Seit fast zwei Jahren ist die Kneipe „Bajszel“ in Berlin-Neukölln einer Reihe von Angriffen ausgesetzt: Mal wird die Fassade mit Hamas-Dreiecken beschmiert, mal gezündelt, dann wieder werden Vorträge und Diskussionsveranstaltungen gestört oder Gäste und Mitarbeiter bedroht. Wer sich, wie die Betreiber des „Bajszel“, mit Israel-Buttons, dem Kampf gegen Antisemitismus und für die Freilassung der Geiseln schmückt, wird im heutigen Neukölln als Zionistenbar geschmäht und angriffen. Inzwischen werden auf den Neuköllner Straßen sogar Flugblätter verteilt, die dazu aufrufen, dass die mit vollem Namen und Fotos als Ziel markierten Betreiber „für immer schweigen“ sollen. Auch ohne Mafia-Filme gesehen zu haben, weiß man, was hier im Raum steht: Aufruf zum Mord.

„Make Zionists Afraid“, steht groß auf dem Flugzettel, also Zionisten in Angst versetzen. Weiter heißt es, die Betreiber „propagieren in ihrem Lokal offen die Unterstützung für den Kolonialstaat Israel, der aktuell einen Genozid an dem palästinensischen Volk in Gaza verübt“. „Wer sich während eines Völkermords auf die Seite der Täter stellt, sollte sich nirgendwo in Berlin sicher fühlen“, steht darunter. „Wir wollen, dass die drei für immer schweigen und als Warnung für alle Zionisten in Berlin und Neukölln gelten können.“ Das ist ein unverhohlener Aufruf zur exzessiven Gewalt, die abschreckende Wirkung haben soll. Und es ist – das ist das Besorgniserregende – nicht einmal unwahrscheinlich, dass das auf den Straßen von Neukölln Gehör finden könnte, wo „Zionisten“ mehr gehasst werden, als es jeder Hipster-Gentrifizierer je vermochte.

Am vergangenen Wochenende sind in Berlin Zehntausende Menschen auf die Straße gegangen, um gegen den Krieg in Gaza zu demonstrieren. So viele, wie noch nie zuvor in Deutschland, heißt es von den Veranstaltern. Von denen, die die Gewalt der israelischen Armee verurteilen, ist nun allerdings auch zu erwarten, dass sie auch die Gewaltaufrufe gegen die Betreiber einer Neuköllner Kneipe verurteilen. Und zwar egal, wie die politisch stehen (was man ja bei der Bevölkerung von Gaza ebenso einfordern würde). Wer auch immer bei der Demonstration am Wochenende war, muss sich zu diesem niederträchtigen Gewaltaufruf aus den eigenen Reihen verhalten: Linkspartei, Amnesty Internation, Medico International, die gesamte Palästinabewegung, wirklich alle. Der Anschlag von Manchester muss allen eine Warnung sein.

Ersatzobjekt „Zionisten“

Wenn jedoch unter den Genannten die Auseinandersetzung verweigert und auch unter den aus aufrechten Gründen um die Bevölkerung Gazas Besorgten stillschweigend oder achselzuckend akzeptiert wird, dass im Namen eines „freien Palästinas“ zur Hetzjagd aufgerufen wird – wie schon bei dem Journalisten Nicholas Potter –, ist das ein Offenbarungseid. In der Palästinabewegung darf man sich dann nicht wundern, dass man vom Staat wie gemeine Verbrecher behandelt wird, wenn man sich selbst so verhält oder diese unterstützt. Zudem dieser Verdacht ohnehin über allen „From the river to the sea“-Parolen hängt, die natürlich auch auf dem infamen Flugblatt nicht fehlen darf.

Wer will, dass die Waffen schweigen, darf nicht dulden, dass Menschen „für immer schweigen“ sollen. Dass in Neuköllner Kneipen wohl kaum das Völkerrecht verletzt wird oder Kriegsverbrechen begangen werden, kommt noch dazu. Wo sich aber politischer Protest Ersatzobjekte sucht („Zionisten“), an denen er seine ungehemmte Wut auslassen kann, zeigen sich die Grundstrukturen des antisemitischen Mobs wie im Lehrbuch. Dem ist entgegenzutreten. Wo zum Beispiel, steht ausgerechnet auch in dem Flugblatt: Am 5. Oktober gibt es vor dem Rathaus Neukölln eine Kundgebung „gegen die linksislamistische Mobilmachung“, zu der unter anderem die antideutsche Zeitschrift „Bahamas“ aufruft. Wie notwendig solche Demonstrationen sind, ist nun wieder einmal bewiesen.

Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke