Dreißig Jahre ist es her, dass Katlijne Van der Stighelen in die Studiensammlung des Kunsthistorischen Museums in Wien (KHM) ging und dort ein großformatiges Historienbild in Augenschein nahm. Es galt als Werk der flämischen Malerin Michaelina Wautier – aber konnte es sein, dass eine Frau um das Jahr 1659 den „Triumph des Bacchus“ gemalt hatte, mit zahlreichen männlichen Halbakten? Solche zu studieren – also zu zeichnen –, dazu hätte eine Frau im Barock gar nicht die Möglichkeit gehabt. Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde eine weibliche Autorschaft des Gemäldes rundheraus ausgeschlossen.
Das war der Stand, als die Historikerin Van der Stighelen daran ging, das Œuvre dieser Malerin zu rekonstruieren; erste Ausstellungen folgten. Jetzt aber ist es das KHM, das Michaelina Wautier groß herausstellt, mit der umfangreichsten Retrospektive, die ihr je zuteilwurde. Noch in jüngster Zeit wurden Bilder von ihrer Hand wiederentdeckt und konnten in die Wiener Übersicht eingefügt werden.
Der „Triumph des Bacchus“, 271 mal 355 Zentimeter groß, hängt gleich gegenüber dem Eingang zu den Sonderausstellungsräumen des Museums und wird nach der an die Royal Academy in London weiterwandernden Ausstellung in die Dauerpräsentation des KHM zurückfinden. Es ist das größte Format, das von Wautier bekannt ist und auch das einzige mit einem mythologischen Sujet. Es muss eine Auftragsarbeit gewesen sein, für keinen Geringeren als Erzherzog Leopold Wilhelm, der ab 1646 als Statthalter der Spanischen, mithin habsburgischen Niederlande in Brüssel amtierte.
Ein Jahrzehnt später nahm er seine in dieser kurzen Zeitspanne aufgebaute Sammlung vorwiegend flämischer Malerei bei seiner Rückkehr mit nach Wien. Sie wurde einer der Grundpfeiler des heutigen KHM. Leopold Wilhelm scherte sich nicht um Konventionen, er kaufte rein nach Qualität, und nur so konnte Michaelina Wautier, die nicht die den Vorschriften entsprechend für Aufträge verpflichtende Mitgliedschaft in der Malergilde aufwies, überhaupt tätig werden.
Mitglied der Gilde war hingegen ihr jüngerer Bruder Charles, mit dem die zeitlebens unverheiratete Wautier gemeinsam in einem Haus in Brüssel lebte, bis zu ihrem Tod 1689. Auch der war Maler, doch teilten die Geschwister kein Atelier. Frühere Vermutungen, Charles habe an Michaelinas Bildern mitgewirkt, sind ohne Beleg und werden mittlerweile angesichts des Qualitätsgefälles ausgeschlossen. Auch vom Bruder zeigt die Ausstellung einige Gemälde.
Die Breite und Qualität von Wautiers Sujets frappiert
Über Kindheit und Ausbildung der um 1614 im wallonischen Mons geborenen Michaelina Wautier ist nichts bekannt. Nicht einmal ihr Geburtsjahr steht fest, da ein Eintrag bei der zuständigen Kirchengemeinde fehlt. Sie hatte, wie damals üblich, mehrere Geschwister und Halbgeschwister, und eine Verwechslung mit der Schwester namens Magdalena lag nahe. Michaelina jedenfalls, wie sie sich stolz und selbstbewusst in der latinisierten Form ihres ursprünglichen Namens Michelle nannte, tritt uns Heutigen als fertige Malerin entgegen, wunderbar in ihrem Selbstporträt von 1650, das sie mit allen Attributen ihres Berufes und ebenso allen Nachweisen ihres künstlerischen Vermögens versehen hat.
