Was mischt sich ein Bürgermeister in die Kulturplanung eines Literaturhauses ein?“ Der Mann, der diesen Satz sagt, ist Michel Friedman. Es ist ein kühler Montagabend in Klütz, und dass der Publizist hier steht und nun vor 500 Zuschauern spricht, ist nur die jüngste Wendung in einem bemerkenswerten Fall, der die kleine Gemeinde bundesweit bekannt gemacht hat.
Zur Vorgeschichte: Das ortsansässige Uwe-Johnson-Literaturhaus hatte für 2026 den Publizisten Michel Friedman eingeladen, die Einladung jedoch wenig später zurückgezogen. Oliver Hintz, der Leiter des Literaturhauses, begründete den Schritt mit einem Telefonanruf von Bürgermeister Jürgen Mevius, der Sorgen vor rechten Störern oder Hamas-Sympathisanten geäußert haben soll. Von Mevius hieß es jedoch später, dass vor allem das hohe Honorar für den Schritt ausschlaggebend gewesen sei.
Friedman hatte den Bürgermeister scharf kritisiert und ihm „peinliche Heuchelei“ vorgeworfen. Mevius hätte zeigen sollen, dass sich der Staat nicht von Antidemokraten erpressen lasse, hieß es. Als Folge des medialen Sturms, der daraufhin über das Ostsee-Städtchen brauste, gab Mevius nach fast 30 Jahren im Amt seinen Rücktritt bekannt.
Nun spricht Friedman – ein Jahr früher als ursprünglich geplant – doch in Klütz. Der Schriftstellerverein PEN Berlin hat eine Kundgebung angemeldet. Auf dem Marktplatz wimmelt es von Journalisten, Polizeiwagen sichern die Szene ab. Mancher Anwohner gibt mehreren Reportern nacheinander Interviews und scheint nicht zu verstehen, wie dem Ort geschieht.
„Bescheuert“, bewertet eine Anwohnerin den Medienrummel knapp. Ein älteres Pärchen aus einem Nachbarort kritisiert die Berichterstattung über die Ausladung. „Die Presse hat hier eine Kleinigkeit aufgebauscht, während über die großen Probleme nicht berichtet wird“, klagt der Mann. Und immer wieder hört man Bitterkeit darüber, dass der Konflikt über die Medien statt intern ausgetragen wird.
Viele Klützer, so schildern sie es, fühlen sich in eine Ecke gestellt. Im Gespräch mit WELT äußern sie den Wunsch, dass das Bild des Ortes wieder geradegerückt wird – als weltoffene Gemeinde statt Hort rechter Gesinnung.
Für manche Anwohner ist der Leiter des Literaturhauses, Oliver Hintz, schuld am Medienrummel. Er hatte den Vorgang via Pressemitteilung öffentlich gemacht. „30 Jahre Ehrenamt mit einer Lüge zerstört !!!“, heißt es auf einem Banner gegenüber des Literaturhauses. Auf anderen Plakaten sind Solidarisierungsbekundungen für den Bürgermeister zu lesen.
„Ich bitte Sie dringend, Oliver Hintz nicht zum Buhmann zu machen“, ruft PEN-Berlin-Sprecherin Thea Dorn dem Publikum von der Bühne aus zu. Als Hintz auf der Bühne das Wort ergreift und seine Version der Geschichte nochmals wiedergibt, ertönen in den hinteren Reihen Buh- und „Lügner!“-Rufe.
Für Michel Friedman liegt der Konflikt jedoch woanders: „Dass der Bürgermeister jetzt schon im September 2025 weiß, dass meine Sicherheit in einem Jahr nicht gewährleistet werden kann, erscheint mir fadenscheinig“, so Friedman. Die Gesellschaft müsse darüber reden, „dass die Freiheit der Kunst, die Freiheit der Meinung, nicht angetastet werden kann“.
Thea Dorn öffnet die Diskussion für die Teilnehmer der Kundgebung. Ehrenamtliche Mitarbeiter des PEN Berlin gehen mit Mikrofonen durch die Reihen, um Fragen und Meinungen der Bürger ein Forum zu geben.
Ein Mitglied der Stadtverwaltung meldet sich mit dem Vorwurf, die Gründe für die Absage seien nur einseitig von Hintz dargestellt worden. Ein anderer Anwohner betont, dass Bürgermeister Mevius während der Flüchtlingskrise vor zehn Jahren im Umkreis der einzige gewesen sei, der gesagt hätte „Wir haben noch Platz“ und bereit gewesen sei, Flüchtlinge aufzunehmen.
