Manchmal hängt die Musikgeschichte vom Schicksal eines halbverfallenen Sommerhauses ab. Die eigentliche Geschichte der amerikanischen Orchestermusik zum Beispiel tut es jedenfalls ungemein. In St. Anne / Illinois gab‘s nämlich so eine Datsche. Die sollte eigentlich abgerissen werden. Gerümpel von einer fernen Vorbesitzerin fand sich da noch. Und Kisten voller Noten. Handgeschrieben. Ungedruckt. Sinfonien, Konzerte, Kammermusik, Lieder.
Florence Price, so der Name der fernen Vorbesitzerin, 1887 geboren, 1953 an den Folgen eines Schlaganfalls gestorben, kannte keiner mehr. Dass sie mal die erste schwarze Frau war, die es – 1933 war das beim Chicago Symphony Orchestra – mit ihrer ersten Sinfonie geschafft hatte, dass eins der fünf Major-Orchester der USA eine Sinfonie von ihr spielte, dass sie es war, die eine Weissagung von Antonin Dvorak über die Zukunft der amerikanischen Musik eingelöst hatte, war unter einem Berg männlichem, weißen Notenstaub längst vergessen worden.
Bevor wir uns jetzt schon den Zorn der Anti-Woken zuziehen, erzählen wir kurz die Geschichte der Florence Price. In Little Rock/Arkansas geboren, obere schwarze Mittelschicht, ihr Vater der erste schwarze Zahnarzt in der Geschichte seines Bundesstaates, Mutter Klavierlehrerin. Mit vier das erste Konzert, mit elf die erste veröffentlichte Komposition. Um aufs Konservatorium kommen zu können, streift sie sich vorsichtshalber eine mexikanische Identität über.
Vor den Lynchmorden in Arkansas flieht sie mit ihrer Familie (drei Kinder, ein Mann, der sie schlägt) nach Chicago. Wird Teil der schwarzen Künstlergruppe Black Chicago Renaissance und geschieden. Gibt Unterricht, komponiert rund 400 Werke. Stummfilmmusik und Schlager unter Pseudonym zum Durchkommen. Vier Sinfonien, zwei Violinkonzerte, ein Klavierkonzert, Kammermusik, viele Lieder (das meiste vom Dachboden in St. Anne).
Was ihren Durchbruch nach dem Erfolg der ersten Sinfonie verhinderte, hat sie selbst in einen inzwischen berühmten Satz gefasst, den sie 1943 in einem Brief an Sergej Koussevitzky, Chef des Boston Symphony Orchestras und Spinne im Netz der europazentrierten amerikanischen Musikszene, schrieb. Sie habe „zwei Nachteile – mein Geschlecht und meine Rasse. Ich bin eine Frau und habe auch schwarzes Blut in meinen Adern.“ Und dass sie doch bitte nach ihrer Musik beurteilt werden wolle.
Wurde sie nicht. Kann man jetzt nachholen. Verstärkt auch außerhalb der durchaus verdienstvollen Musikbetriebsreservate für Werke von nichtweißen Nichtmännern. Was Florence Price schrieb, hätte zu Lebzeiten keinen Avantgardepreis gewonnen. Würde man ihre beiden Violinkonzerte und das Klavierkonzert, die jetzt in einer fabelhaft musikantischen, fast schon zu ernsten, glasklaren und doch angemessen süffigen Aufnahme mit dem Malmö Opera Orchestra unter dem Price-Experten John Jeter zugänglich sind, in einer Art akustischer Blindverkostung abhören, würde man sie auf ein halbes Jahrhundert vor ihrer Entstehung datieren.
Aber unbedingt der Meinung sein, dass es große Musik ist, die mit großer Lust den Farbenreichtum des (nicht allzu späten) romantischen Orchester als Basis nutzt, in durchaus konservativen Strukturen neue Geschichten zu erzählen und elegant, ansteckend spielerisch und manchmal umwerfend unangestrengt afroamerikanische Elemente mit einer stilistischen Quersumme von Mendelssohn bis Dvorak zu einer ganz eigenen, sich ihrer Kraft und Imaginationsfähigkeit selbstbewussten Sprache zu verbinden.
Ohne dass es selbst in Amerika bis zum Datschenfund von 2009 angemessen bekannt gewesen wäre, hat Florence Price eingelöst, was Antonin Dvorak der drei Jahre lang in New York die Basis für eine musikalische Grundausbildung in Amerika zu legen, im Mai 1893 im „New York Herald“ prophezeit hatte: „Ich bin überzeugt, dass die zukünftige Musik dieses Landes auf dem gründen muss, das man allgemein als ,Negermelodien‘ bezeichnet. In den Negerliedern finde ich alles, was für eine bedeutende und vornehme
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