Weltweit leiden 57 Millionen Menschen an einer demenziellen Erkrankung. Jährlich werden es zehn Millionen mehr, meldete die WHO im März. 60 bis 70 Prozent davon haben Alzheimer. Doch das ist nur eine von vielen Demenz-Formen. In aller Mund ist sie, weil fast jeder einen Verwandten oder Bekannten hat, der davon betroffen ist. Betroffen kann dabei heißen, dass ein Mensch selbst an Demenz leidet. Da die Krankheit aber kognitive Fähigkeiten und die Fähigkeit zu kommunizieren verringert, sind die, die oft und viel über Demenz sprechen, eher die, die demenzkranke Angehörige pflegen. Schon, weil die Pflege zu ihrem einzigen Lebensinhalt werden kann.
Dass das fatal im Wortsinn sein kann, weiß Emma Heming Willis (47): Menschen, die einen Angehörigen pflegen, zitiert sie in ihrem Buch „Die unerwartete Reise“ eine US-amerikanische Statistik, hätten eine um 63 Prozent höhere Wahrscheinlichkeit, vorzeitig zu sterben, 30 Prozent würden sogar vor denen sterben, um die sie sich kümmern. „Bei Alzheimer-Pflegenden steigt dieser Prozentsatz auf 40 Prozent und bei Menschen, die über 70 sind, auf 70 Prozent.“
Der Hollywood-Star Bruce Willis (70), ihr Ehemann seit 2009, leidet an „frontotemporaler Demenz“ (FTD). Diagnostiziert wurde sie bei Willis, als er 67 Jahre alt war. Von der Existenz dieser Krankheit, die schon mit 45 einsetzen kann, haben viele wahrscheinlich erst erfahren, als sich Willis‘ Familie dazu entschloss, seine Erkrankung öffentlich zu machen – genauso wie die Lewy-Körper-Demenz vielen Nicht-Betroffenen wohl erst ein Begriff wurde, als sich Robin Williams, der vor allem an den Depressionen, die sie auslösen kann, litt, 2014 im Alter von 65 Jahren das Leben nahm.
FTD, betont Emma Heming Willis, sei nicht mit Alzheimer zu verwechseln. Die Symptome sind andere, bei Willis etwa äußerte sich FTD zunächst im Verlust der Sprachfähigkeit. Und während viele Angehörige von Alzheimer-Patienten es als besonders schmerzhaft empfinden, irgendwann von ihren Liebsten nicht mehr erkannt zu werden, kann Bruce, schreibt seine Frau, sie und die gemeinsamen Kinder auch heute noch erkennen.
Bei all diesen Unterschieden richtet Heming Willis‘ Buch sich jedoch an alle, die mit Demenzkranken zu tun haben – vor allem an die, die sie pflegen. „Ich weiß, dass die Details Ihrer Geschichte einzigartig sind“, spricht sie ihre Leser direkt an. „Aber ich weiß auch, dass wir vermutlich dasselbe empfinden, wenn wir zusehen müssen, wie unsere Lieben vor unseren Augen verblassen.“
Urlaub mit Demi Moore
Heming Willis weiß, dass der Ruhm ihres Ehemanns ihr die seltene Chance bietet, einem Thema Aufmerksamkeit zu verschaffen, das viele immer noch verdrängen, obwohl gerade in westlichen Gesellschaften mit ihrer hohen durchschnittlichen Lebenserwartung das Risiko steigt, davon betroffen zu sein. Deshalb erzählt sie in ihrem Buch, das über weite Strecken ein Ratgeber ist, in dem man Tipps zu Ernährung, die das eigene Demenz-Risiko verringern hilft (mediterrane Küche, wenn Zucker, dann nur in Kombination mit Ballaststoffen) genauso finden kann wie Tricks, mit denen sich ein pflegender Angehöriger kurze Auszeiten verschaffen kann, um für die lebensnotwendige Bewegung zu sorgen, auch manch Detail über ihr Leben mit dem ehemaligen Action-Star.
Etwa, wie sie sich kennengelernt haben. Da war zunächst der Personal Trainer, zu dem sie, das Model und er, der Schauspieler gingen. Angeblich hat Willis nach der ersten Begegnung gesagt, dieses Mädchen werde er heiraten. Bis dahin hat es aber gedauert. Das erste Date sei ein Abendessen zusammen mit einer ihrer Freundinnen gewesen, sodass Paparazzi nicht ganz so leicht herausfinden konnten, auf welche der zwei Frauen der Star nun ein Auge geworfen hatte. Zahlreiche Telefonate zwischen Ost- und Westküste hätten sich angeschlossen, irgendwann folgte die von Heming Willis zunächst abgelehnte, dann auf Anraten eines alten Freundes angenommene Einladung, Silvester mit Willis, seiner Ex-Frau Demi Moore, deren damaligem Ehemann und den drei gemeinsamen Töchtern auf einer Karibik-Insel zu verbringen. Es wird Willis als Familienmensch sein, der seine Ehefrau in spe davon überzeugt, ihren Traummann vor sich zu haben.