Ein örtlicher Landwirt wirft in die Debatte, dass mit den Schriftstellern und Klützern zwei verschiedene Ebenen aufeinandertreffen würden: „Wir sind hier eine kleine Gemeinde mit einfachen Leuten und einfachen Denkstrukturen“, sagt er unter dem Aufstöhnen einiger Anwohner, die mit dieser Selbstbeschreibung sichtlich Probleme haben.
Ein Zuschauer sagt in Richtung der Bühne gewandt, offenbar mit der Intention, die Wogen zu glätten: „Geben Sie dem Bürgermeister die Chance, sich zu entschuldigen“. Infolgedessen sind aus dem hinteren Teil des Publikums Buh-Rufe zu hören. „Jürgen, Jürgen“ schallt es über den Marktplatz aus Solidarität für den abgetretenen Bürgermeister.
Zwischendurch meldet sich die im Publikum stehende Bettina Martin (SPD), Kulturministerin von Mecklenburg-Vorpommern, zu Wort und spricht von der Ausladung als ein „schwieriges, schlimmes Signal“. Es gelte, die Freiheit der Kunst zu bewahren. Die unmittelbare Replik eines Bürgers: „Wenn Kunstfreiheit so wichtig ist, dann geben Sie den Kommunen auch das Geld dafür.“ Applaus.
Nach zwei Stunden und unzähligen Wortbeiträgen schließt Thea Dorn die Freiluft-Debatte.
Was waren die Gründe für die Ausladung Friedmans?
„Die Einladung von Herrn Friedman war kein Luftschloss, sondern eine durchdachte Kalkulation, die den städtischen Haushalt nicht belastet hätte“, erklärt Oliver Hintz später im Gespräch mit WELT. Sie sei auch im „ersten Angang von Herrn Mevius abgenickt“ worden. Dass der Bürgermeister schließlich geäußert habe, dass die Gelder nicht gesichert seien, habe Hintz überrascht.
Plötzlich klinkt sich ein älterer Herr, mutmaßlich ein Anwohner, in die Runde ein und macht Hintz schwere Vorwürfe. „Sie wollten das alles provozieren. Alles, diesen Streit“, sagt er scharf. Eine Frau, die ihn begleitet, kritisiert, dass Hintz die Ausladung auf Grundlage eines Telefonats mit dem Bürgermeister veranlasst habe, dessen Inhalt nicht transparent sei. „Deutschlandfunk redet über uns. NDR, ARD, wir sind überall, wir sind im Bundestag. Aber warum, Herr Hintz?“, fragt sie verzweifelt.
„Weil der Bürgermeister auf die Kunstfreiheit eingewirkt hat“, antwortet Hintz. Der Bürgermeister habe ihn eben angerufen und aufgefordert, Friedmann wieder auszuladen. Dagegen habe er Einwände erhoben und sei schließlich an die Öffentlichkeit gegangen.
„Sie sind doch derjenige, der für die Kunstfreiheit steht. Da müssen Sie sich doch stark machen“, kontert die Zuschauerin. „Es kann doch nicht in Ihrem Interesse sein, dass Klütz unter diesem medialen Druck steht. Das hätte man doch intern vernünftiger und viel besser klären können“, empört sie sich. Nun hätten die Stadt und die Anwohner den Schaden.
Hätte Hintz die Einladung Friedmans verteidigen und die Veranstaltung auch gegen den Willen des Bürgermeisters durchsetzen können?
„Man müsste es wirklich durch einen Juristen klären lassen“
Hintz bewertet das als „feinjuristische Frage“: „In meinem Arbeitsvertrag steht, dass ich grundsätzlich dem Bürgermeister keine Rechenschaft schuldig bin. Aber fiskalisch dann wieder doch“, sagt er. „Man müsste es wirklich durch einen Juristen klären lassen.“ Der Bürgermeister von Klütz ließ eine WELT-Anfrage unbeantwortet.
Bleibt die Frage, was in Klütz bleibt, wenn alle Reporter abgezogen sind.
„Der Abend hat den Ort eher geeint als gespalten, zumindest ist das mein Eindruck. Hier sind mehrere Hundert Leute zusammengekommen und sind zwei Stunden miteinander ins Gespräch gekommen und das ohne Eskalation“, sagt Thea Dorn von PEN Berlin nach der Kundgebung gegenüber WELT.
Friedman selbst sprach auf der Bühne immer wieder davon, aus Kreisen der Stadt gehört zu haben, er passe nicht hierher. Zumindest dieser Eindruck schien sich am Ende des Auftritts nicht bewahrheitet zu haben. „Ehrlich gesagt“, so Friedman während seines Auftritts, „ich finde, wir passen alle sehr gut zueinander“. Dass der Auftritt im kommenden Jahr doch noch zustande kommt, scheint an diesem Abend nicht ausgeschlossen.
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