Die Goldschmiede im Erzgebirge kamen sich wie Götter vor, wenn sie aus Mineralien und Metallen ihre Miniaturlandschaften formten. Handsteine hießen die Dioramen für die Kunstkammern: Winzige Bergleute machten sich am Gestein zu schaffen. An Bröckchen aus Amethyst, Chalkopyrit und Akanthit. Aus reinem Silber waren die Figuren, ihre Werkzeuge und Wägelchen.

Der Handstein für den Habsburger Joseph II., den zwei Meister 1764 in Kremnitz anfertigten, zeigt im Detail, woher der Reichtum seines Königreiches kam und wer es wie zutage förderte. Die ganze Szenerie samt Pumpanlage, Göpelwerk und Dampfmaschine, eingebettet in die Rohstoffe, die wahren Schätze der Region. In Dresden finden sich solche Preziosen gerade im Grünen Gewölbe wieder. „Rotes Gold“, die Sonderausstellung für Handsteine und andere Artefakte, die noch bis zum 4. Januar den Bergbau feiert, zwischen spätem Mittelalter, Renaissance und aufdämmerndem Industriezeitalter, widmet sich besonders dem „Wunder von Herrengrund“.

Bereits im 15. Jahrhundert wurde dort, im heutigen Špania Dolina in der Slowakei, Eisen zu Kupfer. Was der Alchemie seit der Antike vorschwebte – Metalle zu veredeln, stumpfes Blei in strahlendes Gold mithilfe sagenhafter Elixiere und Tinkturen zu verwandeln, – geschah in den Schächten unter Herrengrund von selbst. Im Grubenwasser lief der Eisenschrott, der bei der Arbeit anfiel, vom Hufeisen bis zum Schaufelblech, nicht rostbraun an wie üblich, sondern feuerrot. Eisen wurde zu Kupfer. Ohne Brennöfen, ohne fossile Energieträger wie Holzkohle. Die Goldschmiede nutzten die wunderbare Wertschöpfung für kostbare Gefäße mit Gravuren: „Eisen war ich, Kupfer bin ich, Silber trag ich, Gold bedeckt mich.“

All das ist im Dresdener Grünen Gewölbe nun zu sehen und neben den Schätzen der Wettiner, denen Sachsen seinen Glanz verdankt und seinen Stolz, der sich noch immer darin spiegelt, zu bestaunen. Chemnitz wird zur europäischen Kulturhauptstadt, das ganze Erzgebirge feiert mit. Der Bergbau, der die Erze für den Kurfürsten, das Königreich, den Freistaat lieferte, hat als Folklore überlebt. In Aue rufen sie im Fußballstadion „Glück auf!“, singen von den gekreuzten Hämmern und das „Steigerlied“. Freiberg, die Silberstadt, wirbt mit der Bergakademie, wo Clemens Winkler 1886 das Germanium entdeckte, und mit seiner lückenlosen Mineraliensammlung. Im Advent qualmen vom Zittauer Gebirge bis zum Vogtland überall die Räucherbergmännchen. Und vor dem Altenberger Rathaus steht die Lore mit dem letzten Erz, das 1991 nach 550 Jahren dort gefördert wurde. Etwas weiter ragt ein rostiger Förderturm als Denkmal aus der Landschaft.

Noch ist Schicht im Schacht in der Gemeinde Altenberg mit Zinnwald, Bärenstein und Liebenau. Aber die Ruhe der geschlossenen Gruben und verwaisten Stollen ist dahin. Das legendäre Berggeschrey, die Freude über Funde in der Gegend, stellt sich wieder ein. Allerdings nicht unter den Altenbergern. Unterhalb des stillgelegten Förderturms, in einem ehemaligen Baumarkt, der den postindustriellen Aufbruch nach der sogenannten Wende auch nicht überlebt hat, residiert die Zinnwald Lithium GmbH. Ein Unternehmen der börsennotierten Lithium PLC in London. Wie der Name sagt, geht es den Rohstoffhändlern nicht mehr um die früheren sächsischen Schätze, Zinn und Silber, Kobalt und Uran, sondern um Lithium im Lithiumeisenglimmer oder Zinnwaldit und nebenbei um etwas Indium, Nickel und Wolfram. Die GmbH möchte die Berge wieder öffnen.

