Manchmal schlägt es bereits in Göschenen, kurz nach dem Gotthardtunnel, wieder zu: das Gefühl des Alltags. Eben noch in den Ferien, ruft nun die Pflicht: das volle Mailpostfach, der unerbittliche Wecker, selber kochen müssen – derselbe Trott.

Ferien für immer, wünscht sich dann manch einer. Den Stau auf dem Hinweg bereits verklärt, die mühsamen Tüechlileger vergessen, den Stress zur Planung der Entschleunigung verdrängt.

Legende: Während die einen zwischen Erstfeld und Göschenen im Stau verharren, holt die anderen bereits wieder Alltag ein. Keystone/Urs Flueeler

Doch täglich Piña coladas am Strand klingt auch nur auf kurze Dauer paradiesisch. Idyllen erträgt man nicht beliebig lange. Und gutes Urlauben will gelernt sein, denn wenn wir ehrlich sind, beginnen wir uns meist erst zu erholen, wenn wir bald schon wieder abreisen müssen.

Wie also findet man ins Feriengefühl – und vor allem: Wie lässt es sich in den Alltag retten? Verflüchtigt es sich doch stets schneller als die leichte Bräune, die uns bei jedem Blick in den Spiegel schmerzlich an das vergangene Ferien-Ich erinnert. Wobei man darin heute weniger die Erholung sieht – als vielmehr den fahrlässigen Umgang mit SPF 50.

«Post Vacation Syndrome»

Manchmal hilft es, zu wissen, dass man damit nicht allein ist. Insofern ist es nicht nur eine schlechte Nachricht, dass das Gefühl von Niedergeschlagenheit, Sinnlosigkeit oder Motivationslosigkeit nach den Ferien so weit verbreitet ist, dass es auch einen Begriff dafür gibt: «Post Holiday» oder «Post Vacation Syndrome».

Aber nicht alles, was sich Syndrom nennt, ist eine Krankheit. Wenn wir schon am zweiten Tag nach den Ferien wieder erschöpft sind, liege das eher daran, dass etwas in unserem Alltag nicht ganz stimme, sagt der Psychiater und Psychotherapeut Marco Gebbers.

Legende: Kleiner Hänger? Das Phänomen der Lustlosigkeit nach den Ferien ist weit verbreitet. Imago/Zoonar

Also doch: Ferien für immer? So einfach ist es leider nicht. Man müsse den Alltag zwischen und nach den Ferien so gestalten, dass man nicht erschöpft, sondern schon erholt in die Ferien fahre, rät Gebbers, der auch Chefarzt am Ameos-Seeklinikum in Brunnen ist, wo man sich mit Stresserkrankungen besonders gut auskennt.

Erholt in die Ferien? Das klingt wie ein schlechter Witz. Wie soll das bitte gehen, wenn wir Tag für Tag und Woche für Woche den Hindernislauf von Deadlines, fremden und eigenen Erwartungen, den täglichen 7000 Schritten, News und zu lesenden Büchern hinter uns bringen sollen? Wie befreien wir unseren Alltag und nicht nur unsere Ferien von Stress?

Du musst dein Leben ändern

Der Experte erklärt: Oft sei Stress verursacht durch die Erfahrung fehlender Selbstwirksamkeit. Viele Menschen würden erst die Ferien als Refugium der Selbstbestimmung erfahren – etwas, das ihnen im Arbeitsalltag abgeht.

Vielleicht, weil sie im Job nicht wirklich sie selbst sein können, ihre Persönlichkeit aussen vor lassen müssen. Vielleicht, weil wir kaum konstruktive Streitkulturen kennen, in denen man seine Befindlichkeiten offen auf den Tisch legt.

Seine Patienten und Patientinnen versuche Gebbers dahingehend zu begleiten, dass sie aus dem viel besagten Hamsterrad herausfinden, dieses entschleunigen oder für sich ganz abschaffen und stattdessen entdecken, wo ihre persönlichen «Hängematten» sind.

