Die Bahn ist in Deutschland der zweitzuverlässigste und -produktivste Hervorbringer schlechter Nachrichten – nach der Kriminalstatistik. Allein in der vorigen Woche erfuhr die schon ziemlich abgestumpfte Öffentlichkeit nicht nur, dass im Aufsichtsrat ein Streit um die Neubesetzung des Chefpostens mit Evelyn Palla entbrannt war – eine Gewerkschaft stimmte gegen sie –, sondern man las auch, dass die Bahn etliche deutsche Städte künftig seltener von ICs und ICEs anfahren lässt oder sie gar ganz abhängt.

Die Zahl der täglichen Fernfahrten pro Richtung auf der Strecken Leipzig Jena wird beispielsweise von fünf auf zwei reduziert. Auch Baden-Baden, Marburg und Offenburg werden seltener angefahren. Reisende in Richtung Österreich müssen sich ebenfalls auf schlechtere Verbindungen einstellen. In Lübeck oder Berchtesgaden wird ab dem Fahrplanwechsel am 14. Dezember gar kein Fernverkehrszug mehr halten. Für diese Städte ist es kein Trost, dass auf vielbefahrenen Strecken künftig mehr Sprinter fahren, ICEs oft im Halbstundentakt verkehren, man von Berlin aus 20 Minuten schneller in Paris ist und es aus der Hauptstadt demnächst einen Direktzug nach Kopenhagen gibt.

Diese Veränderungen haben möglicherweise auch Konsequenzen für einen der beliebtesten deutschen Spieleklassiker, das 1934 von Johan Wilhelm Stündt erfundene „Deutschlandreise“. Es geht bei dem Spiel darum, dass zwei bis sechs Spieler acht Städte, die ihnen durch gezogene Karten zugeteilt wurden, bereisen müssen und dann so schnell wie möglich wieder an ihren Ausgangspunkt zurückkehren.

„Deutschlandreise“ vermittelt auch Lernbotschaften. Man erfährt ganz nebenbei nicht nur etwas über Geografie, sondern lernt auch, Landkarten zu lesen. Und immer schon hatte das Spiel auch politische Botschaften. Bei der Urversion waren noch die Gebiete dabei, die Deutschland 1919 durch den Friedensvertrag von Versailles verloren hatte. Sie waren nur etwas dunkler gefärbt. Thorn in Westpreußen, das mittlerweile komplett zu Polen gehörte, war auf dem Spielbrett beispielsweise noch Teil einer Reise durch Deutschland. Mit einigem Recht, denn es verkehrten noch fünf bis sieben Transitzüge ins deutsch gebliebene Ostpreußen – überwiegend auf der alten preußischen Ostbahn. 1938 kam dann Österreich zu Deutschland – auch auf dem Spielbrett.

Die Versionen von 1962 und 1977 waren auch hochpolitisch, in dem Sinne, dass im Spiel so getan wurde, als könne man als Bundesbürger mit der Bahn hindernislos in die DDR und dort ganz einfach von Bahnhof zu Bahnhof tingeln. Das Spielbrett von 1962 erinnert mit einer kleinen Karte am Rand auch noch einmal daran, dass Deutschland einmal größer war. Die Zonengrenze ist auch nicht zu erkennen, erst 1977 wird sie zart angedeutet.

Die Siebziger als Höhepunkt

Der Schrumpfungsprozess hatte auch positive Folgen: Die Karten von 1977 sind die schönsten – wenn man nicht den fast futuristischen Minimalismus von 1934 bevorzugt. Das lag nicht nur daran, dass die grafische Gestaltung von deutschen Büchern und Spielen in den 1960er- und 1970er-Jahren ihren künstlerischen Höhepunkt erreicht hatte, sondern der Maßstab war größer und es gab jetzt einfach mehr Platz für liebevolle Details.

Noch mehr Platz wird es möglicherweise auf künftigen Brettern des Spiels geben. Wenn Lübeck und Berchtesgaden vom Fernverkehr abgehängt werden, haben sie ja eigentlich keine Berechtigung mehr bei „Deutschlandreise“. Ganz rechts unten in der Berchtesgaden-Lücke entstünde dann Raum für hübsche Bildern von Gämsen oder Edelweiß. Dafür müsste dann aber das Holstentor wegfallen, das momentan noch sehr dekorativ weit oben zu sehen ist.

Es wäre immerhin das erste Mal, dass die Spielegeographie nicht aufgrund verlorener Kriege geändert werden muss. Aber eine Folge schlechter Politik wäre es auch dieses Mal wieder.

Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke