Ein Mann mit dunkler Haut- und Haarfarbe fährt (auf einem E-Scooter) in eine Menschenmenge und schreit dabei „Allahu akbar“. Aus dem Kontext gerissen stellt das nicht nur aus Sicht des aktuellen Bundeskanzlers ein Problem für das Bielefelder Stadtbild dar. Es könnte auch vermuten lassen, dass die neue Serie „Habibi Baba Boom“ schon in den ersten Szenen kolossal durch den sogenannten Riz-Test rasselt.

Der Riz-Test, konzipiert vom britischen Schauspieler Riz Ahmed („Jason Bourne“, „Four Lions“), prüft, ob muslimische Figuren in Film und Fernsehen klischeehaft dargestellt werden: Wird über islamistischen Terrorismus gesprochen? Check. Wird die Figur als irrational wütend dargestellt? Check. Wird die Figur als abergläubisch, kulturell rückständig oder antimodern dargestellt? Check.

Hat die vergleichsweise bescheidene Vermarktung der Serie seitens Disney+ etwas mit dem Inhalt zu tun? Oder ging die Serie im Zuge interner Umstrukturierungen unter? Die Branchen-Experten von „The Spot“ haben bereits über das Fehlen einer „erkennbaren PR-Kampagne“ geklagt; auch eine „große Ankündigung“ der bereits 2024 abgedrehten Serie sei ausgeblieben.

Die Macher von „Habibi Baba Boom“ jedenfalls kennen den Riz-Text offenbar sehr genau. Und so etabliert der Writers’ Room um die Headautoren Sascha Vredenburg und Omar El-Saeidi gleich zu Anfang der Serie ein Muster, das sich im Laufe der 8-teiligen Staffel zuverlässig wiederholt: Sie provozieren mit einem antimuslimischen Klischee, um es im weiteren Verlauf, wenngleich mit durchwachsener Erfolgsquote, komödiantisch als solches zu entlarven. Es geht um verpatzte Gebetsaufrufe, Schiiten vs. Sunniten, Beschneidungsfeiern und, ja, auch um ein mögliches Selbstmordattentat.

Provokation als Prinzip

So auch in der erwähnten Anfangsszene: Der Mann auf dem E-Scooter ist nämlich Sami, Steuerberater aus Bielefeld, leidenschaftlicher Zahlenmensch, ein Alman, wie er im Buche steht. Er rollt auch nicht in einen Heiligen Krieg hinein, sondern auf schnellstem Weg zu sich nach Hause: Seine Frau Jette, eine schwedische Tattoo-Künstlerin, hat per Sprachnachricht angekündigt, ihn zu verlassen.

Und das auch noch am Abend der Eröffnung von „Tattoos and Taxes“, dem gemeinsamen Laden, in den sämtliche Ersparnisse geflossen sind. Aber Sami kommt zu spät, Jette ist weg und mit ihr ist der Traum von „Tattoos and Taxes“ geplatzt. Wieso, das wird erst im Lauf der Staffel klar. Was deshalb besonders irritiert, weil Jette nicht nur ihren Mann, sondern auch die gemeinsame 16-jährige Tochter Isa zurücklässt.

Hier beginnt die dramatische Ausgangslage von „Habibi Baba Boom“: Sami braucht dringend einen Job. Über einen Kontakt in der Anti-Aggressionsgruppe, zu der er aufgrund des E-Roller-Vorfalls verdonnert wird, gerät Sami an die türkische Restaurantbesitzerin Suma (Meltem Kaptan), die einen Steuerberater sucht. Es gibt nur einen Haken: Suma stellt ausschließlich gläubige Muslime ein. Und so nimmt die Culture-Clash-Komödie ihren Lauf.

Klamauk oder Tiefgang?

In welche Richtung kann das gehen, im Jahr 2025? Satirisch-klamaukig wie die erfolgreiche ZDF-Neo-Komödie „Doppelhaushälfte“? Oder nachdenklicher, näher an der Grenze zwischen Komik und Tragik angesiedelt, wie in neueren Vorbildern aus den USA und aus Großbritannien: So wie in „Ramy“, einer Dramedy, die den namensgebenden ägyptischstämmigen Comedian dabei begleitet, wie er sich im unglamourösen New Jersey zwischen den Welten der gläubigen Muslime und den Exzess liebenden Millennials zurechtfindet; oder „Mo“ über eine palästinensische Familie in Texas. Oder die Coming-of-Age-Serie „We Are Lady Parts“ über eine weibliche Punk-Band, bestehend aus vier muslimischen Frauen in London.

Sie alle schaffen es, drei Dinge zusammenzubringen, die im Fernsehen bisher selten zusammengebracht worden sind: Islam, Humor – und dreidimensionale Figuren. Bekommt man das in Deutschland auch hin?

„Habibi Baba Boom“ scheint unter der Regie von Sascha Vredenburg und Süheyla Schwenk vor allem zu Beginn gut nachzuziehen. Dabei sind es die kleinen, alltäglichen Beobachtungen, die durch Situationskomik zum Nachdenken anregen: Zum Beispiel der generisch „asiatische“ Akzent, den sich ein koreanischer Restaurantbetreiber (Jason Her) im Gespräch mit Gästen zulegt, obwohl er in der Küche mit seinem Personal einwandfrei Hochdeutsch spricht. Oder Samis Beobachtung, dass die Gewänder der Betenden in der Moschee dazu neigen, in deren Poritze steckenzubleiben. Oder eine Szene, in der Sami und sein zum Islam konvertierter Freund Moritz gemeinsam einen Gebetstext üben, in der die Lacher über gekonntes Timing im Schnitt funktionieren.

Es hätte „Habibi Baba Boom“ gutgetan, mehr auf diese ruhigen Momente zu setzen, statt sich zunehmend in das gestalterische und dramaturgische Korsett der überzeichneten TV-Comedy zu zwängen.

Denn so differenziert wie Samis Perspektive sein kann, so sehr fällt die fehlende Nuancierung an anderer Stelle auf. Vor allem die Coming-of-Age-Handlungsstränge rund um Samis 16-jährige Tochter Isa drohen ins klischeehaft Soapige abzurutschen. Die Schauspieler (Tokesa Konxheli als Isa und der YouTuber Kaan Ertem als ihr Liebesobjekt) tun ihr Bestes mit einem Drehbuch, das sie skateboardfahrend ins Klima-Camp schickt und das Potenzial der Serie, eine authentische Stimme zu zeigen, besonders im letzten Drittel etwas verblassen lässt. Auch die Frauen rund um Sami (Jytte-Merle Böhrnsen als Jette und Gamze Senol als Isas Lehrerin Aylin) geraten unter Verdacht, als Story-Elemente zugunsten des zeitweilig stark konstruierten Plots an Mehrdimensionalität einzubüßen.

Als auffliegt, dass Sami, um über die Runden zu kommen, zeitweise in einem Restaurant als Spüler gearbeitet hat, fragt ihn seine Tochter Isa: „Warum hast du mir das nicht einfach erzählt? Warst du schon immer so ein Feigling?“ Worauf er antwortet: „Ich wollte ja die Wahrheit sagen. Aber manchmal verpasst man einfach den richtigen Zeitpunkt.“ Für Disney+ gilt das ja womöglich auch: Der richtige Zeitpunkt, für „Habibi Baba Boom“ zu werben, ist jetzt.

„Habibi Baba Boom“ läuft auf Disney+.

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