In dieser Woche ist in Baden-Württemberg eine CDU-Politikerin von ihrer Vergangenheit eingeholt worden. Um zu verstehen, was Susanne Wetterich, der Vorsitzenden der Frauen-Union im Südwesten, passiert ist, muss man tief in die westdeutsche Geistesgeschichte politischer Verirrungen eintauchen. Zu den vielen sogenannten K-Gruppen, in die der BRD-Kommunismus nach 1968 zersplittert war – die „Volksfront von Judäa“ und die „Judäische Volksfront“ sind nichts dagegen –, gehörten bekanntlich auch solche, die den Massenmörder Mao für einen Menschheitsbeglücker hielten.

Früher „Maoist“ gewesen zu sein, ist kein politisches Todesurteil. Man befindet sich damit unter Konservativen und erst recht auf der äußersten Rechten in guter Gesellschaft. Nicht von Moskau instruiert zu sein, sondern Ideen von Peking zu empfangen, galt in den 1970er-Jahren als linker Patriotismus. Wenn dann nur noch der Patriotismus und der Extremismus übrig bleiben, endet man wie Horst Mahler auf der anderen Seite des politischen Spektrums.

So weit ist Susanne Wetterich nicht gegangen. Sie ist eigentlich das Musterbeispiel der geglückten Integration einer Frau, die in ihrer Jugend radikalen Ideen anhing und dann ins Bürgertum zurückgekehrt ist. Trotzdem wollte sie vor Gericht verhindern, dass über ihre Vergangenheit als junge Kommunistin berichtet wird. Bei der Verhandlung, von der die „Taz“ süffisant berichtete, legte sie eine eidesstattliche Versicherung vor, sie sei „zu keinem Zeitpunkt“ Mitglied einer maoistischen Partei gewesen. Richtig sei allein, dass sie damals die „Ansichten konkret der KPD“ teilte, an Veranstaltungen und Demonstrationen teilgenommen habe „sowie Flugblätter verteilte“. Als sie merkte, dass sie keine einstweilige Verfügung würde erreichen können, zog Wetterich ihr Ansinnen zurück.

Die Stuttgarter CDU, die sich in dieser Woche mit dem Fall Wetterich beschäftigte, sprach ihr mit großer Mehrheit das Vertrauen aus. In der Berichterstattung und auch in der Verhandlung kam der Name Pol Pot ins Spiel. Ein Zeuge meinte sich zu erinnern, dass Wetterich für die Roten Khmer und den Diktator Pol Pot Geld habe sammeln wollen. Unter dessen Herrschaft als „Bruder Nr. 1“ wurden mehr als zwei Millionen Kambodschaner ermordet – ein Viertel der Bevölkerung. Das Grauen der „Killing Fields“ übte auf manche eine dunkle Faszination aus.

Um das zu verstehen, muss man ein Lied hören, das in den uncoolen KPD-Kreisen damals bestimmt niemand gehört hat, das aber den allgemeinen Geist der Zeit illustriert: „Holiday in Cambodia“, ein Klassiker der zweiten Punkwelle, von der kalifornischen Band Dead Kennedys. In dem hymnischen Song, der heute noch auf Oldie-Partys gespielt wird, geht es um Studenten aus der verhassten Mittelklasse. Ihnen wird empfohlen, „Ferien in Kambodscha“ zu machen, um dort für eine Schüssel Reis am Tag als Sklave zu schuften, bis ihr Kopf auf einer Stange steckt. Irgendwann singt Jello Biafra, der Sänger: „Pol Pot, Pol Pot, Pol Pot“. Fünf Jahre zuvor hatten die ersten Punks in London Hakenkreuzarmbinden getragen. Jetzt rief man einen anderen Massenmörder an.

Das war die popkulturelle Variante des Vernichtungsmaoismus – ganz ohne Studium jedweder marxistischer Theorie. Es ging dabei niemals um den konkreten Pol Pot, sondern der Name war nur eine Chiffre für die Wut verblendeter junger Leute auf eine Gesellschaft, die nicht sofort und vollständig ihre adoleszenten Utopien verwirklichen konnte. Über das reale Kambodscha wussten die Flugblattverteiler und die Punks beide so wenig wie heute die Palituch-Träger über „Palestine“. Schön, dass manche von ihnen zurückgefunden haben – bis in die Frauen-Union.

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