Solche Erinnerungen sind für Emma Heming Willis wichtig, zeigen sie doch den krassen Unterschied, den eine Demenzerkrankung für eine Liebesbeziehung bedeutet. „Tatsächlich habe ich meinen Vater nach der Scheidung meiner Eltern jahrelang nicht gesehen“, schreibt sie. „Als ich sah, wie Bruce mit seinen Töchtern umging, dachte ich: ‚Das ist die Art von Mann, die ich mir als Vater meiner zukünftigen Kinder vorstellen kann.‘“ Der Zusammenhalt zwischen Willis und Moore sei ungewohnt gewesen, „aber schön.“ Sie habe das auch gewollt: „Ich wollte Teil einer Familie sein, die um ihrer Kinder willen Einigkeit und Frieden zeigte.“
Wissen ist Macht
Schon die ersten Symptome von FTD änderten aber alles: Was sie zuerst für eine Spätfolge eines Hörverlusts nach einem Unfall am Set von „Stirb langsam“ hielt, äußerte sich bei Willis einige Jahre nach der Geburt der beiden Töchter (heute elf und 13) immer öfter in Teilnahmslosigkeit: „Das war nicht der Bruce, den ich kannte.“ In der „Oprah-Winfrey-Show“ gab Heming Willis gerade zu, dass die Entfremdung zwischen ihrem Mann und ihr irgendwann so weit ging, dass sie an Scheidung dachte. Allerdings habe sie auch bald wieder aufgehört, „Bruce‘ Hörprobleme oder unsere Ehe“ dafür verantwortlich zu machen. „Instinktiv“ habe sie erkannt, dass sie einen Arzt konsultieren müssten.
Dass Instinkt allein auf dem weiteren Weg mit einem demenzkranken Angehörigen nicht reicht, betont Heming Willis eindrücklich: „Wenn Sie wissen, welche Gehirnareale von der Krankheit angegriffen werden, verstehen Sie die Veränderungen im Verhalten des anderen besser.“ Fundiertes Wissen über die Krankheit hilft aber auch, nicht immer überrascht von neuen Entwicklungen zu werden – was Stress reduziert. Forschungsarbeiten zeigten, schreibt Heming Willis, dass „Pflegende, die kein hohes Stressniveau haben, eben nicht vor ihren Liebenden sterben und keine höhere Sterblichkeit aufweisen als der Durchschnitt der Bevölkerung“.
Weder Wissen noch Instinkt aber sind in der Lage, ein Problem zu lösen, mit dem gerade die, die einen geliebten Menschen pflegen, konfrontiert sind. Demenz „verändert den Menschen, den Sie ihr Leben lang gekannt haben, ganz allmählich, bis dieser Mensch plötzlich nicht mehr ist, wer er einst war. Diese Grauzone ist für mich schwer auszuhalten“ gibt Heming Willis zu. Manchmal denke sie immer noch: „Wann war das letzte Mal, dass ich Bruce ganz hatte? Was haben wir damals getan? Was war das letzte Gespräch, das ich mit ihm führte?“ Die Antwort auf diese Frage werde sie nie erfahren, schreibt sie und spricht damit jedem, der ähnliche Erfahrungen gemacht hat, aus der Seele. „Uneindeutiger Verlust“ ist der Fachbegriff, den die Psychologie für solche Trauer parat hat. „Wie kannst du um jemanden trauern, der noch lebt?“ sei allerdings eine typische Frage von Außenstehenden.
Dass sie die „uneindeutige Trauer“ kaum nachvollziehen können, ist aber nur die Spitze des Eisbergs, findet Heming Willis. Sie werde „an allen Ecken und Enden mit harschen Vorurteilen konfrontiert“. Ganz oben auf der Liste: „Geben wir unsere Lieben in außerhäusliche Pflege, fällt häufig die Bemerkung: ‚Das würde ich niemals tun.‘“ Heming Willis sah sich selbst mit viel Kritik konfrontiert, als sie bekannt machte, ihr Mann lebe jetzt in einem anderen Haus als sie und ihre zwei Töchter, vor allem, weil es kaum noch möglich gewesen sei, den beiden ein Leben zu ermöglichen, das ihrem Alter gerecht würde, wenn ein Pflegefall jede Minute des Tagesablaufs bestimme. Sie ist sich ihrer privilegierten Situation bewusst: Kaum jemand kann sich ja „ein zweites Zuhause“, wie sie es nennt, mitsamt häuslicher Pflege leisten.
