Immerhin einer, von dem die meisten bisherigen Büchern ins Deutsche übersetzt sind und das in großen Verlagen wie Rowohlt, Amann und Fischer. Der neue Literaturnobelpreisträger László Krasznahorkai ist seit 45 Jahren im hiesigen Literaturbetrieb zwar nicht das, was man auf Englisch einen „household name“ nennt, aber doch konstant präsent.

Das liegt nicht nur an seinen Romanen, sondern auch an seiner Zusammenarbeit als Drehbuchautor mit dem Regisseur Bela Tarr, dem manischsten Cineasten der Gegenwart. Gemeinsam verantworten sie den Film „Satanstango“, der auf einem frühen Roman Krasznahorkais beruht, und das „Turiner Pferd“, mit dem sie 2011 den Silbernen Bären der Berlinale gewannen. Nicht zuletzt aber ist Krasznahorkai auch deshalb in und mit Deutschland wohlbekannt, weil er immer mal wieder in Berlin lebte, seit er die Stadt Ende der 1980er-Jahre als DAAD-Stipendiat kennenlernte.

Ein relativ kleines Land wie Ungarn, das zwei Ausnahmekünstler wie Tarr und Krasznahorkai geschenkt bekommen hat, kann sich als gesegnet begreifen – erst recht, wenn sie dann auch noch von ähnlichen künstlerischen Ideen zu atemberaubenden gemeinsamen Projekten getrieben werden. Tarr gilt als Meister der langen Filmeinstellungen („Satanstango“ ist mit 450 Minuten einer der längsten Film der Kinogeschichte) und Krasznahorkai schreibt die wohl längsten syntaktischen Konstruktionen der Weltliteratur.

Als er 2015 den Man Booker International Prize bekam, wurde er von der Jury gefeiert für seine „außergewöhnlichen Sätze, Sätze von unglaublicher Länge, die unglaubliche Wege gehen, deren Ton zwischen feierlich, verrückt, fragend und trostlos wechselt, während sie ihren eigensinnigen Weg verfolgen.“ Krasznahorkais Roman „Herscht 07769“ erzählt tatsächlich in einem einzigen langen Satz über etwa 400 Seiten vom Geschehen in der thüringischen Kleinstadt Kana (deren Vorbild Kahla ist).

Eine weitere Gemeinsamkeit: Tarrs Filme sind in schwarz-weiß und auch von Krasznahorkais Romanen kann man sagen, dass sie in schwarz-weiß geschrieben sind. Susan Sontag feierte ihn schon vor Jahren als „den zeitgenössischen ungarischen Meister der Apokalypse, der zu Vergleichen mit Gogol und Melville anregt“. W. G. Sebald schrieb, dass „die Universalität von Krasznahorkais Vision derjenigen von Gogols Tote Seelen ebenbürtig ist und weit über alle geringeren Belange zeitgenössischen Schreibens hinausgeht.“

Die Nobelpreisjury lobt jetzt seinen „künstlerischen Blick, der völlig frei von Illusion ist, der die Zerbrechlichkeit der gesellschaftlichen Ordnung durchschaut und zugleich ein unerschütterliches Vertrauen in die Macht der Kunst zeigt.“ Krasznahorkai sei „ein großer epischer Schriftsteller“, der in einer mitteleuropäischen Tradition stehe, die sich von Franz Kafka bis Thomas Bernhard erstrecke „und durch das Absurde und groteske Übertreibungen gekennzeichnet ist.“

Der 71 Jahre alte Krasznahorkai hat schon zahlreiche Auszeichnungen erhalten, außer dem Man Booker waren das 2019 in den USA der National Book Award for Translated Literature für „Baron Wenckheims Heimkehr“ und 2021 der Österreichische Staatspreis für Europäische Literatur. Nun ist er der zweite Ungar nach Imre Kertész (2002), der den wichtigsten Literaturpreis der Welt bekommt. Dieser ist mit elf Millionen schwedischen Kronen (rund einer Million Euro) dotiert. Die Auszeichnungen werden am 10. Dezember vergeben, dem Todestag von Preisstifter Alfred Nobel.

In seinem Heimatland gilt Krasznahorkai schon länger als der bedeutendste ungarische Autor der Gegenwart. Nach einem zweiten längeren Berliner Aufenthalt als S.-Fischer-Gastprofessor der Freien Universität lebt er nun wieder zurückgezogen in den Hügeln in der Nähe des 900-Einwohner-Dorfes Pilisszentlászló, nördlich von Budapest.

Das Licht aus dem Osten

Der am 5. Januar 1954 in Gyula im Südosten Ungarns geborene Autor ist dennoch alles andere als ein ausschließlich der nationalen Scholle verhafteter Seher des klischeehaft osteuropäischen Typus. Nachdem er sich zum ersten Mal aus Berlin verabschiedet hatte, lebte er einige Zeit in China, der Mongolei und im japanischen Kyōto, wo sein Roman „Im Norden ein Berg, im Süden ein See, im Westen Wege, im Osten ein Fluss“ spielt. In New York teilte er sich mit Allen Ginsberg eine Wohnung und ließ sich von ihm bei der Abfassung seines Romans „Krieg und Krieg“ beraten. Das Buch spielt zum Teil in New York. Was die beiden verband, war gewiss auch ein kompliziertes Verhältnis zu ihrer jüdischen Herkunft: Krasznahorkais Vater hatte diesen Teil der Familiengeschichte vor seinem Sohn verborgen, bis dieser elf Jahre alt wurde.

Nach seinen Aufenthalten in Asien bewirkten die Ästhetik und Literaturtheorie des Fernen Ostens bedeutende Veränderungen in Krasznahorkais Stil und Themen. Seine jüngeren Bücher gelten als „heller“. Sein neuester Roman „Zsömle Odavan“ hat einen fast schon humoristischen, auf jeden Fall satirischen Ton. Darin geht es um den 91 Jahre alten Józsi Kada. Der pensionierte Elektriker ist ein Nachkomme von Béla IV. und Dschingis Khan und könnte als Joseph I. von Árpád Anspruch auf den ungarischen Thron erheben. Er selbst möchte diese hohe Abkunft verbergen, doch seine begeisterten Jünger, darunter ein Monarchist und ein Möchtegernterrorist, wollen mit ihm das Königtum wieder einführen.

Das Buch aus dem Jahre 2024 ist bisher noch in keine andere Sprache übersetzt. Nach dem Nobelpreis wird es jetzt wohl ein Wettrennen geben, welches Land außerhalb Ungarns diesen Roman zuerst lesen darf.

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