Vielleicht hatte diese kriegerische Zeit ein Wunder nötig. Geschehen ist es jüngst in Prag, wo sich unter den herumliegenden Blättern im Nachlass des Verlegers Adolf Synek ein Originalmanuskript der „Abenteuer des guten Soldaten Švejk im Weltkrieg“ fand. Für die Tschechen ist das etwa so, als hätte man in Weimar Goethes Handschrift des „Faust“ auf einem Dachboden entdeckt. Bald will man restaurierte Blätter ausstellen und digitalisieren.
Doch nicht nur für die Tschechen bedeutet dieser Roman ein nationales Heiligtum. Nein – der „Švejk“ gehört zu den absoluten Meisterwerken der Weltliteratur, auf einer galaktischen Stufe mit dem „Don Quichotte“ des Cervantes oder mit Prousts „Recherche“.
Jaroslav Hašek kümmerte sich um seine Handschriften kaum. Vor seinem frühen Tod im Jahr 1923 hatte er die Fortsetzungen nurmehr diktiert, weil ihm Tuberkulose und Säuferleber keine Kraft mehr ließen. Statt als Autor reüssierte er am Ende als Wirt einer stimmungsvollen Bierkneipe im Landstädtchen Lipnice nad Sázavou, wo Jünger aus aller Welt heute noch andächtig eine Flasche süffigen Böhmerbiers auf dem benachbarten Grab des Genies entleeren.
Woher diese religiöse Verehrung? Der „Švejk“ handelt hinterrücks die erste industrielle Massenvernichtung von und durch Menschen ab: den Ersten Weltkrieg, bei dem die europäische Zivilisation ihren Suizid einläutete. Wie der ebenfalls aus Böhmen stammende Karl Kraus in seinen „Letzten Tagen der Menschheit“ lässt Hašek die Welt des Friedens und der Vernunft in teuflischem Gelächter untergehen. Der Simpel Švejk unterläuft alle Reglements der Abrichtung, indem er die Befehle der Offiziere und den vernunftgeleiteten Benimm der Mitmenschen durch scheinbar naive Subordination außer Kraft setzt.
„Melde gehorsamst, ich bin schwachsinnig!“ Mit solch patriotischem Gruß mogelt sich der allerbeste Soldat ever durch die Kriegshölle. Er bringt die Wärter im Irrenhaus zum Wahnsinn, säuft mit einem vom Judentum übergetretenen Feldkaplan, fängt und verkauft Hunde fürs Offizierskorps, beglückt manche von Uniformen angetörnte Dame und wartet sturheil auf den Frieden, weil er weiß: Dann wird er unversehrt mit Pinscher und Pfeife wieder in seiner Prager Kneipe „Zum Kelch“ Pilsner schlürfen.
Deutschlands Verteidigungsminister Pistorius sollte bei seinen Kriegsfreiwilligen das Buch auf den Index setzen. Denn hier siegt Idiotie über Strategie, hier triumphiert Anarchie über Politik. Wohl auch darum hatte der „Švejk“ bei uns martialischen Deutschen kein schönes Schicksal. Schweigen wir von peinlichen Verfilmungen mit Heinz Rühmann oder Peter Alexander, die nur durch Fritz Muliar wettgemacht wurden.
Die erste Übersetzerin Grete Reiner wurde zum Dank für ihre Vermittlerdienste von den Deutschen in Auschwitz ermordet. Und erst Antonín Brouseks Übersetzung des „guten“ – und nicht des braven – Soldaten von 2014 (bei Reclam) wurde Hašeks Genialität endlich ganz gerecht. Während die anderen Soldaten zum Töten und zum Sterben bestimmt sind, bleibt der pazifistische Trottel Švejk unsterblich.
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