Guter Stoff für eine Miniserie. Und die Besetzung stimmt auch: Aggie Wiggs (Claire Danes) hat vor Jahren einen Bestseller gelandet. Jetzt lebt die Schriftstellerin allein mit ihrem Pudel in einem viel zu großen Haus auf Long Island. Ihre Ehefrau Shelley (Natalie Morales), eine Malerin, ist weg, nachdem der kleine gemeinsame Sohn bei einem Autounfall gestorben ist. Der junge Mann, dem Aggie die Schuld daran gibt, lebt vor Ort. Er taucht am Todestag des Sohnes sogar am Grab auf. Auch das nicht nur seit der Tragödie unberührte Kinderzimmer zu Hause hindert Aggie daran, dieses furchtbare Kapitel in ihrem Leben besser zu bewältigen.
Apropos Kapitel: Von Aggies neuem Buch über die unwahrscheinliche Freundschaft zwischen dem rechten Supreme-Court-Richter Antonin Scalia und seiner linken Kollegin Ruth Bader Ginsburg gibt es keine, obwohl die Star-Autorin das ihrer Lektorin vorschwindelt. Und schon viel Geld geflossen ist. Was zu den vielen Mahnungen passt, die Aggie ungeöffnet liegen lässt.
In die Nachbarschaft zieht ein stinkreicher Immobilienentwickler. Nile Jarvis (Matthew Rhys) beabsichtigt in einem nahen Waldstück einen Joggingpfad anzulegen, was Aggie gegen den Strich geht. Mit Geld, das er wie Heu hat und sie dringend braucht, lässt Aggie sich nicht umstimmen. Und da sind diese riesigen Hunde, eine Gefahr auch für den Vierbeiner der Autorin. Obwohl ein breiter Kahlkopf in Jarvis‘ Diensten die Biester unter Kontrolle zu haben scheint. Ach ja: Nile Jarvis steht im Verdacht, vor Jahren seine erste Ehefrau ermordet zu haben. Von der, oder ihrer Leiche, fehlt aber jede Spur. Es gibt einen Abschiedsbrief, der noch eine große Rolle spielen wird. Wie vieles in „The Beast in Me“. Und viele in diesem Achtteiler.
„Zwei Fremde im Zug“ lassen grüßen
Aus all dem hätte etwas werden können, was die über 300 Thriller-Minuten auf Netflix gut ausfüllt. Die Rohre in Aggies Haus sind marode. Das rostig-rote Wasser weckt Assoziationen. Wie es aus dem Ausfluss erst blubbert, dann spritzt, sind „Es“ oder „Carrie“ nicht weit. Zumal Aggies weißer Kläffer einen guten farblichen Kontrast abgäbe. Dass der Immobilienmensch mit Aggies Buch „Sick Puppy“ („Kranker Welpe“) vor der Tür steht und um ein Autogramm bittet, just als der herbeigerufene Klempner vor fauligem Geruch warnt, stinkt noch nicht zum Himmel. Dass sich die fahrig-verschreckte Aggie sogleich auf ein Lunch-Date mit dem ihr mehr als unangenehmen neuen Nachbarn einlässt, um dann offenherzig von ihrem Hass auf den jungen Mann, dem sie die Schuld am Tod ihres Sohnes gibt, zu sprechen, schon eher. Dass etwas faul ist bei Jarvis, wird andererseits klar, als tags drauf das Auto eben jenes jungen Mannes am Strand gefunden wird. Die Vermutung: Selbstmord. Jarvis‘ Kommentar: Aggies Wünsche hätten sich erfüllt, ihre Mordlust sei nun befriedigt.
Genug für acht Netflix-Folgen? Der angedeutete „Zwei Fremde im Zug“-Plot verspricht einen spannenden, durchgebingten Abend. Auch der Einfall der Serienmacher, Aggie ihre ohnehin kaum vom Fleck gekommene Richtergeschichte in die Tonne treten zu lassen und stattdessen intensive Gespräche mit Jarvis für ein Buch über das Verschwinden seiner ersten Frau zu führen, stünde dem nicht im Wege.
Was dem im Wege steht, ist der FBI-Agent, der nachts besoffen an Aggies Hintertür klopft, um vor Jarvis zu warnen. Seine Chefin, die mit ihm schläft. Und deren Mann, ihre Trennung, ganz zu schweigen von ihrer Bekanntschaft mit dem glatzköpfigen Hundedompteur, der nebenbei Jarvis vorbestrafter Onkel ist. Warum eigentlich bietet Yarvis‘ Frau Nina (Brittany Snow) Aggies Ex Shelley eine Ausstellung in ihrer Galerie an? Was ist das Verhältnis des Nachbarn zu seinem Vater und warum hat der, ein Greis, zwei kleine Söhne, während Jarvis keine Kinder will? Wieso verteidigen die Eltern seiner verschwundenen Ex den windigen Schwiegersohn, während der Schwager sich erst einmal sehr bedeckt hält? Wie passt schließlich jene Alexandra-Ocasio-Cortez-Wiedergängerin in die Geschichte, eine Stadträtin, die gegen „Jarvis Yards“, ein Bauprojekt in Manhattan, mobil macht, in diese fünf bis sechs Stunden Fernsehen?
