Ein Filmticket kostet zwischen 8 und 14 Euro. Auf dieser Grundlage könnte man ausrechnen, ob sich die Transaktion, die man als Zuschauer mit dem Kino eingeht, lohnt, was dabei für einen kurzfristig und was langfristig herausspringt und wie groß das Risiko einer Fehlinvestition ist. Die zwischen Sozialkritik und Sozialkitsch changierende Romantic Comedy „Was ist Liebe wert – Materialists“ handelt von Menschen, die genauso denken. Von wohlhabenden New Yorkern, die stets nach dem größten Profit streben und bei allem, was sie tun, über ihren eigenen Vorteil sinnieren. Nicht etwa nur bei Kinotickets, sondern auch in der Liebe.
Die Heldin des Kinofilms Lucy (Dakota Johnson) arbeitet in einer Partnervermittlungsagentur als Matchmaker – sie bringt zwei Menschen zusammen. Die durchökonomisierte Weltsicht ihrer Kunden hat sie nicht nur zur Gänze durchschaut, sondern längst übernommen. Sie hasst sich dafür, kann aber nicht anders. Hin- und hergerissen zwischen Romantik und Zynismus, ihrer Herkunft aus der Armut und einer erträumten High-Society-Zukunft, steht Lucy selbst vor der Wahl zwischen zwei Männern.
Einerseits ist da ihr Ex-Freund John (Chris Evans), der als erfolgloser Schauspieler mit Ende 30 immer noch in einer chaotischen WG wohnt und sich nicht mal zum Jahrestag einen Restaurantbesuch leisten kann, andererseits hat sie eine neue Flamme, Harry (Pedro Pascal), der in vielerlei Hinsicht das Gegenteil von John verkörpert. Als Partnervermittlerin weiß Lucy, worauf es im Leben und in der Liebe ankommt: bei Männern aufs Gehalt, die Größe ihrer Wohnung und ihres Körpers, bei Frauen auf ihr Alter – möglichst unter 30, besser noch unter 27.
„Materialists“ spricht die impliziten Prämissen des Rom-Com-Genres an und liefert dadurch einen erfrischend unverstellten Blick auf Dating, Kennenlernen und die große Liebe. Der Film von Celine Song (Regie und Drehbuch) wirkt, als hätte man den Rom-Com-Experten Richard Curtis („Notting Hill“, „Tatsächlich … Liebe“, „Bridget Jones“) einen Monat lang mit einem Stapel Bücher der Soziologin Eva Illouz eingesperrt. „Die Ehe war schon immer eine Geschäftstransaktion“, informiert Lucy ihre Kunden abgeklärt. Im Kapitalismus werden Menschen und Gefühle zur Ware, Dating wird zur ökonomischen Verhandlung von Kapital.
Der Wert von Gefühlen
Oft sind die Dialoge spitzzüngig, originell und von seltener Klarheit: etwa, als Lucy auf der Hochzeit eines von ihr vermittelten Paars die Braut beruhigt. Die hat nämlich kalte Füße bekommen und hinterfragt auf den letzten Metern ihr Motiv. Ihren Verlobten, beichtet sie beschämt, wolle sie nur heiraten, um ihre Schwester eifersüchtig zu machen. Weil ihr eigener Verlobter größer sei und mehr verdiene als der Mann ihrer Schwester, vermittle er ihr das Gefühl, gewonnen zu haben. Lucy lächelt, als wäre dies nicht nur ein nachvollziehbarer, sondern sogar ein triftiger Grund. „Dein Verlobter gibt dir also das Gefühl, wertvoll zu sein“, resümiert Lucy, woraufhin sich ihre Kundin berührt die Tränen trocknet und siegessicher zum Altar schreitet.