Aber ihr Problem ist eines, das auch die trifft, die darüber nachdenken, einen Angehörigen, den man lange zu Hause gepflegt hat, in eine Pflegeeinrichtung zu geben. Schon, dass pflegende Angehörige sehr oft von Außenstehenden hören, wie sehr sie sie dafür bewundern, die Pflege allein zu schultern, erhöht die Hemmschwelle beachtlich. Auch, dass die hohen Kosten für Pflegeeinrichtungen die Politik heute immer häufiger dazu bewegen, die Pflege zu Hause positiver zu bewerten, spielt hier hinein. Vor Kurzem im „Deutschlandfunk“ zur Kostenexplosion bei der Altenpflege befragt, sagte NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU), „Gott sei Dank“ sei in seinem Bundesland die Regel selbst in den hohen Pflegestufen, dass zu Hause gepflegt würde. Das Vorurteil, man lasse seine Angehörigen allein, geht Hand in Hand mit einem immer stärkeren Pochen auf Eigenverantwortung seitens der Politik.
Emma Heming Willis geht es aber eher um ihren Nahbereich, wenn sie vorschlägt, der „Lass sie“-Theorie eine Chance zu geben. Sie zitiert die Autorin und Podcasterin Mel Robbins, die betont, dass das Gefühl, es allen recht machen zu müssen, eine unerträgliche Last gerade für sowieso schon schwer Belastete darstellt: „Ganz egal, was um Sie herum geschieht, sie entscheiden, wie sich das auf sie auswirkt. Sie entscheiden, ob ein Kommentar eines geliebten Menschen Ihr Selbstwertgefühl unterminiert oder an ihnen abgleitet.“ Auch das sei ein Prozess, schreibt Heming Willis, „der nie ganz abgeschlossen ist, aber ‚Lass sie‘ ist ein Mantra, das ich still wiederhole, wenn ich glaube, dass jemand mich verurteilt.“
Sie hoffe, das „andere Pflegepartner nicht ebenso mit Scham, Schuldgefühlen und Isolation zu kämpfen haben“, wenn sie sehr persönliche Entscheidungen treffen müssten. Das sei eine wichtige Motivation gewesen, ihr Buch zu schreiben. Erfahrungen zu teilen, ist die Voraussetzung dafür, das Richtige zu tun, sowohl für den Kranken als auch sich selbst. Heming Willis ist bewundernswert offen, wenn es darum geht, die Notwendigkeit des Austausches mit anderen zu betonen. Selbst für den Wunsch, dass der Kranke nicht mehr da sei und alles wieder ganz normal werde, müsse es einen Ort geben. In Selbsthilfegruppen oder Therapiesitzungen könnten sich pflegende Angehörige ohne Angst vor Verurteilungen eingestehen, dass auch sie manchmal so denken.
Dass Hilfe, professionelle genauso wie solche aus dem Freundes- und Familienkreis, etwas ist, was pflegende Angehörige annehmen müssen, um nicht an ihrer Aufgabe zu zerbrechen, ist eine Einsicht, die vielen Betroffenen meist viel zu spät kommt. Genauso wichtig wie zu lernen, nach Hilfe zu fragen, ist es aber, dass die, die sie anbieten, wissen, wie man das richtig macht. Heming Willis weiß, dass es nicht reicht, Freunden oder Familienmitgliedern zu sagen, sie sollten sich melden, wenn sie Hilfe brauchen. Konkrete Angebote sind gefragt, sei es, Einkäufe oder Behördengänge zu übernehmen, sich um eventuell vorhandene Kinder zu kümmern oder dem pflegenden Freund oder Verwandten bei der Suche nach professioneller Hilfe unter die Arme zu greifen.
Heming Willis’ Buch, das die Erwartung voyeuristischer Einblicke in das Privatleben eines kranken Superstars enttäuscht, ist eine sinnvolle Lektüre nicht nur für die, die demenzkranke Angehörige pflegen. Sondern auch für alle, die sie dabei unterstützen wollen.
Emma Heming Willis: „Eine ganz besondere Reise. Mut, Hoffnung und innere Stärke bei der Pflege von demenzkranken Angehörigen finden“, Kailash, 352 S., 24 Euro.
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