Wo das Bargeld geht, kommt nun die Trinkgeld-Taste: Wie viel soll zusätzlich abgebucht werden? Micky Beisenherz kramt noch im Portemonnaie.

Fünf, zehn, fünfzehn. Mit der Ernüchterung einer SPD-Parteizentrale blickt der Kunde auf die Prozentzahlen. Wo vor einiger Zeit ein verklebter Becher neben der Kasse um Münzen zufriedener Kunden warb, lässt sich die Zufriedenheit nun oft am Kartenterminal eintippen. In meinem Stammcafé war so etwas lange Zeit nicht möglich, weshalb ich mich manchmal regelrecht geschämt habe, kein Bargeld dabeizuhaben. Begeistert über den digitalen Fortschritt an der Kasse nahm ich meinen Espresso macchiato entgegen und regte, möglicherweise ein wenig übereuphorisiert, an, doch sogar einen Button für 20 Prozent einzurichten. "Ehrlich", sagte die Kellnerin, "du bist der Erste, der je auf die 15-Prozent-Taste gedrückt hat."

Für Großzügigkeit ist Deutschland so bekannt wie für seinen tollen Humor. Wobei auch meine endlich ist. Nicht jede Dienstleistung erscheint mir bedankenswert. Ist es beim Kauf einer zubereiteten Kaffeespezialität noch richtig zu tippen, erscheinen mir zusätzliche zehn Prozent beim Kauf einer Packung Bohnen ein wenig übertrieben. Auch am Merch-Stand am Ende eines Konzertes lösen die vorinstallierten 10- oder 15-Prozent-Tasten Befremden aus. Wat jetzt? Trinkgeld für das lustlose Rüberreichen eines Bandshirts, das nach der ersten Wäsche bestenfalls noch als bauchfreies Top für die Tochter dient ("Papa, wer sind die Killers?")?

Micky Beisenherz: Trinkgeld, aber für wen eigentlich?

Wer im Bundestrinkgeldamt entscheidet eigentlich, welche Dienstleistung einen Bonus verdient? Auf Restaurants haben wir uns geeinigt. Hotelpagen, die extra mit aufs Zimmer kommen, um die ultrakomplexen Funktionen deines Raumes (Flurlicht, Fernseher) zu erläutern, okay. Taxifahrer, na, selbstredend. Warum aber bekommt der Busfahrer nix? Ist er nicht demselben Chaos ausgesetzt? Hat die engagierte Buchhändlerin weniger Stress als der Kaffeebohnendealer und folgerichtig kein Extra verdient? Wieso ist es logisch, dass wir dem Lieferando-Boten ein paar Euro zukommen lassen, während wir beim DHL-Mann mit den Augen rollen, wenn wir auch noch extra unterschreiben müssen?

Beisenherz und Polak "Was ich an ihm liebe, ist seine Unverschämtheit"

Andere kriegen eine Art Trinkgeld ohne eine klassische Dienstleistung zuvor. Der Obdachlose bei mir im Viertel bekommt regelmäßig von mir einen Zehner zugesteckt. Seitdem der Sparkassenautomat außer Betrieb ist, gehen seine Einnahmen zurück. Ein unschöner Vorbote für die durchdigitalisierte Zeit ohne Bargeld, in der Obdachlose nur mit Kartenlesegerät Teil einer Finanztransaktionsgesellschaft bleiben können.

In manchen Ländern ist das Geben von Trinkgeld unüblich. In Australien etwa zucken sie nicht mit der Wimper beim Anblick eines Hais oder einer Trichternetzspinne. Willst du im Café indes einen Tip geben, gucken sie dich doof an. Eigentlich ein Paradies für Deutsche.

Trinkgeld hilft, beim beruflichen oder privaten Erstkontakt das Gegenüber einzuordnen ("296,80? Komm, machense 300. Stimmt so."). Es ist eine Geste der Aufmerksamkeit in Zeiten ignoranter Vereinzelungen. Wenn ein 30-Prozent-Button in einer Kaffeebude eingerichtet ist, wirkt das sicherlich hinderlich. Denn da, wo plötzlich alle Trinkgeld bekommen sollen, kriegt es bald niemand mehr.

Als wir uns unlängst in einer Karaokebar über dieses Thema unterhielten, kam einer Freundin ein Gedanke: Was, wenn jemand, der via QR-Code einen Drink bestellt und gutes Trinkgeld gibt, so in der Liste der nächsten, die singen dürfen, weiter nach oben rutscht? DAS wäre doch mal ein Deal, der für alle aufgeht. Zumindest für die, die den Gesang nicht hören müssen.

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