Yvonne Kálmán war die letzte ihrer schon ein wenig exotisch gewordenen Art. Als spätes Kind, das auf dem Schoß ihres geliebten Vaters Imre in den Schlaf geschaukelt wurde, war sie das finale Bindeglied, das einen der großen Schöpfer der Operette noch persönlich erlebt hatte. Nun ist diese auf der Bühne – dank motivierter Regisseure wie Rechercheure – wieder etwas frischer atmende Gattung endgültig erloschen.
Vera Kálmán, die sprichwörtlich lustige Operettenkomponistenwitwe, starb 1999; Yvonne Louise „Einzi“ Stolz im Jahr 2004 und Helga Benatzky, schon die Tochter, 2020. Es lebt noch Elisabeth Trautwein, Tochter von Werner Richard Heymann, doch er war eher Ufa-Schlagerkomponist denn Operettenmeister. Imre „Emmerich“ Kálmán (1882–1953) aber verkörperte allein mit seinen beiden Hit-Werken „Die Csárdásfürstin“ und „Gräfin Mariza“ noch die beste Zeit der silbernen Operette, Seitenstrang Ungarn in vollem Gulaschsaft.
Und Yvonne, Imres drittes Kind, geboren am 31. August 1937, lag quasi noch in der Wiege, als die jüdische Familie 1938 Wien verlassen musste und erst in Paris, dann in New York und nach dem Krieg wieder in Paris lebte. Sie war erst sechs Jahre alt, als ihr Vater starb, doch sie hat die Erinnerung an ihn bewahrt – vor allem aber weitergegeben.
Sie war dreimal verheiratet, lebte mit ihrem deutschen Mann Helmuth in Australien, später in Miami und Los Angeles, vor allem aber im liberalen mexikanischen Badeort Puerto Vallarta, wo sie mit der Casa Yvonneka ein flamboyant-opulentes Edel-B&B betrieb, das vielfach ausgezeichnet wurde. Aber auch die Münchener Wohnung ihrer Mutter in der Elektra-Straße (!) hat sie behalten, gepflegt von der alten Haushaltshilfe.
Yvonne Kálmán – gern pretty in pink, die blonden Löckchen immer in Bewegung, aufmerksam auf jeden ihrer vielen Gegenüber fixiert, eine Menschenfängerin wie -liebhaberin – war gelebte Operette in Reinkultur: immer ein wenig over the top, selbstironisch, zugewandt, temperamentvoll, unterhaltungssüchtig, das Leben in vollen Zügen genießend. Während ihr komponierender Bruder Charles sich mit Öffentlichkeit schwertat, trat sie nach dem Tod ihrer Mutter als Kálmán-PR-Frau an die Front. Schon vorher aber hatte sie – etwa mithilfe des dirigierenden Joan-Sutherland-Gatten Richard Bonynge – dessen Operetten in Australien und den USA revitalisiert; auch in Europa erinnerte man sich, dank ihres charmanten Drucks, wieder an scheinbar vergessene Werke wie „Die Herzogin von Chicago“, „Die Faschingsfee“, „Die Zirkusprinzessin“, „Die Bajadere“ oder „Arizona Lady“.
Denn „ganz ohne Operette geht die Chose nicht“. So verführte sie Barrie Kosky zu einer Kálmán-Reihe an der Komischen Oper Berlin, brachte eine CD-Edition bei Naxos ins Laufen und ließ im Jahr 2000 die zunächst skandalöse, dann als hellsichtig erkannte Dresdener „Csárdásfürstin“ von Peter Konwitschny zu, in der sich die bessere Gesellschaft auf den Kriegsschlachtfeldern wiederfand und ohne Kopf weitertanzte.
Sie animierte Christian Thielemann zum etwas hüftsteifen Operettenschunkeln und brachte Anna Netrebko auf den Kálmán-Geschmack. Zudem reiste sie unermüdlich durch die ganze Welt zu Premieren, schloss immer neue Freundschaften und war überhaupt ein enorm großzügiger Mensch; selbst die herrenlosen Hunde in Vallarta vergaß sie nicht und widmete ihnen eine Stiftung.
„Weißt du, wie lange noch der Globus sich dreht, ob es morgen nicht schon zu spät!“ Papa Kálmán kannte durchaus auch die Melancholie, den unter Tränen lachenden Weltschmerz; in seinen Werken schimmert nicht selten die Brüchigkeit ihrer Zeit durch – das macht sie heute wieder so faszinierend. Yvonne Kálmán wusste ebenfalls um diese Melancholie einer Welt von gestern. Das Kálmán-Archiv befindet sich inzwischen in Budapest, wo sie auch ihren 80. und 85. Geburtstag im opulenten Operettenhaus feierte. Hoffentlich wird einmal ein Museum daraus.
Jetzt ist Yvonne Kálmán, schon länger an Blutkrebs erkrankt, aber tapfer und fröhlich bis zum Schluss, am 7. November in Los Angeles gestorben. Sie wurde 88 Jahre alt. Und im Himmel werden mit Papas Melodie „tausend kleine Engel singen: Hab dich lieb!“.
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