum will Emotionen, das große Gefühl, capisce?", entgegnet der TV-Star. Nicht nur das: Das veröffentlichte 3D-Gesicht bringt tatsächlich Hinweise, mit deren Hilfe die tote Frau identifiziert werden kann.
Der Ermittler versteht kein Wort
Die Ermittlungen führen Thiel in venezianische Modeboutiquen und zu dem etwas klischeehaften Kunsthändler Philipp Sass (Florian Stetter) , der ebenso wie der nicht minder stereotyp gezeichnete Ex-Mann (Michele Cuciuffo) sowie die Tochter (Janina Fautz) des Opfers in den Fokus geraten. Wer hat die Frau auf dem Gewissen – und welche Rolle spielt dabei eine italienische Ménage-à-trois?
Das Aufeinandertreffen des ernsten deutschen Commissarios mit Italo-TV und Carabinieri, mit Drama und Dolce Vita an der Adria ist ungemein komisch – mehr als einmal blickt Thiel bedröppelt aus der Wäsche, weil alle um ihn herum Italienisch reden und weder er noch der Großteil des Publikums, anders als in beliebten Regionalkrimis wie "Donna Leon", ein Wort verstehen. Immerhin: Ab und zu presst Thiel ein leises "Grazie" heraus.
Die Konfrontation mit diesem von unterschwelligem Humor überzeichneten Italien rettet (zusammen mit den schönen Venedig-Aufnahmen) jedenfalls den ansonsten streckenweise hölzernen Krimi, der abermals eines aufzeigt: Echte Polizeiarbeit kann ziemlich überraschen, aber auch langwierig und eintönig sein.
Ingo Thiel – Die Frau ohne Gesicht – Fr. 21.11. – ARTE: 20.15 Uhr
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