Ein russischer Überläufer: Da freut sich der britische Geheimdienst. Aber ist dem Mann, der einen Mord geplant hat, zu trauen? Das kann nur der beste Spion Ihrer Majestät herausfinden. Nein, nicht "007", sondern Smiley, George Smiley.

Die Aufgabe hört sich simpel an: Ein Buch schreiben, das einen Anfang, eine Mitte und ein Ende hat. Aber es geht noch weiter: "Es muss Sie bewegen, sich Ihnen einprägen und Sie mit dem Wunsch nach mehr entlassen. Mal sehen, ob es das tut." Nick Harkaway schreibt diese Sätze in seinem Vorwort für den Agentenroman "Smiley". Nun ist Harkaway nicht irgendein Autor, sondern ein Sohn von John le Carré, dem Vater des Agententhrillers, dem Schöpfer von Genreklassikern wie "Der Spion, der aus der Kälte kam" und "Bube, Dame, König, As, Spion".

Die Latte liegt also hoch. Sehr hoch. Das räumt Harkaway auch unumwunden ein. Es wird Leser geben, die "Smiley" nicht anrühren werden, das Werk vorab bereits verdammen. Frevel an le Carré! Aber es wird auch diejenigen geben, die sich auf "Smiley" stürzen werden, denn der Plot ist zwischen den beiden Klassikern angesiedelt. Entscheiden Sie selbst!

Ein Spion, durch und durch

Nach dem Fiasko an der Berliner Mauer, dem Ende von "Der Spion, der aus der Kälte kam", ist für George Smiley Schluss. Er wird Privatmann, kümmert sich mehr um seine Ehefrau, schaltet mehrere Gänge zurück. Es ist kein einfacher Schritt für den mittlerweile korpulenten Mittfünfziger, denn er ist kein unterhaltsamer Mensch, er ist kein Tänzer oder "fröhlicher Geselle". Aber Smiley besitzt zumindest die Art staubtrockenen Humors, der die Engländer berühmt gemacht hat. Immerhin. Das am Boden liegende westliche Agentennetz entringt Smiley deshalb auch nur ein müdes Lächeln.

Das ändert sich jedoch, als ein russischer Spion zu den Briten überlaufen will. Er sollte einen Mann töten, der als Verleger unauffällig in London lebte und arbeitete - und nun spurlos verschwunden ist. Wie vom Erdboden verschluckt. "Control" holt Smiley zurück in den Dienst, übergibt ihm die Befragung einer aus Ungarn geflüchteten jungen Frau, die einzige Angestellte des Verlegers. Und ehe Smiley "Spion" sagen kann, ist er wieder mittendrin im blutiger werdenden Geschäft aus Lügen, Intrigen, Verrat und Tod.

Smiley und die junge Ungarin versuchen, den verschwundenen Mann zu finden und so hinter dessen Geheimnis zu kommen. Smiley stößt dabei auf alte Bekannte, lernt neue Gesichter kennen, spielt seine Fähigkeiten aus und legt am Ende all seine Karten auf den Tisch. Ob er damit den Jackpot holt und in sein "ruhigeres" Rentnerdasein zurückkehren kann? Will er das denn in der Tiefe seines Herzens überhaupt?

Alter Hund ist nach wie vor bissig

Zugegeben: Agententhriller hieß für mich bislang Ian Flemming und Frederick Forsyth. Die späten 1970er- und frühen 1980er-Jahre waren es, die Hochzeit des Kalten Krieges, die dabei in den Bann zog. 1963, das Jahr, in dem Harkaway seinen "Smiley" angesiedelt hat, war da schon sehr weit weg. Spionage-Welten liegen dazwischen. Und dennoch fasziniert Harkaways Roman. Smiley ist ein Spion im besten Sinn, kein "007", der Frauen aufreißt, schnelle Autos fährt und der am Ende immer zielsicher die Kohlen aus dem Feuer holt. Smiley hat Anstand, ist moralisch integer. Intelligent, aber nicht überheblich. Sein Motto scheint zu sein: Lieber verlieren, als wie der Feind werden.

Und genau das macht seine Figur in der heutigen Zeit so besonders. In einer Zeit, in der der amtierende US-Präsident jeden Sinn für Anstand und Moral ebenso an der politischen Garderobe abgegeben zu haben scheint, wie sein russischer Gegenpart und der israelische Ministerpräsident gleichermaßen. Der Mensch zählt nichts mehr, wie es scheint. Das ist bei Smiley anders.

Das spüren Leser und Hörer des bei Ullstein und Oetinger erschienenen Werks. Stephan Benson liest es und seine ruhig-sonore Stimme passt zur Geschichte, zur Zeit und zu den handelnden Personen wie die sprichwörtliche Faust aufs Auge, wie der Moskwitsch 408 in die Verfolgsjagd durch das Budapest der damaligen Zeit, Trabant inklusive.

Harkaway hat es sich nicht einfach gemacht, "Smiley" zu schreiben. Es ging um nichts weniger als das familiäre Erbe. Aber es hätte sich kein besserer Autor für die John-le-Carrésche-Spionagewelt finden können. Kurzum: "Smiley" hat einen Anfang, eine Mitte und ein Ende. Es wird Sie bewegen, sich Ihnen einprägen und Sie mit dem Wunsch nach mehr entlassen. Da kann Smiley noch so entschlossen sagen: "Lassen Sie den alten Hund hinter dem Ofen hocken und bitten Sie ihn nicht rauszugehen und mit den jüngeren Hunden Hasen zu jagen. Das ist für alle nur peinlich, selbst für die Hasen."

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