Auf derselben Hochzeit begegnet Lucy nicht nur ihrem Ex, der für das Catering zuständig ist, sondern auch Harry, dem Bruder des Bräutigams. Dem bietet sie zunächst ihre Dienste als Vermittlerin an, doch er insistiert, sie nicht buchen, sondern daten zu wollen. Jackpot! Denn Harry ist laut Beziehungsprofi Lucy eine 10 von 10. Ein „Einhorn“, wie sie es unter Kollegen nennen. Einer der ganz wenigen, die alles haben und daher eigentlich zu gut sind, um wahr zu sein. Einer, zu dem keine nein sagen würde. Denn er bespielt jede Klaviatur männlicher Attraktivität: groß, reich, elegant gekleidet, charmant, bindungswillig. „Du könntest eine Frau daten, die zehn Jahre jünger ist als ich. Sie sieht dann in zehn Jahren so aus wie ich. Ich hingegen sehe in zehn Jahren so aus wie meine Mutter“, erklärt Lucy. Worauf Harry die einzig richtige Antwort gibt: „Wie sieht deine Mutter aus?“
Es drängt sich die Frage auf: Spricht Lucy einfach nur aus, was alle anderen denken? Hat sie den geheimen Code geknackt, der unser aller Paarungsverhalten strukturiert, obwohl wir uns das nie eingestehen würden? Lucy ist der wandelnde Tinder-Algorithmus. Der Idee der arrangierten Ehe verhilft sie nicht etwa zu einer neuen Renaissance, sondern sie ist überzeugt, dass diese nie weg war. Als kämpferische Karrieristin, die sich ihren Weg durch den Verkehr von Manhattan, nervige Kunden und flauschige Männerbetten bahnt, erscheint Lucy wie ein postmodernes Konglomerat von Heldinnen wie Andrea Sachs (Anne Hathaway in „Der Teufel trägt Prada“), Carrie Bradshaw (Sarah Jessica Parker in „Sex and the City“) und Anna Scott (Julia Roberts in „Notting Hill“).
„Materialists“ ist ein Film, der – wie Harry – eigentlich alles hat: erstens den Schauspieler der Stunde Pedro Pascal, der derzeit für das von ihm verkörperte Männlichkeitsbild zur Internet-Ikone hochgejazzt wird; zweitens die Darstellerin Dakota Johnson, die sich nach „Fifty Shades of Grey“ und „Daddio“ in der Rolle der jungen Frau, die sich zum älteren Mann hingezogen fühlt, bestens auskennt, und drittens die südkoreanisch-kanadische Drehbuchautorin und Regisseurin Celine Song, deren Debüt „Past Lives“ 2023 für zwei Oscars nominiert war. Doch trotzdem will einem das Herz nicht so richtig aufgehen.
Investitionen in den Körper
Während „Past Lives“ vieles noch in der Schwebe hielt, wird in „Materialists“ – beim plakativen Titel angefangen – alles so oft ausgesprochen und ausbuchstabiert, dass man Lucy gerne einen Batzen Geld dafür anbieten würde, dass sie nur endlich aufhört, in jedem zweiten Satz zu betonen, wie wichtig ihr das Finanzielle ist. Dass wir es hier mit Kapitalisten zu tun haben, daran besteht schon nach den ersten Minuten kein Zweifel, aber zur Sicherheit lässt Song ihre Helden die alte Leier vom Glück durch Reichtum wie ein Mantra permanent wiederholen – Rückblicke und Selbstausdeutungen inklusive.
Was Lucy an John fasziniert, bleibt bis zum Ende ein Rätsel, das zu lösen sich der Film keinerlei Mühe gibt. Ob Lucy am Ende mit John auf einer Parkbank Foodtruck-Reis mit Plastikgabeln isst oder mit Harry im Luxusrestaurant Kaviar schlemmt, ist letztlich genauso egal wie die genaue Anzahl an „Investitionen in den Körper“, die sich Lucy und Harry in einem nächtlich-intimen Küchen-Moment beichten: Bei ihr sind Nase und Brüste operiert; er hat sich seine Beine brechen und verlängern lassen, um auf die fürs würdevolle Dating notwendigen Zentimeter zu kommen. Oft schwankt man als Zuschauer zwischen entsetztem Ekel und faszinierter Gebanntheit, fast, als würde man einem Autounfall beiwohnen und den Blick nicht abwenden können. Manchmal sind die Unfallopfer die Figuren, manchmal auch der Film.
Wenn die Welt wirklich so sein sollte, wie es uns dieses Zynismus-Gespenst weismachen will, dann investiert man sein Geld vielleicht ohnehin besser anders als in einen Vermittlungsservice oder den idealen Körper. Andererseits: Vielleicht braucht die Filmindustrie auch alle Geschütze, die sie auffahren kann, um die von Disney und Hollywood seit Jahrzehnten korrumpierten Erwartungen an die Liebe wieder herunterzuschrauben. Und sei es nur um wenige schmerzliche Zentimeter.
Der Film „Materialists“ läuft ab dem 21. August im Kino.
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