Analoger wäre nur eine Wachstafel gewesen. Was da, ein paar Monate nach dem Berliner Tunix-Kongress Anfang 1978, der angesichts des Zerfalls der Studentenbewegung in zig Politsekten den „undogmatischen“ Aufbruch von links markieren wollte, als „Spielnummer“ der „Tageszeitung“ das Licht der Gegenöffentlichkeit erblickte, war teils handgeschrieben. Die Filzstift-Schlagzeilen auf Seite eins prangten über Blöcken von Schreibmaschinenschrift. Etwa: „Wie bespitzelt das Arbeitsamt?“ Diskutiert worden war eine alternative Zeitung schon im Januar im Audimax der Technischen Universität mit Hans-Christian Ströbele und Günter Wallraff. Einen Verein der „Freunde der alternativen ‚Tageszeitung‘“ gab es da in der geteilten Mauerstadt auch bereits.
Gedruckt erschien die „taz“ zum ersten Mal im September 1978. Darin: der kolumbianische Schriftsteller Gabriel García Márquez über die Sandinisten. Dass dessen „Chronik eines angekündigten Todes“ fünf Jahre später in „Vanity Fair“, dem Flaggschiff der hedonistischen, kapitalismusbejahenden 1980er-Jahre, auf 102 Seiten erschien, ist eine Kuriosität jener Medienjahre.
Print ist geduldig, „taz“-Leser Ende der 70er waren es auch: Die 16 Seiten der „Nullnummer“ waren auf den 22. September 1978 datiert, sie erschienen erst fünf Tage später. Auf der ersten täglichen Ausgabe im April 1979 sah man einen Clown mit einem Pflasterstein. Aufschrift: „taz“. Darunter stand, seit der „Bild“-Zeitung 1952 habe es keine überregionale, parteiunabhängige Tageszeitungsgründung in Deutschland mehr gegeben.
Legendär später die Fehde, die man sich, nur einen Steinwurf entfernt vom Kreuzberger Springer-Hochhaus, mit „Bild“-Chefredakteur Kai Diekmann lieferte. Steine flogen dabei nicht. Diekmann, dessen nicht gerade züchtiges Bildnis bald das Hauptquartier der „taz“ schmückte, wurde 2009 Mitglied ihrer Genossenschaft. Zu einem Jubiläum ätzte er liebevoll: „Sie verkaufen zu wenige Zeitungen.“
Bis vor Kurzem hat es gereicht. Doch es gab schon lange Gerüchte, dass die Werktagsausgabe bald nicht mehr auf Papier erscheinen würde. 2024 wurden sie bestätigt. Nach dem 17. Oktober 2025 ist Schluss mit dieser Print-„taz“ (die Wochenzeitung, 2022 lanciert, erscheint weiter gedruckt). Wehmütig wirkte neulich die Satireseite „Die Wahrheit“. Sie erschien handgeschrieben, Reminiszenz an 1978. Doch die „taz“ bleibt Avantgarde. Sie wird die erste rein digitale überregionale deutsche Tageszeitung. Es gibt eine neue App. Darin findet sich ein E-Paper, das der dann nicht mehr gedruckten Tageszeitung in Anmutung und Inhalt entsprechen soll. Eine weitere App soll hinzukommen, hört man – kein E-Paper, sondern in Form und Inhalt der heutigen Website ähnelnd.
Eine Paywall für die Artikel dort sei erst mal nicht geplant. Das freiwillige Bezahlmodell „taz zahl ich“ sowie die Einkünfte aus Abonnements, so heißt es in der Redaktion, reichten für die Finanzierung. Die neue Abosoftware heißt übrigens „Paradise“. Wohl für betagtere Linksalternative, die den Tunix-Kongress oder den Song „Schritt für Schritt ins Paradies“ der Sponti-Band Ton Steine Scherben noch live erlebt haben, gibt’s aber noch etwas ganz Analoges: Jeden Mittwoch lädt man zur „Seitenwende-Sprechstunde“ in die Kreuzberger Redaktion ein. Anmelden dafür müssen sich Interessierte digital.
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