Vielleicht stellen wir erstmal das imaginäre Sexismus-Schweinderl auf. Das haben der Ulf, der Andi, der Cem und der Erik in der neuen Netflix-Serie „Alphamännchen“ erfunden. Jedesmal, wenn einem der vier besten Freunde um die Vierzig ein sexistischer Ausdruck entfährt, muss er in Gedanken fünf Euro reinwerfen.
Moritz Führmann ist der Andi in „Alphamännchen“. Und im Leben wie als Andi ist er eher weniger alphahaft. Aber man weiß ja nie. Wir müssen reden übers Mannsein und das Sohnsein und das Vatersein. Da kann einiges schiefgehen. Könnte teuer werden. Wird es aber nicht.
Wir sitzen in einer Ecke des Berliner Ritz Carlton, das in früheren Zeiten vielleicht ein zigarrenrauchschweres Zentrum männlicher Macht hätte sein können. Im Curtain Club. Lederfauteuils. Man sitzt tief. Die Sonne scheint sanft vom Tiergarten her.
Führmann war glücklich mit dem Andi. Der arbeitet beim Ordnungsamt und verliert allmählich die Ordnung im Leben. Irgendwie klappt das im Bett nicht mehr mit seiner Frau nach zwanzig Jahren Ehe. Das Testosteron hat ihn verlassen wie seine Haare auf dem Kopf. Zwei Kinder haben sie.
Das Intimste, was wir gemeinsam machen, sagt Silke, ist die Steuererklärung. Die Einführung eines Dildos ins Sexleben funktioniert auch nicht. Silke findet einen Fitness-Trainer. Andi irrt herum in seiner Rolle, in seiner Männlichkeit. Er braucht lang, bis er es merkt. Das geht seinen Kumpels ähnlich. Sie geben nicht auf. Sie strampeln sich durch die Krise. „Alphamännchen“ ist ein Entwicklungsroman in acht Etappen. Aber dazu später mehr.
Andi ist eine Figur wie vielleicht nur Führmann sie kann. Einer der virtuos auf dem Rand zur Loserhaftigkeit tanzt und durch die Niederungen der Weiße-Männer-Haftigkeit. Nebenfiguren sind das häufig. Vermeintliche. Wenn Führmann sie spielt, verblassen gern alles, neben denen er spielt. Er braucht dafür selten lange. Er steht da, am Rand, schaut ein bisschen, macht zwei, drei Gesten. Dann hat man den Kerl, der Moritz Führmann da ist, doch sehr lieb. Egal, was der dann tut.
Nach einem spanischen Netflix-Original
Moritz Führmann will sie verteidigen, will sie groß machen. Und sucht, damit er und wir andocken kann, nach dem Humor im Innern seiner Andis und Heiners und Peters, damit, wer ihn (oder Andi oder Heiner oder Peter) dann sieht, schmunzeln kann über ihre Unfertigkeit. Die sanfte Selbstironie, die noch in der finstersten Führmann-Rolle mitschwingt, bringt sie zum Leben, geht aber nie soweit, dass Andi oder Heiner oder Peter bloßgestellt, desavouiert wird.
Der Andi hat übrigens einen älteren spanischen Bruder. „Alphamännchen“ ist eines der typischen Netflix-Franchise-Unternehmen. „Alfa macho“ hieß der Mehrteiler in Spanien. Einen italienischen Ableger gibt es auch. Führmann mochte an der deutschen Version vor allem, dass die Frauenfiguren schärfer konturiert sind. Sie sind das starke Geschlecht. Sie wissen, was sie wollen. Treiben die Kerle vor sich her und aus ihrer Komfortzone, die längst nicht mehr so komfortabel ist, wie sie es glauben.
Jeder vertritt einen kriselnde Männertyp. Der Ulf (Tom Beck), der Karrierist, Chef eines Männermagazinverlags, wird durch eine Vanessa ersetzt und seine Frau verdient jetzt überwiegend die Kohle. Eric (David Rott), der Schürzenjäger, kommt nicht damit zurecht, dass die Frau, die er endlich heiraten will, sich eine sexuell offene Beziehung wünscht. Cem (Serkan Kaya), der Therapeut ist und selbst einen braucht, wird von Ex-Frau und 16-jähriger Tochter als „gottloser Lappen“ bezeichnet, die Tochter richtet ihm ein Tinder-Profil ein und gibt ihm zum ersten Date auf den Weg, er solle nichts tun, was sie nicht auch tun würde. Und dann ist da halt der Andi, die Herzkammer dieser bissfesten Komödie.
