Hier erscheint unsere monatliche Empfehlungsliste. Experten einer unabhängigen Jury küren zehn Sachbücher des Monats aus Geistes-, Natur-, Sozial- und Wirtschaftswissenschaften. Im November lohnen sich:

1. Carolin Amlinger, Oliver Nachtwey:

Zerstörungslust. Elemente des demokratischen Faschismus. Suhrkamp, 453 Seiten, 30 Euro*

Früher warnte die politische Linke vor der repressiven Gesellschaft, heute findet sie Subversion verdächtig. Insofern hat das Buch eher dokumentarischen als analytischen Wert. Es artikuliert das Unbehagen linksliberaler Eliten an Disruptionswünschen rechts der Mitte. Lesen Sie hier unsere kritische Besprechung.

2. Manfred Pfister:

Englische Renaissance. Shakespeare & Company. Galiani, 480 Seiten, 98 Euro*

Literaturgeschichte als Foliant: In über 500 ausgewählten, eingeleiteten und übersetzen Originaltexten entfaltet der Anglist ein vielfältiges Panorama, von Chaucer und Erasmus über Shakespeare bis Milton.

3. Grit Straßenberger:

Die Denkerin. Hannah Arendt und ihr Jahrhundert. C.H. Beck, 528 Euro, 34 Euro*

Pünktlich zum 50. Todestag von Hannah Arendt erscheint dieses neue Standardwerk der Bonner Professorin für Politische Theorie und Ideengeschichte.

4. Norbert Frei:

Konrad Adenauer. Kanzler nach der Katastrophe. C.H. Beck, 317 Seiten, 29,90 Euro*

Wer war der Mann, der die Fundamente für 80 Jahre Wohlstand und Frieden legte? Der Gründungskanzler der Bundesrepublik wurde vor 150 Jahren geboren. Zeit für eine neue, profunde Darstellung.

5. Marcel Fratzscher:

Nach uns die Zukunft. Ein neuer Generationenvertrag für Freiheit, Sicherheit und Chancen. Berlin Verlag, 22 Euro*

Wenn der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) den Deutschen die Wirtschaft erklärt, ist das grosso modo eine Verbandslektüre. Teile der Jury scheint das zu beeindrucken.

6. Eva Illouz:

Der 8. Oktober. Aus dem Französischen von Michael Adrian. Suhrkamp, 102 Seiten, 12 Euro*

Wie kam der Israel-Hass unter die Intellektuellen? Dieses Buch der renommierten französisch-israelischen Soziologin sucht Antworten. Lesen Sie hier unsere ausführliche Buchbesprechung.

7. Karl Schlögel:

Auf der Sandbank der Zeit. Der Historiker als Chronist der Gegenwart. Hanser, 176 Seiten, 23 Euro*

Wer die famosen Bücher des aktuellen Friedenspreisträgers bislang verpasst hat, kann mit diesen Essays – gesammelten Beiträgen aus Zeitungen und Zeitschriften – noch einsteigen. Jeder Beitrag ein Crashkurs in Sachen Osteuropa. Lesen Sie hier unser jüngstes Interview mit Karl Schlögel.

8. Martin Warnke:

Hofkünstler. Zur Vorgeschichte des modernen Künstlers. Wagenbach, 512 Seiten, 42 Euro*

Kunstgeschichte bei Wagenbach lohnt sich immer. 40 Jahre nach der Erstausgabe ist dieser Klassiker des 2029 gestorbenen Professors neu zu entdecken.

9. Steven Pinker:

Wenn alle wissen, dass alle wissen. S. Fischer, 416 Seiten, 29 Euro*

Der US-Psychologe nimmt selten ein Blatt vor den Mund. Im aktuellen Werk erklärt er, was Menschen heute wissen, meinen und zu wissen meinen. Lesen Sie hier unser Interview mit Steven Pinker.