Lithium gilt als „Weißes Gold“ der neuen Zeit. Die Energiewende braucht das unedelste aller Metalle für ihre Lithium-Ionen-Akkus, ohne die kein Smartphone funktioniert und kein Elektroauto fährt. In analogen Zeiten spielte das Alkalielement mit seinen Salzen eine Nebenrolle in der Glashärtung, als Antidepressivum und zur Herstellung von Tritium, superschwerem Wasser für Fusionsbomben. Das Lithium für die digitale Ära stammt vor allem aus Chile. In der Atacama-Wüste, den alten Salpeter-Ebenen, liegt es in einer konzentrierten Sole unter einer Stein- und Kochsalzkruste und wird zum Verdunsten an die Wüstenluft gepumpt. Türkise Laugenseen, Salzhalden und Anwohner, die unter Wassermangel leiden, sind die ökologischen und menschlichen Kollateralschäden der Lithium-Ökonomie. Australien, wo sie lithiumhaltige Erze wie Lepidolith und Petalit aus dem Gestein hauen, spielt eher am Rand mit.

Altenberg liegt noch jenseits des Randes mit seinem lediglich ein Prozent Lithium enthaltenden Zinnwaldit. Das heißt: Als Abraum, also Dreck, landet etwa das Hundertfache in der Gegend. Vielleicht sogar in rekultivierten Biotopen wie der früheren Spülhalde vom Bielatal bei Bärenstein. Das „Rote Meer“ mit seinen Schwermetallen ist heute ein blühendes Idyll für Kammmolche, Spaziergänger und Urlauber.

„Sachsen hebt seine Schätze.“ So bemühte sich schon die regierende Ampel um das Lithium aus Altenberg. Es geht um ökonomische Autonomie für Deutschland und Europa. Um den Aufschwung Ost geht es auch wieder. Aber die, um die es dabei gehen soll, sind auf sächsische Weise störrisch. Eine Widerstandsgruppe namens Ralf für Radikale-Anti-Lithium-Front stemmt sich gegen die Pläne. „Für unsere Heimat!“, steht auf Bannern und „Hier keine Lithium-Gier!“

Das Berggeschrey der Einheimischen ist kein Jubel mehr über die Bodenschätze. „Wir zahlen immer die Zeche!“, ist ein kollektiver Bannfluch aus einer Region, die mit dem Bergbau auch die Umweltsauereien der DDR verbindet und danach das Treuhand-Trauma durch die angeblich alternativlose Schließung der Stollen und Schächte und die Fremden, die daran verdienten. Jetzt sind wieder welche da und sagen, alle würden etwas davon haben und alles so schön und sauber bleiben, wie es ist. Im „Welterbe Montanregion Erzgebirge/Krušnohoří“ als, so die Unesco, „historisches Zentrum für technologische und wissenschaftliche Innovationen von der Renaissance bis zur Neuzeit“.

„Rotes Gold“, die Ausstellung in Dresden, zeigt aber nicht nur, was einmal war. Bereits im 19. Jahrhundert kam der Bergbau in Sachsen, Böhmen und Mähren vielerorts zwar zum Erliegen, weil die Erzadern erschöpft und Rohstoffe aus fernen Ländern günstiger zu haben waren. Doch der Geist der Gegenden lebte in den Wunder- und Kunstkammern der Herrschaften und anschließend in den Museen weiter. Die Transmutation von Herrengrund, wo Eisen unterirdisch in Kupfer verwandelt wurde, war immer mehr als ein chemischer Prozess. Im kupferhaltigen Zementwasser der Gruben wurde das gelöste Kupfer durch das unedlere Eisen zu reinem Metall.