Die vier werden durchs Fegefeuer des gegenwärtigen Geschlechterdiskurses getrieben, absolvieren – was letztlich ist, was „Alphamännchen“ (geschrieben von einem Writers Room der vollkommenen Geschlechterparität) ist – eine Selbsthilfegruppe zur Dekonstruktion der Männlichkeit.
Das wird nie didaktisch, nie essayistisch erdenschwer, lässt völlig zotenfrei nichts aus, ist angemessen böse, wahnsinnig lustig und wahnsinnig wahr. Führmann mochte an dem Andi vor allem das Familientierhafte, die Art, wie er mit seinen Kindern umgeht, wie er versucht im Logistikzentrum Familie bis zum Absterben der Libido alles unter einen Hut zu kriegen, allem gerecht zu werden, auch dem, was gar nicht von ihm verlangt ist.
Dass ihn die Krise einholt hat, merkt er wie das gesamte Kleeblatt erst, als sie ihn an der Gurgel hat. Für die Erkenntnis, dass Krise, so Moritz Führmann, zumindest in der griechischen Tragödie genau der Moment der Umkehr ist, der Kipppunkt ins Positive, brauchen sie ziemlich lang. Was ein ausgesprochenes Glück ist. Jedenfalls als „Alphamännchen“-Gucker.
Er selbst, sagt Führmann, ist noch in einer Zeit groß geworden, in der es nicht soviel und so diverse Vorbilder, Role Models gab. Sein Vater war sicher eins. Der war Wirtschaftler und sehr präsent im Alltag. Ein Spielepapa, sagt Führmann, den haben immer alle gemocht, weil sie wussten, der macht was.
Das Schlimmste, dass er ihm angetan hat (er ist ein Schwabe aus Heidenheim) war, dass er Moritz – 1978 geboren in Kassel, aufgewachsen in einer nordhessischen Kleinstadt, die warb mit dem Slogan „Die junge Stadt mit Tradition“ und wo er immer noch sehr gern ist – in Bettwäsche vom VfB Stuttgart gesteckt hat. Fritzle, das Krokodil und Maskottchen vom VfB, ist er noch immer nicht losgeworden. Das Beste war vielleicht, dass er Moritz ein Video gezeigt hat von einem seiner Basketballspiele. Danach hat er doch Abstand genommen von der Profisportkarriere. Hat drei Semester Jura in Passau studiert, bis er merkte, dass das nichts mit ihm zu tun hat.
Er wollte doch Ariel sein
Das mit der Schauspielerei hat eine längere Vorgeschichte. Er war fünf, da hat ihn sein Vater in ein fast leeres Theater mitgenommen, wo es Shakespeares „Sturm“ gab. Das haben sie dann mal nachgespielt und Moritz war sauer, weil er Prospero sein musste, wo er doch Ariel sein wollte.
Dass er dafür taugen würde, hat er sich schon gedacht, aber dann ist die Lise, die beste im darstellenden Spiel am Goethe-Gymnasium, es nicht auf eine Schauspielschule geschafft hat. Er schaffte es nach dem Jura-Umweg schon. In Leipzig. War ein bisschen knapp, klappte aber, den Cyrano de Bergerac, den er da vorgespielt hatte, wollten sie aber nie wieder sehen.
Dann war er in Potsdam, dann kam er nach Düsseldorf (weil sie da wegen der furchtbaren Akustik einen jungen Mann brauchten, der laut war). Da stand er dann das erste Mal mit Anna Schudt, deren Staatsanwalt er später wurde, als sie „Tatort“-Kommissarin in Dortmund war – auf der Bühne, bei „Anna Karenina“ war das. Und seitdem sind sie zusammen.
Zwei Söhne – zwölf und vierzehn Jahre alt – haben sie zusammen. Schudts älterer Sohn ist 27 und, sagt Führmann, glücklicher Musiklehrer. Und ein bisschen beneidet er sich schon. Natürlich sei das Mannwerden komplizierter geworden (und genauso kompliziert wie das Frauwerden). Vielleicht auch anstrengender. Aber was man als Mann werden kann, ist, sagt er, eben auch vielfältiger, freier.
