Sie tritt mit Kopftuch auf die große Bühne, erzählt kämpferisch von Rassismus in Deutschland und dass Menschen wie sie für die Gesellschaft „nie weiß genug“ sind: Ayse Irem hat die deutschsprachige Meisterschaft im Poetry Slam gewonnen.
Die Muslima aus Nordrhein-Westfalen hat sich am vergangenen Wochenende gegen 80 Konkurrenten durchgesetzt, im Finale bekam sie Standing Ovations von den rund 1.800 Zuhörern in Chemnitz (Sachsen). Sie war für „I,Slam“ angetreten, einer Gemeinschaft für muslimischen Poetry Slam.
Es sei ihr sehr wichtig, über diese ernsten Themen zu sprechen, sagte Irem nach ihrem Titelgewinn. „Wenn niemand anderes darüber spricht, dann mache ich das.“ Dass sie als türkischstämmige Muslima in Chemnitz den Titel gewonnen habe, freue sie besonders.
Die Stadt hatte 2018 mit Ausschreitungen von Rechtsextremen weit über Deutschland hinaus für Entsetzen gesorgt. Sie habe hier viele nette Menschen getroffen und viel Spaß gehabt, erzählte sie. „Überall gibt es böse Menschen, überall gibt es gute Menschen. Wichtig ist, dass wir zusammenhalten als Gemeinschaft.“
„...denn ihr seht ja, dass ich mich bedecke“ – Auch das Kopftuch ist ihr Thema
Auf der Bühne der Chemnitzer Stadthalle sprach die studierte Architektin vom Mut ihrer Großeltern in einem fremden Land neu anzufangen. Aber auch darüber, dass es Kindern von Zuwanderern angeblich verboten war, auf dem Schulhof Türkisch zu sprechen. Und dass Menschen wie sie bestimmte Jobs und Wohnungen nicht bekommen, die sie, so zitiert der WDR wörtlich aus ihrer Performance, „aufgrund ihrer Namen nicht bekommen haben“ – „weil wir einfach nicht weiß genug waren“.
Auch der WDR berichtet über ihren letzten Auftritt, der ihr den Sieg einbrachte. In dem fiktiven Dialog, den Ayse Irems vorträgt, beschreibt sie auch, dass sie von ihrem Gegenüber gefragt wird: „Kannst du dir vorstellen auszuwandern?“
Ihr Gesprächspartner würde gerne auswandern, erklärt sie dann – um beispielsweise „schöne Orte zu sehen, die du noch nie erblickt hast“. Sie spricht von den rassistischen Anschlägen in Mölln, Solingen und Hanau. Und vom Asylbewerber Oury Jalloh, der in Polizeigewahrsam in Sachsen-Anhalt gefesselt auf einer Matratze liegend verbrannt ist – und fragt sich dann, ob sie sich im Ernstfall auf die Polizei hierzulande verlassen könne.
Aber sie denkt auch daran, dass sie in der Türkei versucht, ihren deutschen Akzent zu verstecken. In Deutschland wiederum „kann mich auch meine fließende Sprache nicht retten, denn ihr seht ja, dass ich mich bedecke.“
Ayse Irem ist in Osnabrück geboren, aktuell lebt sie in Bielefeld. Laut dem WDR ist sie die erste Person aus Ostwestfalen, die jemals die deutschsprachige Slam-Meisterschaft gewonnen hat.
Glückwünsche kamen unter anderem von der Grünen-Politikerin Lamya Kaddor. Die Bundestagsabgeordnete schrieb auf X: „Herzlichen Glückwunsch an Ayse Irem zum Gewinn der Deutschen Meisterschaft im Poetry Slam. Ihre Texte zeigen, wie weit verbreitet Islamfeindlichkeit und Alltagsrassismus bis heute sind – vor allem gegen muslimische Frauen mit Kopftuch“. In einem zweiten Posting ergänzte sie: „Aber eben auch eigentlich Selbstverständliches: Muslime sind witzig, kreativ, geistreich.“
Berliner Duo gewinnt dritten Team-Titel
Vier Tage lang war Chemnitz, Europas Kulturhauptstadt 2025, Treffpunkt der deutschsprachigen Poetry-Slam-Szene. Der moderne Dichterwettstreit wurde in einem Einzel- und einem Team-Wettbewerb ausgetragen. Im Team-Finale hatte sich schon am Freitagabend Wortwin & Slamson aus Berlin durchgesetzt. Laut den Veranstaltern sicherte sich das Duo seinen dritten Team-Titel durch sprachliche Originalität, präzises Timing und mitreißende Bühnenpräsenz.
Bei einem Poetry Slam tragen Autoren und Autorinnen selbst verfasste Texte auf einer Bühne vor und stellen sich dem Urteil des Publikums. Die Texte können kritisch, humorvoll, traurig, politisch und auch persönlich sein. So ging es im Einzelfinale etwa um sexuelle Gewalt gegen Frauen, um Pollenallergie, die Ideologie von Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) sowie die Bedeutung von Steinen.
Für ihren Vortrag hatten die Teilnehmer maximal sechs Minuten Zeit. Während Hilfsmittel wie Kostüme oder Requisiten tabu sind, durfte mit Mimik und Gestik gearbeitet und der Text auch gerappt werden.
Die Meisterschaft wurde zum 29. Mal ausgetragen. Die Teilnehmer kamen aus Deutschland, Österreich, der Schweiz, Italien, Belgien, Liechtenstein und Luxemburg. Die Plätze zwei und drei im Einzelwettbewerb errangen Julius Althoetmar aus Bayern und Lia Hartl aus Österreich. Im kommenden Jahr wird der Wettbewerb im September in Hannover ausgetragen.
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