Eher schlecht, ist die Antwort. Denn das alles ist zu viel für eine Miniserie wie „The Beast in Me“. Wäre eine Überforderung selbst für talentiertere Serienmacher als diese. Ist für den Zuschauer eine Überforderung. Und wird dann öde. Denn die Serie verbindet erzählerisch faul die zahlreichen Handlungsstränge und das überbordende Personal in oft ermüdenden Rückblenden, sodass am Ende alles sauber ineinandergreift. Drehbuch und Regie sind auf der Suche nach selbst versteckten Ostereiern, obwohl „The Beast in Me“ eines der Streaming-Events der Vorweihnachtszeit 2025 werden sollte. Der Preis dafür: Was verstörend, mysteriös wirken könnte, strebt plump konstruierter Eindeutigkeit entgegen.
Der Minimalismus, den die gesammelten Gesichtsausdrücke von Matthew Rhys predigen – es sind exakt zwei: versteinerter Peter-Thiel-Klon oder Patrick-Bateman-Lächeln – kommt gegen die geballte Überfrachtung mit Figuren und Nebenplots auch nicht an. Schon gar nicht gegen Claire Danes. Denn ständig zuckt, zappelt, verhaspelt sich alles bei ihr. Dass sich ihre Maske für einen Style à la späte Pamela Anderson entschieden hat, wäre zu begrüßen, gäbe es da nicht den Verdacht, dass sich die, die sich „The Beast in Me“ ausgedacht haben, eine Frau, die nicht auf Männer steht, zumal eine schreibende mittleren Alters mit viel emotionalem Ballast, nur so vorstellen können: ungeschminkt, hyperagil, immer kurz vor dem Nervenzusammenbruch – und androgyn in Edel-Vintage gekleidet.
Nicht nur die Hauptrollen sind mit zwei Emmy-Preisträgern prominent besetzt. Die zweifache Oscar-Preisträgerin Jodie Foster, in deren Film „Familienfest und andere Schwierigkeiten“ eine junge Claire Danes 1995 spielte und der Comedian und Oscars-Moderator Conan O’Brien sind als Produzenten gelistet. Showrunner ist Howard Gordon, bekannt für „24“. Auch für jenen Hit, in dem Claire Danes bereits bewiesen hat, was für ein Nervenbündel in ihr steckt, „Homeland“, zeichnete er verantwortlich.
Bei so viel Kulturindustrie-Adel wundert es kaum, dass die Zeitschrift „Vanity Fair“ schon im August ein Riesenstück zu „The Beast in Me“ brachte. Monate also, bevor Normalsterbliche sich die Serie ansehen konnten. Man nickt, wenn Danes hier zitiert wird, „The Beast in Me“ erinnere leicht an Hitchcock. Der hat schließlich Highsmiths „Zwei Fremde“ verfilmt. Man nickt energischer, wenn sie zugibt, dass die Konstellation zwischen ihrer und der Figur, die Rhys spielt, auch etwas von „Homeland“ habe. Jener Geschichte, in der ein traumatisierter Terrorverdächtiger auf eine traumatisierte Geheimagentin traf. Zustimmung auch noch, wenn Showrunner Gordon die vielen Ideen, die man für Aggies/Danes‘ Filmpartner in Betracht gezogen habe, auflistet:
Ursprünglich sei Nile Jarvis „eine Art Tony Soprano-Gangster“ gewesen. „Er wurde zum Rap-Mogul und schließlich zu einem Immobilienentwickler“ wie Donald Trump. Merkt man nämlich. Leider. Ein moderner Michael Corleone mit Vaterkomplex, ist Jarvis auch ein selbst optimierender Elon Musk mit Fifty-Shades-of-Grey-Vibes. Die spürt man, wenn er seiner neuen Bekannten beim Mittagessen vorschreibt, was sie zu bestellen hat. Oder wenn er ausflippt, weil eine Frau am Nachbartisch ihn fotografiert. Der Mann ist zu viel auf einmal. Und nichts richtig.
Langsam geht dann das Nicken beim Lesen dieser „Vanity Fair“-Hymne in ein Kopfschütteln über. Das Selbstbewusstsein, mit dem Danes und Rhys zu Protokoll geben, bis zum Ende des Drehs nicht gewusst zu haben, wie die Geschichte enden würde, lässt einen mit den Ohren schlackern. Plädieren hier zwei Profis für Welpenschutz? Die Kinnlade fällt schließlich dem herunter, der liest, wie Showrunner Gordon über frühe Stadien des Drehbuchs spricht. Jahrelang ist am ursprünglichen Entwurf von Gabe Rotter gearbeitet worden. Foster und O‘Brien wollten irgendwann inhaltlich nicht mehr mitreden. „Ich nenne das so, als würde man fünf Gallonen Scheiße in einen Zwei-Gallonen-Kanister füllen“ wird Gordon in „Vanity Fair“ zitiert. „Es gab einfach zu viele Ideen, die um Platz rangelten.“
No Shit: Wer „The Beast in Me“ durchgestanden hat, ist für alles dankbar, was es nicht in die Serie geschafft hat.
„The Beast in Me“ läuft ab dem 13. November 2025 auf Netflix.
Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke