Unsere Kolumnistin Jagoda Marinić will sich von Friedrich Merz nicht sagen lassen, wer sie ist. Sie will aber nicht protestieren gegen ihn. Es gibt Besseres zu tun.

Ich bin eine Tochter, aber nicht wider Friedrich Merz. Der Bundeskanzler hat einmal mehr Aufregung ausgelöst, ihm scheint das zu gefallen: Da wollte er Erfolge bei den Abschiebungen verkünden und endete bei der Sache mit dem Stadtbild. Darauf angesprochen, verwies er auf die Töchter, die man fragen sollte, die wüssten, was er meint.

Prompt dominierte wochenlang dieses Thema die Diskussionen. Wochen, die Merz den Reformen des Herbstes widmen sollte. Natürlich ließen sich nicht alle Frauen vor Merz’ Karren spannen. "Wir sind die Töchter!", rufen sie. Zu Recht.

Doch ich glaube, wir kommen so nicht mehr heraus aus dem Gegeneinander. "Wir sind mehr!" wurde zu "Wir sind die Brandmauer!" zu "Wir sind die Töchter!"

Töchter zum "Stadtbild" "Merz nimmt mir die Worte ab, die ich mich nicht zu sagen traue"

Wir sind blank – so lautet die Bilanz. Unsere Ideenkiste für die Zukunft ist so leer, wie es die Kassen vieler Kommunen sind. Warum zeigt sich Deutschland geistig und finanziell so entblößt derzeit, dass ehemals wohlhabende Kommunen kein Geld mehr für einen gepflegten öffentlichen Raum haben? Warum müssen Sündenböcke her, statt Verantwortliche zu benennen und Probleme zu lösen?

Um Letzteres zu schaffen, müssten die Lauten aufhören, reflexartig aus Lagen heraus zu reden, allen voran Merz als Kanzler, aber auch seine Kritiker. Die Compass-CDU, in der Mitglieder auf das C im Parteinamen hinweisen und die Mitte stärken wollen, ist ein wichtiger Schritt. Denn jede Runde Migrations-Hysterie verletzt junge Menschen in unserem Land. Wie viele Generationen sollen noch brechen unter deutschen Vorurteilen?

Jagoda Marinić möchte sich nicht von anderen wegen ihrer Migrationsgeschichte definieren lassen

Ich bin eine Tochter, aber keine wider Merz. Ich bin die Tochter zweier Menschen, die einst nach Deutschland aufbrachen für ihren Traum vom besseren Leben. Dieses Leben führten sie zwischen zwei Ländern; manchmal zerrissen sie sich dabei. Sie haben viel geschaffen und viel verloren. Diese Generation hätte jetzt etwas Ruhe verdient. Stattdessen sieht sie zu, wie ihre Kinder und Enkel erneut herausgerechnet werden.

Es ist eine schwierige Aufgabe, sich selbst zu definieren, wenn andere dies ständig tun.

Kolumne Ganz Naher Osten Im Angstraum der deutschen Politik

Ich liebe schwierige Aufgaben – und will mich weder von Friedrich Merz definieren lassen noch von den Töchtern, die auf ihn reagieren. Merz darf uns nicht in Gefühle der Heimatlosigkeit treiben. Es hilft, einmal eine Kanzlerin Merkel erlebt zu haben, damit man weiß, dass es anders geht.

Nach Merz’ Aussagen sehe ich viele Videos junger, begabter Männer, die verletzt in ihre Social-Media-Accounts sprechen. Ich sehe ihre Angst davor, nicht dazugehören zu dürfen, und will ihnen sagen: Wir leben in einer Demokratie und sind nicht hier von jemands Gnaden. Nicht einmal unser Kanzler kann uns herausrechnen. Er desintegriert sich von dem Volk, das er regiert – nicht umgekehrt. Wann dürfen wir nach vorne leben, selbstverständlich sein? Wir dürfen es vermutlich nie, deshalb müssen wir es einfach tun.

Die Eingewanderten und ihre Kinder hätten einen Kanzler verdient, der weiß: Ihre Migrationsgeschichte verdammt sie nicht zur ewigen Nicht-Zugehörigkeit. Wenn es diesen Kanzler nicht gibt, darf man trotzdem frei leben in unserer Demokratie. Die meisten jedenfalls. Es ist Zeit, aus solchen Stöckchen, die uns von rechts in die Beine geworfen werden, einen Bumerang zu machen: Ja, Herr Merz, wenn es Probleme mit dem Stadtbild gibt, wann lösen wir sie? Wann reden wir über die Nöte der Kommunen und packen an?

Alle. Auch der Bundeskanzler. 

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