Bevor an diesem Abend die große Power-Punkpop-Party steigt, die einem noch einmal die Paradoxie der Musikindustrie im Zeitalter der Nostalgie vor Augen führen wird, läuft ein großer Affe, begleitet von einem Kamerateam durch die Barclays Arena in Hamburg. Da die einstmals populäre Kiss-Cam diesen Sommer, Coldplay sei Dank, in Verruf geraten ist, hat man sich hier entschieden, lieber ihren shady little brother mitzubringen, die Butt-Cam.
Der Mann im Gorilla-Kostüm animiert die Menschen in der Arena nun also, ihren Hintern in die Kamera zu halten. „Nice!“ oder „Show us what u got!“, kommentiert eine Stimme über Lautsprecher die Bilder. Das könnte man als Warm-up-Show einer Band verstehen, die neben einem sozialkritischen Fokus auch immer schon ihrer Infantilität einen gewissen Raum zugestanden hat.
Oder man stellt einfach fest, dass das hier alles mit Punk nicht mehr so viel zu tun hat, wie es eigentlich mit Punk zu tun haben sollte. Ein Offspring-Konzert im Jahr 2025 ist ein großes Jahrmarkt-Erlebnis, es gibt Konfetti-Kanonen, Funken-Fontänen und fliegende Girlanden. Außerdem: riesige Bälle, die ins Publikum geworfen und überdimensionale Skelette, die aufgeblasen werden. Ja, es gibt viele Ist-das-hier-noch-Punk?-Momente, aber nein: They don’t give a fuck.
Denn das ist nur die äußere Hülle, die da geboten wird. Als die Band um 20.55 Uhr die Bühne betritt, räumen The Offspring musikalisch glücklicherweise alle Zweifel ab und bleiben bei dem, was sie am besten können, nämlich Punkrock kalifornischer Spielart, an der es keine Zweifel gibt.
Ein Punkrock-Konzert im Gewand einer Heavy-Metal-Show
Den Auftakt bildet ein kompromissloses Triptychon aus „Come Out And Play“, „All I Want“ und „Want You Bad“. Der Ton ist gesetzt, die gesamte Show über bleibt supercharged, das Energielevel hoch, der Moshpit in ständiger Bewegung und die Band pointiert. Mit „Gone Away“ präsentieren The Offspring das beste Live-Re-Arrangement eines Songs, dass sie in ihrer Karriere hingelegt haben, die Crowdpleaser („Pretty Fly for a White Guy“, „Self Esteem“) werden grandios inszeniert und zu Highlights einer Show, der es an Highlights nicht mangelt.
The Offspring servieren ein Punkrock-Konzert im Gewand einer Heavy Metal-Show. Und auch das macht noch einmal die Paradoxie an diesem Abend deutlich.
Die Band feierte 1994 ihren Durchbruch. Mit „Smash“ verwandelten sie Punk von einer Sub- zu einer Jugendkultur, verankerten ihn fest im kommerziellen Mainstream und stellten die Weichen für die Punk-Explosion der 1990er-Jahre, die sie gemeinsam mit Green Day entzündeten und somit eine ganz neue Generation prägten.
In den späten 1990er-Jahren schafften sie es, ihren Erfolg noch einmal zu toppen. Mit „Americana“ schufen sie ein sozialkritisches Manifest über eine entgleiste Konsumgesellschaft und den zynischen Abgesang auf genau die Jugendkultur, die sie wenige Jahre zuvor noch begründet hatten. Anfang der Nullerjahre hatte die Band ihren kommerziellen Höhepunkt erreicht.
Danach veröffentlichten sie weiterhin Alben, die zwar noch ihre Momente hatten, aber weder kommerziell noch kulturell eine größere Rolle spielten, The Offspring deklinierten die bekannten Themen immer wieder durch, ohne sich im Kern neu zu erfinden. Das spiegelt sich auch in der Setlist wider, die fast alles, was nach „Americana“ kam, wenn auch nicht völlig ignoriert, aber doch im besten Falle nur streift.
Umso erstaunlicher, dass sie jetzt, im Jahr 2025 weltweit die größten Konzerte ihrer Karriere spielen. The Offspring erleben gerade ihren dritten Frühling. Sie sind die größten Profiteure einer neuen Nostalgie-Kultur, die in einer komplexen, unübersichtlichen Gegenwart die vermeintliche Simplizität der Musik der Jahrtausendwende wiederentdeckt. Und The Offspring? Sie bedienen die Nachfrage konsequent. Sie spielen in Hamburg kein Konzert, sie geben eine Party. Und wahrscheinlich war das eine der besten Partys, die man in diesem Jahr gefeiert hat.
Zum Ausklang verlässt die Band die Bühne, vom Band wird „Sweet Caroline“ gespielt, und das Publikum grölt und tanzt einfach weiter. They don’t give a fuck. Wie viel Punk das dann doch schon wieder ist.
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