„Ich bin ich froh für meine Kinder, dass sie sich an so vielem und vielen orientieren können. Wir sind ja nur in so eine Richtung gelaufen.“ Und weil es soviele Wege gibt, das findet Führmann großartig, muss man sehr viel genauer reden, muss man ins Gespräch kommen, sich verabreden, verständigen. Zwischen den Geschlechtern. Und innerhalb der Geschlechter.
In seinem Beruf, den er genau deswegen so liegt, sagt Führmann, „bin ich ja gewohnt über Rollen zu reden. Über Eigenwahrnehmung und Fremdwahrnehmung. Und so immer wieder Neues an sich kennenlernen zu dürfen.“ Insofern ist Schauspielerei schon ein Spiegel, zeigt in einer Nussschale die gesellschaftliche Kommunikation und den Umgang mit Identitäten. Und Laboratorium gegen Verhärtung. „Es muss doch bei jeder Produktion neu geklärt werden: Was empfinde ich gerade, wie funktioniert hier die Kommunikation? Alle sechs Wochen fängt man mit vierzig, fünfzig neuen Menschen an, extrem nah zu arbeiten und irgendwie einen Weg zueinander zu finden.“
Er selbst, sagt er, hat „zum Glück ein paar Freunde, mit denen ein sehr tiefes Gespräch möglich ist. Und ich habe das Gefühl, dass es eine große Sehnsucht danach gibt.“ Deshalb ist er überzeugt, dass „der Feminismus ein Geschenk ist. Nicht nur für die Frauen, sondern auch für die Männer. Weil wir nachdenken müssen, was wir sein wollen und wie. Und was passiert, wenn es die (falschen) Selbstverständlichkeiten nicht mehr gibt, mit denen wir möglicherweise aufgewachsen sind.“
Dinge, bei denen man sich, wenn man sie sieht in alten und gar nicht mal so alten Filmen „einfach nur an den Kopf fasst, was man früher gemacht hat und witzig fand“. Und dann sitzt man da, „Forrest Gump“ hat Führmann vor nicht allzu langer Zeit geschaut mit seinen Söhnen, damit mal was andres als Spongebob gucken, und man fasst es nicht. Was da so alles an niedrigschwelligem Sexismus durchläuft, ohne dass einem damals auffiel, was einem jetzt sofort auffällt nach dem Grundkurs in Dekonstruktion der Männlichkeit, den jeder Mann – mehr oder weniger bewusst, mit durchaus variablen Folgen – absolviert hat in den vergangenen Jahren.
„Man muss drüber reden“
Es hilft aber auch nichts Filme mit dem Aufkleber „Toxischer Scheiß“ in den Giftschrank zu stellen und dem Vergessen anheim zu geben. Man muss drüber reden. Muss wissen, wo wir herkommen. Das Gefühl des Verlusts von Selbstverständlichkeiten, sagt Führmann, muss in ein Gespräch münden. Das gilt nicht nur für die Geschlechterrollen, das gilt inzwischen für alle „Werte, die wir für selbstverständlich gehalten haben. Dass die Würde des Menschen unantastbar ist zum Beispiel. Das waren wir nie gezwungen, argumentativ zu verteidigen. Und jetzt wissen wir, wenn einer Nein dazu sagt, nicht, was wir sagen sollen.“
Serien sind sicherlich keine moralischen Anstalten. Und Komödien erst recht. Dass sich viele „Alphamännchen“ anschauen und hinterher darüber reden, wünscht sich Moritz Führmann nicht nur im eigenen und im Streamerinteresse. „Es ist das, worüber wir uns jetzt definitiv austauschen müssen.“
Sagts und sucht das Weite und neue Identitäten, neue Moritz-Führmann-Rollen. Er ist einer der fleißigsten deutschen Schauspieler. „Vogelfrei“, ein mystischer ZDF-Zweiteiler aus dem Schwarzwald steht in der ZDF-Mediathek und läuft am 6. Oktober im linearen Fernsehen. Am 2. Oktober läuft auf RTL+ die Serie „Euphorie“, die Geschichte einer 16-jährigen nach einem Suizidversuch. „Block 10“ über die Medizinversuche an jüdischen Frauen in Auschwitz wird von Marcus O. Rosenmüller nach einem Drehbuch von Alice Brauner gedreht. Hörbücher liest er, mit Thomas Mann und Hölderlin ist er als Vorleser unterwegs.
Das Sexismus-Schweinderl sieht derweil übrigens sehr verhungert aus.
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