10. Laure Murat:

Proust. Ein Familienroman. Piper, 320 Seiten, 44 Euro*

Die in Frankreich geborene und in Kalifornien lehrende Historikerin liefert ein essayistisches Sittenbild der Belle Époque – am Beispiel der großbürgerlichen Welt des Schriftstellers Marcel Proust.

Die Extra-Empfehlung

Jeden Monat kommt neben den zehn Tipps der Jury eine Extra-Empfehlung von einem Gast. Diesmal von Barbara Vinken (Ludwig-Maximilians-Universität München). Sie empfiehlt:

Judith Butler: Wer hat Angst vor Gender? Übersetzt von Kathrin Harlaß (mit Anne Emert). Suhrkamp, 405 Seiten, 24 Euro*

„Schon der Titel, der auf ‚Who is afraid of Virginia Woolf‘ anspielt, setzt den Ton mit einem Augenzwinkern und markiert gleichzeitig die Erweiterung des Feminismus zum Queeren, Nicht-Heteronormativen. Butler ist dazu berufen wie wenige, hat sie doch das Nachdenken über Gender wie wenige Autoren geprägt und so Grundlagenforschung geleistet. Judith Butler, die sich sonst mit heiligem Ernst philosophischen Fragen widmet, ist hier fast verspielt, witziger, politischer, und schreckt vor Wortspielen nicht zurück. Insofern ist die Lektüre trotz des Ernsts der Lage, in der vom Vatikan bis Putin und Trump alles darangesetzt wird, die in ihren Augen natürlich ebenso falsche wie brandgefährliche Gender-Ideologie auszurotten, fast heiter. Souverän untersucht Butler das angstbesetzte Phantasma, zu dem das Stichwort ‚Gender‘ außerhalb des akademischen Kontexts geworden ist.

Ihr Buch ist eine psychoanalytische Diskursanalyse der vereinigten Feinde von Gender. Dabei wird wie nebenbei klar, dass die Geschlechter-Differenz, und nicht Rasse oder Klasse den Kern des Anstoßes darstellen. Die vereinigten Feinde beweisen dies, wenn sie sich darauf einigen können, in Gender den Teufel, die Atombombe, und also kurz, eine ganz und gar zerstörerische, die patriarchale Ordnung, alle wahre Männlichkeit und Weiblichkeit zersetzende Denkströmung sehen. Gönnen Sie sich das Vergnügen, einen brillant argumentierenden, witzig geschriebenen Text gegen die autoritären, übermächtigen, aber intellektuell unterlegenen Feinde an der Seite der Unterdrückten und Gefährdeten zu sehen.“ (Barbara Vinken)

Die Jury der Sachbücher des Monats

Tobias Becker, Der Spiegel; Natascha Freundel, RBB-Kultur; Dr. Eike Gebhardt, Berlin; Knud von Harbou, Feldafing; Prof. Jochen Hörisch, Universität Mannheim; Günter Kaindlstorfer, Wien; Dr. Otto Kallscheuer, Sassari, Italien; Petra Kammann, FeuilletonFrankfurt; Jörg-Dieter Kogel, Bremen; Dr. Wilhelm Krull, Hamburg; Marianna Lieder, Berlin; Lukas Meyer-Blankenburg, Redaktion Das Wissen, SWR; Gerlinde Pölsler, Der Falter, Wien; Marc Reichwein, WELT; Thomas Ribi, Neue Zürcher Zeitung; Prof. Dr. Sandra Richter, Deutsches Literaturarchiv Marbach am Neckar; Wolfgang Ritschl, ORF Wien; Florian Rötzer, krass-und-konkret, München; Norbert Seitz, Berlin; Mag. Anne-Catherine Simon, Die Presse, Wien; Prof. Dr. Philipp Theisohn, Universität Zürich; Dr. Andreas Wang, Berlin; Prof. Dr. Harro Zimmermann, Bremen; Stefan Zweifel, Zürich. Redaktion: Andreas Wang.

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