Das ahnten auch die Alchemisten, wenn sie es als ganzheitliches Weltwunder beschrieben, und die Kunsthandwerker, wenn sie ihre Sprüche in die Kupferschalen hämmerten: „Mars wird in Venus bald verkehrt, wie heren grund dergleichen lehrt/ Die Mutter mich als Eysen hart geboren, doch in der Venus bin Kupfer geworden“. Jedes Metall folgte einem Planeten und damit einer bestimmten Metaphorik. Eisen, Mars und Männlichkeit. Kupfer, Venus und Weiblichkeit.

Die Handsteine und Trinkgefäße, in denen sich die Geschichten materialisierten, waren Medien einer Rohstoffpoesie, die zwischenzeitlich in der Tat verloren ging. Was in Schriften und Schmiedearbeiten zusammenfiel – die vier antiken Elemente Feuer, Wasser, Luft und Erde und die atomaren Elemente in den Mineralien, Makro- und Mikrokosmos, Kultur und Natur – trennten die Aufklärer während der Blütezeit des Bergbaus, säuberlich und strikt in Geist und Sein.

Davon hat sich die Menschheit nie wieder erholt. Kunst ist auch heute noch vor allem die Form, die aus dem Stoff gewonnen wird, selten die kunstvolle Verarbeitung des Rohstoffs selbst. Daran änderten auch die Werke der fossilen Epoche wenig, Erdölfilme und Kohleromane. Wer spricht noch über sowjetische Avantgardisten und den Bitterfelder Weg der DDR, wo sich die Künste an den Menschen und den Materialien abarbeiteten?

Die Welt lebt nach wie vor im Glauben an ein neues, sauberes, immaterielles Dasein im Informationszeitalter. Virtuelle Gelder und Gedanken kreisen um die Erde. Dafür werden aber auch mehr Rohstoffe ge- und verbraucht als je zuvor. Die Energiewende, die grüne Zukunft macht mehr Schmutz und richtet irgendwo weit weg mehr Unheil an als der sächsische Bergbau ein halbes Jahrtausend lang. Im Kongo, wo Kinder das Kobalt für die Akkus aus dem Boden kratzen, in den Lithium-Seen von Chile und in China, wo der Weltmarkt kontrolliert wird und Seltene Erden in apokalyptischen Szenarien raffiniert werden.

Die Widersprüche lassen sich nicht auflösen wie Alteisen in Kupfervitriol. Man kann ihre Geschichten nur anders erzählen, über die Materie. Über das Lithium in Thermalquellen im Rheinland, in Erzen im Schwarzwald, im sächsischen Altenberg unter der Erde und in sächsischen Laboren, wo Recyclingchemiker aus Kühlmitteln versuchen, Lithium im „Urban Mining“ wiederzugewinnen, im Bergbau des 21. Jahrhunderts. Rohstoffpoesie gegen die Panik, dass die eigene Heimat demnächst aufgegraben werden könnte.

Um die Umwelt und die Menschen sorgten sich die Zeitzeugen schon vor 500 Jahren. Georg Daniel Speer ließ seinen Simplicissimus die giftigen Zementwasser von Herrengrund beklagen, in denen kein Fisch mehr leben könne. „Es ist die Bestimmung der Menschen, dass sie die Berge durchwühlen; sie müssen Erzgruben anlegen. Dabei müssen sie bei der Erde Anstoß erregen“, schrieb Paul Schneevogel, ein humanistischer Gelehrter. Erze wuchsen seinerzeit und den Legenden nach wie Wesen in der Erde, allerdings zu langsam, um den täglichen Bedarf zu stillen und den Fortschritt anzutreiben. Schneller ging es nur, wenn der Mensch selbst zum Schöpfer wurde. Und mit Gott, den manche Goldschmiede in ihren Handsteinen auf winzige Felsen setzten, in Gestalt des Heilands auf dem Ölberg.

Anmerkung der Redaktion: Die Zinnwald Lithium GmbH weist darauf hin, dass 60 Prozent der beim Lithiumabbau anfallenden Reststoffe zur Wiederauffüllung zurückgeführt würden, die über der Erde verbleibenden 40 Prozent sollten idealerweise als Baustoffe verwertet werden. Die ehemalige Spülhalde in Bärenstein werde bereits in der Machbarkeitsstudie 2025 nicht mehr in Betracht gezogen.

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