Es hängt in Wien in Sichtweite ihres „Bacchus“, und über Eck hat Kuratorin Gerlinde Gruber ein Selbstbildnis von Peter Paul Rubens platziert, an dem der Unterschied hervorsticht: Michaelina gibt sich als Malerin zu verstehen, während Rubens seinen sozialen Status als Aufsteiger zu Ruhm und Wohlstand betont.
Bildnisse hat Wautier zahlreich gemalt. Sie bildeten naturgemäß die Basis ihres Einkommens. Was aber frappiert, ist die Breite ihrer Sujets. Keine zweite Malerin des Barock hat sich gleichermaßen – und noch dazu in gleichbleibender Qualität – in den verschiedenen Gattungen der Malerei betätigt, von der mythologischen über die biblische Historienmalerei zu Porträts, zu Genreszenen bis hin zu Stillleben.
So malte sie zwei Blumengirlanden, wobei sie als Vorlage wohl auf einen römischen Altar zurückgegriffen hat. Den mag sie in Rom gesehen haben, sollte sie dorthin gereist sein, was nicht belegt ist; oder aber durch einen Stich, wie sie in kulturell ambitionierten Kreisen zirkulierten. Dass die Kuratoren der Wiener Ausstellung das römische Original aus dem Archäologischen Nationalmuseum in Neapel entliehen haben, unterstreicht den Rang, den das KHM der Ausstellung und damit der Malerin zumisst.
Mit 29 Gemälden ist der Großteil des bekannten und sicher zugeschriebenen Werkes versammelt. Erst im Jahr 2020 sind die fünf zauberhaften Allegorien der fünf Sinne hinzugekommen, nachdem sie auf einer Auktion erworben wurden. Wautier hat die Sinne fünf Jungen zugeordnet, die nun das Fühlen anhand einer schmerzlichen Verletzung des Fingers demonstrieren, den Geruchssinn anhand eines faulen Hühnereis oder das Schmecken anhand eines herzhaften Butterbrots. Fünf Gemälde, die den flämischen Realismus aufs Schönste bezeugen.
In der religiösen Historienmalerei hat Michaelina Wautier gleichfalls brilliert und 1656 mit dem Gemälde „Die Erziehung Mariens“ ein selten gewähltes Thema gemeistert. „Selten“ bedeutet zugleich, dass sie keine Vorbilder nachahmen konnte und wollte, vielmehr ihre eigene Erfindungsgabe herausstellte. So signierte sie das Bild mit Namen und den ungebräuchlichen Worten „invenit et fecit“, „hat es erfunden und gemacht“, um darauf hinzuweisen, dass die Komposition ihre ganz eigene Leistung ist. Ihr Selbstbewusstsein unterstreicht, dass sie sich im „Triumph des Bacchus“ selbst dargestellt hat, als eine der Mänaden – doch am Geschehen unbeteiligt und die einzige Figur, die den Betrachter anschaut.
Wie es geschehen konnte, dass eine derart ausgewiesene Künstlerin in Vergessenheit geriet, gehört zu den dunklen Stellen der Kunstgeschichte. Denn, wie an ihrer prominenten Vertretung in der Sammlung Leopold Wilhelms ersichtlich, war sie alles andere als eine Randfigur. Sicher spielt der Mangel an Dokumenten zu ihrem Leben eine Rolle wie der an zeitgenössischen Äußerungen über ihre Malerei.
Was die jetzige Wiederentdeckung oder besser Wiederbewusstmachung so beglückend macht, ist der Umstand, dass da keine Gender-Proporz-Gerechtigkeit geübt, sondern eine Könnerin aus ganz eigenem Recht herausgestellt wird. Zu hoffen ist, dass weitere Werke von ihrer Hand ans Licht kommen und ebenso, dass ihre Biografie vervollständigt werden kann. Denn noch ist ungeklärt, warum sie nach 1660 die Malerei aufgegeben hat, drei Jahrzehnte vor ihrem Tod. Vielleicht ist auch das nicht das letzte Wort.
„Michaelina Wautier. Malerin“, bis 22. Februar 2026, Kunsthistorisches Museum, Wien
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