Bloss: Das Gefühl fehlender Selbstwirksamkeit ist keine rein individuelle Angelegenheit, sondern hat auch strukturelle Ursachen und nicht zuletzt mit modernen Arbeitsverhältnissen zu tun. Der Arbeitsforscher Hans Rusinek nennt in seinem Buch über die heutige Arbeitswelt verschiedene Gründe, warum uns moderne Arbeitsverhältnisse erschöpfen.

Etwa, weil wir vieles, das wir machen – von Texten, über PowerPoint-Präsentationen bis hin zu Strategiekonzepten – theoretisch immer noch besser machen könnten. Das Resultat: Wir werden nie «fertig». Und: Wir sehen oft nicht mehr, wer unsere Arbeit eigentlich braucht. Meistens ist da kein Kunde, der anprobiert und sagt: «Genau mein Kleid!»

Ferien im Miniformat

Bleibt die Frage, wie wir unsere persönlichen Hängematten finden. Diese können ganz unterschiedlich aussehen. Gebbers lädt dazu ein, diese für sich im Alltag zu finden. Für mich persönlich sind es all jene Situationen, in denen ich nichts leisten muss, nicht bewertet werde und einfach sein darf.

Ob beim Singen im Chor, beim Wandern in den Bergen oder dem Lesen guter Prosa. Wichtig dabei ist das Gefühl, wieder etwas selbst gestalten zu können – ohne äussere Massstäbe.

Legende: Die «Workation» und die «Staycation» gibt's bereits. Doch wie nennt man das Urlaubsfeeling im Büro? «Offication» oder «Büroliday» vielleicht? Imago/Westend61

Gebbers eigene Hängematte: Abende bewusst freihalten von sozialen Kontakten. Zwar sind tragfähige Beziehungen ein gutes Mittel gegen Stress. Aber: Kommunikation sei wie Zucker – eine Überdosis davon ist ungesund und aktuell werde zu viel kommuniziert. Umso wichtiger sei es, dem Alltag Momente der bewussten Ruhe einzuverleiben.

Für die Ferien empfiehlt Chefarzt Gebbers seinen Mitarbeitenden zudem: «Macht eine Abwesenheitsnotiz von wann bis wann ihr weg seid, mit dem Verweis, dass alle Mails in der Zwischenzeit ungelesen gelöscht werden.»

Ist das nicht zu radikal? Nein, meint Gebbers. Alles, was weiterhin wichtig ist, käme wieder zurück. Und was wichtig war, habe sich in der Zwischenzeit bereits erledigt. Oftmals beobachte er allerdings, dass wir uns zu wichtig nehmen und unsere Meinung für unverzichtbar halten – weshalb wir uns doch nicht richtig lösen und das digitale Postfach immer wieder öffnen.

Joy of missing out

Stattdessen gehe es darum, die eigenen Kompetenzen eine Zeitlang bewusst an andere abzutreten und sich selbst nicht zu wichtig zu nehmen. Denn: Es gäbe auch eine Freude, die darin liegt, Dinge zu verpassen und auf sie zu verzichten. Die sogenannte «Jomo».

Gebbers verzichtet in den Ferien am liebsten auf das digitale Gerät im Hosensack. Stattdessen steckt er es in den Hotelsafe und nimmt es bloss alle 24 Stunden raus, um verpasste Anrufe zu prüfen.

Das nahe Umfeld ist über sein «digital detox» informiert und kontaktiert ihn nur in Notfällen.

Und danach?

Wie also bringt man das Urlaubsgefühl in den Alltag? Indem man den Alltag etwas «urlaubiger» gestaltet.

Legende: Am besten gehen Sie schon entspannt in die Ferien. Dann klappt's auch mit der Erholung. Getty Images/Adene Sanchez

Es ist nicht das Ziel, das Feriengefühl zu konservieren wie schöne Muscheln im Koffer. Vielmehr geht es darum, den Alltag so zu gestalten, dass er weniger Erholung fordert – und stattdessen öfter kleine Auszeiten ermöglicht.

Damit man am Montag nicht nur vom Meer träumt, sondern stets ein bisschen salzige Luft im Kopf behält.

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