„Das ganze Unglück der Menschen rührt allein daher, dass sie nicht ruhig in einem Zimmer zu bleiben vermögen.“ Man muss kein Universalgelehrter sein wie Blaise Pascal, um der tiefen Einsicht instinktiv zuzustimmen. Erstaunlich bloß, dass der weise Mann sie bereits Mitte des 17. Jahrhunderts hatte. Bekanntlich gab es damals weder die Deutsche Bahn noch den Berliner Flughafen. Und die Berliner Bürokratie hatte wohl auch noch keine Obsession für die sogenannte Parkraumbewirtschaftung entwickelt, obwohl wir das nur mutmaßen können. Womöglich verfolgten kurfürstliche Politessen mit Federhut und Degen eifersüchtig unberechtigt abgestellte Pferdekutschen. Denkbar, dass sie die Strafzettel unters Zaumzeug klemmten. Nicht auszuschließen, dass im Wiederholungsfall die Pferde vergiftet wurden – die zeitgenössische Variante der Radkralle.

Wer in der Hauptstadt ein Auto unterhält, kommt nicht umhin, einen Bewohnerparkausweis zu beantragen. Damit darf der Wagen nach Belieben in der jeweiligen Zone herumstehen, die in der Regel ein, zwei Straßenzüge umfasst. Sobald man an einem anderen Ort als seinem Zuhause parkt, werden ruinöse Gebühren fällig. Oder es ist gänzlich untersagt, weil einfach alle Plätze Inhabern der örtlichen Bewohnerparkausweise vorbehalten sind. Man selbst wohnt da aber nicht, sondern ist nur hingefahren, zum Beispiel, um einen Bekannten zu besuchen. Für derlei Zwecke wurde vermutlich einst das Auto erfunden.

Die meisten Berliner navigieren diese Zwickmühle, indem sie Ordnungsamtslotto spielen: Sie wetten darauf, nicht erwischt zu werden. Würden sie zahlen, kostet das schnell 15 bis 20 Euro für ein paar Stunden. Ein Knöllchen schlägt mit 20 bis 25 Euro zu Buche, aber eben nur manchmal, und die paar Mehrkosten sind dann auch schon egal. Auf die Dauer ist es sowohl günstiger, schwarz zu parken, als auch lustiger, weil nervenkitzeliger.

Vielleicht wäre es am besten, das Problem durch Losverfahren aus der Welt zu schaffen. Jeder Berliner bekommt per Zufallsprinzip eine Straße zugeteilt, in der er für den Rest seines Lebens parken darf. Einmal im Jahr kann man tauschen, wie bei einer Schrottwichtelparty.

Hier ein kleiner Lifehack, denn warum sollte sich eine Kolumne gelegentliche Lebenshilfe versagen? Ein guter Bekannter hat ein todsicheres System entwickelt, folgenlos zwischen den Bezirken zu pendeln. Er parkt im absoluten Halteverbot, aber nur an solchen Stellen, wo er niemanden stört und das Schild offensichtlich reine Schikane ist. Gut geeignet sind auch temporäre Baustellen, also solche, die in Berlin Jahrzehnte stehen. Da kommen im Mai ein paar Bauarbeiter, stellen die wackelig improvisierten Verbotsschilder auf und verschwinden auf Nimmerwiedersehen.

Die Schilder verbieten dann das Parken bis Dezember des kommenden Jahres. Bei einigen Schildern weiß niemand mehr, warum sie einmal aufgestellt wurden. Sie haben etwas von archäologischen Denkmälern. Mit der Zeit sind sie derart mit dem Stadtbild verschmolzen, dass keiner auch nur im Traum daran denkt, sie wegzuräumen. In 50 Jahren wird man Stadtführungen dorthin machen: „Hier sehen Sie eine Baustelle von 2023, sie ist hervorragend erhalten und gilt als das Stonehenge von Neukölln.“

Das Ordnungsamt, die bestfunktionierende Berliner Behörde, jedenfalls wenn es darum geht, unbescholtene Bürger zu piesacken, fühlt sich für diese Heiligtümer normalerweise nicht zuständig. Ich weiß nicht genau, wie die Rechtslage aussieht. Aber es ist nicht ungewöhnlich, lauter Autos mit Knöllchen zu sehen und mittendrin ein oder zwei ohne. Die verfolgten Halter parken ordnungsgemäß auf ausgewiesenen Parkplätzen. Nur die im absoluten Halteverbot kommen ungeschoren davon.

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